Halluzinationen
Psychose oder beginnende Demenz?
Halluzinationen und Wahnvorstellungen im Alter gehen oft mit kognitiven Problemen einher und sind dann prognostisch sehr ungünstig: Nicht selten markieren psychotische Symptome den Beginn einer Demenz.
Veröffentlicht:Portland. Entwickeln ältere Patienten eine neurodegenerative Erkrankung, muss sich das nicht immer zuerst mit kognitiven oder motorischen Defiziten bemerkbar machen. Manchmal stehen auch psychische Auffälligkeiten im Vordergrund – die frontotemporale Demenz (FTD) ist hierfür ein gutes Beispiel.
Depressionen und Verhaltensauffälligkeiten werden aber auch im Vorfeld einer Alzheimerdemenz beobachtet, auf der anderen Seite gehen psychische Störungen im Alter oft mit reversiblen kognitiven Problemen einher, sodass sich mitunter schwer sagen lässt, ob primär eine psychische oder neurodegenerative Erkrankung vorliegt. Für die Prognose hat dies jedoch erhebliche Konsequenzen.
Beispiel: 57-jährige Krankenschwester
Auf der virtuellen Tagung der amerikanischen Psychiatervereinigung APA präsentierte Professor Vimal Aga von der Universität in Portland seine Untersuchungen bei einer 57-jährigen Krankenschwester, die aufgrund kognitiver und psychischer Probleme vorzeitig in den Ruhestand ging. Sie hatte in den zwei Jahren zuvor immer wieder Wahnvorstellungen und akustische Halluzinationen entwickelt, glaubte, dass sie die Verkehrsampeln steuern kann, entwickelte eine zunehmende Impulsivität und Reizbarkeit, hatte das Bedürfnis, unangemessene Dinge zu sagen, und bemerkte einen Empathieverlust ihren Patienten gegenüber.
In Kognitionstests ergaben sich Defizite in den meisten Domänen – sowohl bei den Exekutivfunktionen, dem Arbeitsgedächtnis und der Wortfindung. Die 23 Punkte im MoCa-Test sprachen für eine leichte Demenz.
Die Verhaltensauffälligkeiten in Kombination mit den kognitiven Defiziten deuteten zunächst auf eine FTD, allerdings ergab das MRT keine isolierte frontotemporale Atrophie. Beta-Amyloid und Tau-Werte im Liquor waren ebenfalls unauffällig.
In der Vorgeschichte fiel ein Missbrauch von Alkohol und illegalen Drogen auf, nach einem Entzug soll sie aber seit dem 26. Lebensjahr keine Drogen mehr genommen haben. Vimal diagnostizierte schließlich eine Schizophrenie und eine nicht genauer bestimmte neurodegenerative Erkrankung.
Ein Viertel der Psychosen erst jenseits der 40
Der Neurologe und Psychiater wies darauf hin, dass etwa ein Viertel aller Psychosen erst nach dem 40. Lebensjahr auftreten. Betroffen sind gehäuft Frauen.
Im Gegensatz zu einer früh beginnenden Schizophrenie dominieren positive Symptome, hier vor allem Halluzinationen und ein Durchdringungswahn (partition delusion): Die Patienten glauben, dass giftige Gase, Strahlung oder Gegenstände von außen in ihre Wohnung gelangen. Insgesamt unterscheide sich die Symptomatik aber nur gering von der jüngerer Patienten mit Schizophrenie.
Auffällig bei einer spät beginnenden Psychose (LOS, late onset schizophrenia) sind jedoch meist kognitive Probleme: 70–80 Prozent zeigen in Kognitionstests deutlich schlechtere Ergebnisse als gleich alte Personen ohne Psychose. Betroffen sind vor allem das Kurzzeitgedächtnis, die Verarbeitungsgeschwindigkeit, die Aufmerksamkeit und Exekutivfunktionen, jedoch nicht die Wortfindung und Benennung.
Studien zufolge haben LOS-Patienten ein zwei- bis dreifach erhöhtes Demenzrisiko, so Vimal, allerdings ohne Präferenz für einen bestimmten Demenztyp. Warnzeichen für eine beginnende Neurodegeneration bei LOS-Patienten seien ein schnelles Vergessen, eine Aphasie oder der Verlust des Langzeitgedächtnisses sowie Defizite bei Alltagsfunktionen. Auch die ausgeprägten kognitiven Defizite der vorgestellten Patientin bei der Wortfindung sieht Vimal als Hinweis, dass neben der Schizophrenie auch oder primär ein neurodegenerativer Prozess aktiv ist.
20-fach erhöhtes Demenzrisiko bei Halluzinationen
Bekannt ist ein ähnlicher Zusammenhang zwischen Depression und kognitivem Abbau im Alter: Depressive haben ein etwa verdoppeltes Demenzrisiko, und eine beginnende Demenz geht nicht selten mit einer Depression einher. Patienten mit „late life depression“ (LLD) sprechen jedoch schlechter auf Antidepressiva an und erleiden häufiger Rezidive als jüngere Patienten.
Zudem haben LLD-Patienten häufiger psychotische Symptome, und diese gehen wiederum vermehrt mit kognitiven Defiziten einher. Oft handle es sich dann zwar nur um eine depressionsbedingte und reversible Pseudodemenz, doch eine solche Pseudodemenz erhöhe Studien zufolge das Risiko für eine irreversible Demenz um etwa das Fünffache, sagte Vimal.
Dass Psychosen und Neurodegeneration im Alter zusammenhängen, zeigen auch Studien mit Alzheimerpatienten: Etwa ein Drittel entwickelt im Verlauf Wahnvorstellungen, etwa ein Sechstel ausgeprägte Halluzinationen.
Noch häufiger werden psychotische Symptome bei einer Lewykörperchendemenz (DLB) beobachtet – hier sind etwa 75 Prozent betroffen, bei einer Parkinsondemenz rund die Hälfte, und immerhin 15 Prozent der Parkinsonkranken ohne Demenz entwickeln Halluzinationen. Bei solchen Patienten scheinen die Halluzinationen tatsächlich einen raschen kognitiven Abbau anzukündigen: Das Risiko für eine Parkinsondemenz ist dann etwa 20-fach erhöht, sagte Vimal.