Zusammenhang mit SARS-CoV-2?
Pädiatrische Fachgesellschaften reagieren auf neues Syndrom
230 Kinder in Europa sind von einem neuartigen, Kawasaki-ähnlichen Syndrom betroffen, berichtet das ECDC. Die pädiatrischen Fachgesellschaften haben jetzt ein nationales Register für Erkrankte aufgebaut.
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Hängt das neue Krankheitssyndrom bei Kindern mit einer SARS-CoV-2-Infektion zusammen? Das ECDC hält eine Verbindung für „plausibel“.
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Stockholm. Fieber, Bauchschmerzen und Herzprobleme: Seit Beginn des Jahres wurden in Europa etwa 230 Verdachtsfälle einer seltenen Entzündungskrankheit bei Kindern beobachtet. Das teilte das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) in Stockholm mit.
Noch ist ungeklärt, ob das Paediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS) mit dem Coronavirus in Verbindung steht. Ein Zusammenhang scheine „plausibel“, hieß es in einer ECDC-Mitteilung vom Freitag. Teilweise wurden betroffene Kinder positiv auf den Erreger Sars-CoV-2 getestet. Es handle sich aber um eine seltene Erkrankung, „deren potenzielle Verbindung zu COVID-19 weder nachgewiesen, noch gut verstanden wird“.
Fachgesellschaften bauen nationales Register auf
Zu Wachsamkeit hat Professor Reinhard Berner, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kinder und Jugendmedizin und Direktor der Unikinderklinik in Dresden, die Pädiater wegen des neuen Syndroms aufgerufen. Die pädiatrischen Fachgesellschaften hätten ein nationales Register aufgebaut, um das Geschehen in Deutschland genau beobachten zu können, sagte Berner in einem Interview in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Auch Berner wies darauf hin, dass nicht in allen Fällen des Kawasaki-ähnlichen Syndroms ein Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion nachgewiesen sei.
Unterschiede in der Symptomatik
In der Symptomatik gebe es bei dem neuartigen Syndrom durchaus Unterschiede zum Kawasaki-Syndrom. Bei Kawasaki seien in erster Linie hohes Fieber, ein Hautausschlag auf dem ganzen Körper, starke Rötung von Mundschleimhaut, Lippen und Zunge sowie Gefäßentzündungen und geschwollene Lymphknoten. Es gebe aber durchaus Abweichungen von dieser Symptomatik.
Die jetzt an PIMS erkrankten Kinder zeigten sehr oft Magen-Darm-Probleme, Bauchschmerzen, Anzeichen wie bei einer Blinddarmentzündung sowie „sehr starke Entzündungsreaktionen und daraus folgend manche sogar einen kardiogenen Schock“. Vorerkrankungen bei Kindern spielten anders als bei Erwachsenen offenbar keine so große Rolle. „Wir müssen genauer hinschauen, was das neuartige Coronavirus im kindlichen Körper bewirken kann“, so der Appell Berners.
Wenige Todesfälle in Europa
In Großbritannien und Frankreich hatte es je einen Todesfall im Zusammenhang mit dem Syndrom gegeben. Das Erkrankungsrisiko für Kinder sei in der EU und Großbritannien für beide Krankheiten gering, so die ECDC.
Die PIMS-Symptome ähneln dem sogenannten Kawasaki-Syndrom, das zu einer Überreaktion des Immunsystems führt, die vermutlich durch Bakterien oder Viren ausgelöst wird. Dass auch das Coronavirus eine derartige Überreaktion bewirken kann, ist von Erwachsenen bereits bekannt.
Deutliche Zunahme in Region Bergamo
Ärzte aus einem Krankenhaus im italienischen Bergamo hatten kürzlich Fälle von Kindern, die zwischen dem 18. Februar und dem 20. April derartige Krankheitsmerkmale zeigten, mit Kawasaki-Fällen in der Region aus den fünf Jahren vor Beginn der Pandemie verglichen. Insgesamt gab es demnach zwischen Januar 2015 und Mitte Februar dieses Jahres 19 Fälle des Kawasaki-Syndroms. In den zwei Monaten seither wurden bereits 10 Kinder mit Kawasaki-ähnlichen Symptomen behandelt, was den Studienautoren zufolge einer 30-fachen Zunahme entspräche. Allerdings weisen die Mediziner darauf hin, dass es schwierig sei, auf Grundlage solch geringer Zahlen valide Schlussfolgerungen zu ziehen.
Der Berliner Virologe Christian Drosten machte kürzlich im NDR-Podcast deutlich, dass er keinen Grund zu Alarmismus sieht. Es handle sich um ein seltenes Phänomen, über das die internationale Kinderheilkunde nun beginne zu diskutieren. Drosten verwies auch auf die gute Behandelbarkeit. (ger/dpa)