US-Studie
Rätselhafter Demenz-Rückgang
Eine US-Studie deutet erneut auf eine fallende Demenz-Inzidenz, und zwar besonders in Geburtsjahrgängen ab 1925. Bessere Bildung und weniger kardiovaskuläre Probleme bei jüngeren Jahrgängen erklären die Beobachtung jedoch nicht.
Veröffentlicht:NEW YORK. Bis vor Kurzem gingen Epidemiologen davon aus, dass sich die Demenzprävalenz alle 20 Jahre verdoppelt. Jüngste Zahlen deuten jedoch auf eine rückläufige Inzidenz und teilweise sogar auf eine fallende Prävalenz in westlichen Industrieländern. So konnten mehrere große europäische und US-Kohortenstudien relativ konsistent einen Rückgang der altersadjustierten Demenzinzidenz um etwa 25 Prozent feststellen – bezogen auf die Zeit vor 1990.
Weshalb die Inzidenz sinkt, ist noch Gegenstand von Spekulationen. Da die wichtigsten Demenzrisikofaktoren mit kardiovaskulären Risikofaktoren übereinstimmen, erscheint es plausibel, dass eine bessere medikamentöse Kontrolle solcher Faktoren durch Antihypertensiva, Lipidsenker und Antidiabetika zum Rückgang der Demenzinzidenz beiträgt.
Für die kardiovaskuläre Hypothese sprechen Beobachtungen, wonach die sinkende Demenzinzidenz etwa 20 Jahre nach Rückgang der Herzinfarktrate auftritt: Die Generation, bei der erstmals ein Rückgang kardiovaskulärer Ereignisse zu beobachten war, erkrankt nun auch seltener an einer Demenz.
Daten verschiedener Alterskohorten
Stichhaltig belegen lässt sich die kardiovaskuläre Hypothese nur schwer. In einer aktuellen US-Studie sehen Forscher um Dr. Carol Derby vom Albert Einstein College of Medicine in New York zwar ebenfalls einen Rückgang der Demenzinzidenz, aber auch dann, wenn sie kardiovaskuläre Probleme berücksichtigen (JAMA Neurol 2017, online 5. September).
Das Team um Derby hat für ihre Untersuchung einen anderen Weg gewählt als die Initiatoren der großen Untersuchungen: Letztere hatten unterschiedliche Kohorten im Abstand von Dekaden betrachtet, die New Yorker Forscher konnten innerhalb einer einzigen Untersuchung nach einzelnen Jahrgängen differenzieren. Auf diese Weise wollten sie Kohorten- und Alterseffekte besser trennen; ihre "Einstein Aging Study (EAS)" ist praktisch aus einem Guss.
Für das EAS-Projekt werden seit 1993 regelmäßig Personen über 70 Jahre aus dem New Yorker Bezirk Bronx angeschrieben und zur Teilnahme aufgefordert. Die Senioren erhalten eine ausführliche neuropsychologische Eingangsuntersuchung und werden jährlich auf kognitive Veränderungen hin geprüft. Zugleich liefern sie Angaben über Herzinfarkte, Schlaganfälle und Diabetes.
Für ihre Analyse setzte das Team um Derby auf Personen, die bei der Eingangsuntersuchung kognitiv unauffällig waren und sich bis zum Jahr 2015 an der Studie beteiligten. Letztlich konnten sie Angaben zu 1348 Individuen auswerten, die im Schnitt 4,4 Jahre nachuntersucht worden waren. In dieser Zeit traten 150 Demenzerkrankungen auf. Ergebnis: Bis auf drei Demenzkranke waren alle Betroffenen vor 1929 zur Welt gekommen, auf diese Jahrgänge konzentrierten sich die Forscher und schauten nach der Demenzinzidenz der einzelnen Jahrgänge in den jeweiligen Altersklassen.
Dabei zeigten sich deutliche Unterschiede: So erkrankten etwa von den 1920–1924 Geborenen im Alter von 75–79 Jahren jedes Jahr 3,4 Prozent an einer Demenz, bei den 1925–1929 Geborenen waren es nur noch 1,2 Prozent. Für den Jahrgang 1925 berechneten die Forscher im Alter von 90–94 Jahren eine Inzidenz von rund 5 Prozent, beim Jahrgang 1900 lag sie noch knapp über 10 Prozent.
Ein Trend zur sinkenden Demenzinzidenz war auch in allen anderen Altersklassen zu beobachten: Die später Geborenen erkrankten in einem vergleichbaren Alter seltener an einer Demenz als die früheren Jahrgänge, besonders deutlich ging die Inzidenz für die Jahrgänge 1920–1930 zurück. Das passt mit den Resultaten andere Studien zusammen, die vor allem seit der Jahrhundertwende eine sinkende Demenzinzidenz beobachten: In diese Zeit erreichten die Jahrgänge 1920–1930 das Alter für eine Demenz.
Nur vorübergehendes Phänomen?
Berücksichtigten die Forscher nun auch die Prävalenz von Herzinfarkten, Schlaganfällen und Diabetes sowie den Bildungsgrad, änderte sich nur wenig an den Ergebnissen. Die kardiovaskuläre Hypothese scheint damit als Erklärung für die sinkende Demenzinzidenz auszufallen.
Allerdings geben die Studienautoren zu bedenken, dass die Zahl der Demenzkranken in der Studie recht gering war und die Daten zu kardiovaskulären Erkrankungen auf Angaben der Teilnehmer beruhten, beides könnte das Ergebnis verzerrt haben. Zudem wurden keine Veränderungen bei der kardiovaskulären Medikation erfasst – diese sind möglicherweise für das Demenzrisiko relevanter als die Veränderungen der Herzinfarktrate.
Die Studie bestätigt also erneut einen Rückgang der Demenzinzidenz. Mit Blick auf weltweit steigende Diabeteszahlen sind die Forscher um Derby jedoch skeptisch, ob dieser Trend lange anhält. Auch die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse nimmt in den USA inzwischen wieder zu. Nicht ganz unwahrscheinlich, dass wir in 20 Jahren wieder eine steigende Demenzinzidenz beobachten.
Was besagt die kardiovaskuläre Hypothese?
- Demenz-Inzidenz: Einen Rückgang um 25 Prozent in der Zeit vor 1990 haben mehrere Kohortenstudien ergeben.
- Nach Beobachtungen trat die sinkende Demenzinzidenz etwa 20 Jahre nach Rückgang der Herzinfarktrate auf.
- Angenommen wird, dass eine bessere Kontrolle kardiovaskulärer Risikofaktoren durch Antihypertensiva, Lipidsenker und Antidiabetika zum Rückgang der Demenzinzidenz beiträgt.