Forschung

Neues 3D-Modell der Plazentaschranke

Ein Team der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) hat ein neues dreidimensionales Zellmodell der menschlichen Plazentaschranke entwickelt.

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Das an der Empa entwickelte 3D-Zellmodell erlaubt es, die Barrierefunktion der menschlichen Platzenta zu untersuchen.

Das an der Empa entwickelte 3D-Zellmodell erlaubt es, die Barrierefunktion der menschlichen Platzenta zu untersuchen.

© Empa

ST. GALLEN. Das "Modellorgan" liefere schnell und zuverlässig neue Erkenntnisse zur Aufnahme von Substanzen wie Nanopartikel über die Plazentaschranke und zu möglichen toxischen Effekten auf das ungeborene Kind. Dieses Wissen könne künftig auch zur Entwicklung neuer Therapieansätze während der Schwangerschaft eingesetzt werden, heißt es in einer Mitteilung der Empa zur Veröffentlichung der Studie (Nanomedicine 2017;online 27. April).

Barriere, die Giftstoffe herausfiltert

Der sich entwickelnde Fötus ist ja äußerst anfällig auf giftige Stoffe. Schon kleinste Dosen können gravierende Schäden anrichten. Das ungeborene Kind davor zu schützen, ist eine der Aufgaben der Plazenta, eine Barriere, die Giftstoffe "herausfiltert", den Fötus gleichzeitig aber mit den notwendigen Nährstoffen versorgt. Es gebe allerdings in den letzten Jahren immer mehr Belege dafür, dass die Plazentaschranke nicht 100-prozentig dicht ist und dass gewisse Nanopartikel die Barriere überwinden können, erinnert die Empa.

"Schwangere sind zwar im Moment noch keinen problematischen Mengen an Nanopartikel ausgesetzt, in der Zukunft wäre das aufgrund der immer weiteren Verbreitung der winzigen Teilchen aber durchaus denkbar", wird Tina Bürki aus der Abteilung "Particles-Biology Interactions" zitiert.

Um eine sichere Entwicklung von Nanopartikeln in verschiedensten Anwendungsbereichen zu ermöglichen, müssen die Aufnahmemechanismen von Nanopartikeln an der Plazentaschranke sowie deren Auswirkungen auf Mutter, Plazenta und Fötus genauer erforscht werden. Grösse, Ladung, chemische Zusammensetzung und Form der Nanopartikel könnten zum Beispiel einen Einfluss darauf haben, ob sie die Plazentaschranke durchdringen können und welche Wege sie dabei nehmen.

Forschung steckt noch in den Kinderschuhen

Diese Forschung steckt allerdings derzeit noch in den Kinderschuhen. Da die Funktion und Struktur der menschlichen Plazenta einzigartig ist, sind Studien an schwangeren Säugetieren problematisch und wenig aussagekräftig. Bisherige Modelle der menschlichen Plazentaschranke seien entweder sehr zeitaufwändig oder stark vereinfacht, so die Empa.

Gerne nutze man für solche Untersuchungen eine gespendete Plazenta, die nach der Geburt des Kindes per Kaiserschnitt entnommen wird. Sie wird schnellstmöglich an eine Perfusionsanlage angeschlossen, die das Gewebe mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt. Dieses Gewebemodell sei zwar das genauste, also das klinisch relevanteste Modell, sei aber technisch auch sehr anspruchsvoll und zeitlich limitiert auf sechs bis acht Stunden Perfusionszeit, heißt es in der Mitteilung. Außerdem könne man mit einer Plazenta zwar testen, ob ein bestimmter Nanopartikel die Plazentaschranke überwindet; welchen Aufnahmeweg die Partikel nehmen, lasse sich in diesem komplexen Organ jedoch kaum untersuchen.

Verhalten sich Zellen in der Petrischale so wie im menschlichen Körper?

Daher greifen Forscher gerne zu einfachen Zellkulturen und anderen Modellsystemen. Ein einzelner Zelltypus, etwa eine Epithelzelle, wird in einer Kulturschale gezüchtet, vermehrt und eignet sich so hervorragend für verschiedenste Experimente. Allerdings können die Forscher nie sicher sein, dass sich die Zellen in der Petrischale genau so verhalten wie im menschlichen Körper. Das neue Modell, das ein Empa-Team um Tina Bürki vorgestellt hat, ist dagegen dreidimensional und besteht aus mehreren Zelltypen. Die Zellen befinden sich hier in einer gewebeähnlichen Umgebung analog zur Plazenta und erlauben Experimente über einen längeren Zeithorizont.

"Hanging Drop"-Technologie

Für die Herstellung des Modells verwendeten die Forschenden die "Hanging Drop"-Technologie, die die Firma Insphero AG entwickelt hat, erläutert die Empa in ihrer Mitteilung. Damit könnten Modelle ohne "Gerüst" hergestellt werden, das in nachfolgenden Transportversuchen den freien Zugang der Nanopartikel zu den Zellen behindern könnte. Die Zellen werden nicht in eine flache Kulturschale gegeben, sondern in eine spezielle Vorrichtung, in der sich die Zellen in hängenden Tropfen zu kugeligen Mikrogeweben zusammenlagern. Die entstandenen Mikrogewebe verhielten sich der menschlichen Plazenta viel ähnlicher als Zellen, die auf einer starren Kulturplatte kultiviert wurden, berichtet die Empa.

Nanopartikel werden vorselektiert

Experimente ließen sich an diesem 3D-Modell erheblich schneller durchführen als an der echten Plazenta, was wichtig sei, um die Vielzahl an unterschiedlichen Nanopartikeln untersuchen zu können. Nanopartikel, welche potenzielle toxische Auswirkungen oder ein gewünschtes Transportverhalten zeigten, könnten so effizient vorselektiert werden und die Resultate dann an der echten Plazenta überprüft werden.

Das Modell hat sich bereits bewährt. Bürkis Team habe dabei die Aufnahmemechanismen von Goldpartikeln erforscht, die sich für verschiedene medizinische Anwendungen eignen könnten, heißt es in der Mitteilung zur Veröffentlichung der Studie.

Das Empa-Team untersuchte Goldpartikel verschiedener Grösse und unterschiedlicher Oberflächenmodifikationen. In Übereinstimmung mit früheren Studien fanden die Forschenden, dass kleinere Goldpartikel die Plazentaschranke eher durchdringen. Außerdem passierten weniger Partikel die Schranke, wenn diese Polyethylenglykol (PEG) auf der Oberfläche trugen. Das sind kettenförmige Moleküle, die die Teilchen nahezu vollständig umhüllen. In der Medizin wird PEG oft verwendet, um Partikel und andere kleinere Strukturen im Körper "inkognito" reisen zu lassen, damit sie nicht vom Immunsystem erkannt und abgebaut werden. "Es scheint also möglich zu sein, den Transport von Nanopartikel durch die Plazenta über ihre Eigenschaften zu steuern", wird Bürki zitiert.

Modell soll um eine dynamische Komponente erweitert werden

In Zukunft möchten die Empa-Forschenden dieses Modell sogar noch weiterentwickeln. Sie wollen es um eine dynamische Komponente erweitern: Dazu möchten sie die Mikrogewebe zum Beispiel in ein mikrofluides System einbringen, also ein System, das den Blutkreislauf von Mutter und Kind im Körper nachbildet. Ein weiterer Ansatz wäre es, das Modell der Plazenta mit anderen Modellen zu kombinieren. "Zum Beispiel mit dem Modell eines Fötus", meint Bürki. So könnte man auch komplexe Organinteraktionen miteinbeziehen und zum Beispiel herausfinden, ob die Plazenta als Reaktion auf gewisse Nanopartikel Stoffe freisetzt, die den Fötus schädigen. Mit der Arbeit soll die Grundlage für eine schonende, aber dennoch wirksame Nanomedizin während der Schwangerschaft geliefert werden, erläutert Bürki in der Empa-Mitteilung. Kennt man die Transportmechanismen von Nanomaterialien durch die Plazentabarriere genau, so die Hoffnung, dann liessen sich daraus neue Carrier-Systeme für Therapeutika auch für Schwangere entwickeln. Denn auch während der Schwangerschaft müssen viele Frauen Medikamente einnehmen, etwa Epilepsie- oder Diabetes-Patientinnen, aber auch, wenn eine bedrohliche Infektion vorliegt.

Dazu müsste man Nano-Carrier wählen, die die Plazentabarriere nicht durchdringen können. Zusätzlich könnte man sie beispielsweise mit "Adressetiketten" versehen, so genannte Targeting-Moleküle, die dafür sorgen, dass der Medikamenten-Shuttle zum richtigen – zum erkrankten – Organ transportiert wird und die Plazenta überhaupt nicht durchdringt. So würde das Medikament dann in erster Linie in der Mutter freigesetzt werden, so die Empa in ihrer Mitteilung. Die Dosis, die den Fötus oder Embryo erreicht, und somit auch das Risiko für das ungeborene Kind, könnten stark reduziert werden. (eb)

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