Kommentar zu Corona-Impfstoffen

Mit „Warp-Speed“ zum Impfstoffdebakel?

Forscher und Behörden werden zur schnellen Entwicklung und Zulassung von Corona-Impfstoffen getrieben. Das ist sehr riskant.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:

Bereits Ende des Jahres soll es einen Impfstoff gegen das Coronavirus geben, spätestens aber Mitte 2021. – Geschwindigkeit ist inzwischen zum wichtigsten Kriterium bei der Weiterentwicklung von Impfstoffkandidaten gegen das SARS-CoV-2 geworden. Die US-Regierung nennt ihr Förderprogramm sogar „Operation Warp-Speed“, nach dem legendären fiktiven Antrieb bei Raumschiff Enterprise, der Reisen schneller als mit Lichtgeschwindigkeit ermöglichen soll.

Bei der Impfstoff-Entwicklung kann man mit solchen Schnellschüssen aber mehr Schaden als Nutzen anrichten, warnt jetzt der renommierte Vakzinologe Professor Paul Offit von der Universität von Pennsylvania. In einem Interview mit der Non-Profit Organisation „Human Vaccines Project“ kritisiert er, dass in das Warp-Programm nur Impfstoffkandidaten aufgenommen wurden, die sich am schnellsten produzieren lassen. Mit solchen genbasierten Impfstoffen auf Basis von mRNA oder Adenovirus-Vektoren habe man bisher aber kaum Erfahrungen. Es dürften daher keine Abstriche bei der Sorgfalt klinischer Tests zu Sicherheit und Effektivität gemacht werden.

Offit fordert Phase-III-Studien mit mindestens 20.000 geimpften Freiwilligen und weiteren 10.000 Kontrollpersonen im Placebo-Arm. Damit ließen sich zumindest mögliche und weniger häufige schwere Impfreaktionen aufdecken. Wirklich seltene Nebenwirkungen könne man allerdings nur in viel größeren Studien erkennen.

Moderne Impfstoffe genießen momentan in der Bevölkerung ein großes Vertrauen. So lassen in Deutschland die allermeisten Eltern ihre Säuglinge und Kleinkinder gegen zwölf Krankheiten impfen, die sie in der Regel noch nie gesehen haben. Dieses große Vertrauen wird aufs Spiel gesetzt, wenn die Corona-Impfstoffe ohne ausreichende Prüfung durchgewinkt werden. Der Bevölkerung muss zudem vermittelt werden, dass bei den zu erwartenden Corona-Impfstoffen seltene Nebenwirkungen noch nicht bekannt sein können. Auch wird die Dauer der Schutzwirkung ungewiss sein. All das kann nur erforscht werden, wenn man mit den Impfungen voranschreitet.

Offit macht keinen Hehl daraus, dass ihm die aktuelle US-Regierung hier schlaflose Nächte bereitet. In Gefahr sei der Konsens, dass neue Impfstoffe nur zugelassen werden, wenn man Nutzen und Risiken anhand von Tests gut einschätzen kann. Die Regierung habe Hydroxychloroquin ohne Wirksamkeitsbelege und trotz Sicherheitsbedenken als COVID-19-Medikament propagiert und die US-Arzneibehörde FDA dazu gebracht, es bei dieser Indikation zuzulassen. Die FDA lässt sich also herumschubsen, und wenn das auch bei der Zulassung von Impfstoffen passiert, sind Probleme vorprogrammiert.

Schreiben Sie dem Autor: wolfgang.geissel@springer.com

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