Ophthalmologie

Retinopathie-Diagnostik bei Frühchen via Smartphone

Eine kostengünstige Technik könnte Kindern in Schwellenländern die Sehkraft retten: Ein Smartphone ist mit Adapter mit Speziallinse ausgestattet, Netzhaut-Bilder werden über die Handy-Kamera gemacht.

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Der Adapter mit Speziallinse wird an ein handelsübliches Smartphone angedockt.

Der Adapter mit Speziallinse wird an ein handelsübliches Smartphone angedockt.

© Scientific Reports; DOI: 10.1038/s41598-019-5615

Bonn. Ein Smartphone-Adapter mit Speziallinse eignet sich gut zur telemedizinischen Diagnose der Frühgeborenen-Retinopathie, hat eine Studie der Universität Bonn ergeben (Scientific Reports 2019; online 23. Dezember).

Die Methode sei deutlich kostengünstiger als konventionelle telemedizinische Ansätze. Besonders in Schwellenländern könnte sie sich daher für Screening-Untersuchungen eignen, teilt die Uni Bonn zur Veröffentlichung der Studie mit.

Frühgeborenen-Retinopathie tritt zunehmend häufiger auf

Bei Frühgeborenen ist die Gefäßbildung in der Netzhaut noch nicht abgeschlossen. Das kann dazu führen, dass die kleinen, die Netzhaut versorgenden Gefäße, nach der Geburt zu stark zu wuchern beginnen. Verstärkt werde dieser Effekt noch durch die bei Frühchen immer wieder notwendige Gabe von Sauerstoff, erinnert die Uni Bonn in ihrer Mitteilung. Da die medizinische Versorgung und damit die Überlebenschancen von Frühgeborenen immer besser werden, trete die Frühgeborenen-Retinopathie zunehmend häufiger auf.

Ohne rechtzeitige Behandlung können die wuchernden Gefäße eine Netzhautablösung verursachen, die zu irreversibler Erblindung führen kann. In westlichen Industrieländern wird bei Frühchen daher regelmäßig der Augenhintergrund untersucht, bis die Gefäßbildung abgeschlossen ist. So lassen sich Fehlentwicklungen früh erkennen, und Gegenmaßnahmen wie die Injektion von Medikamenten oder eine Lasertherapie können früh eingeleitet werden.

In Schwellenländern fehlen oft Augenärzte

Allerdings erfordere dieses Screening genügend Augenärzte, was in Schwellenländern oft nicht gegeben sei, meldet die Uni Bonn. Daher sei die Frühgeborenen-Retinopathie gerade in Ländern wie Brasilien, Indien oder China auf dem Vormarsch.

„Man spricht inzwischen von einer wahren ‚Epidemie‘ – auch wenn dieser Begriff sonst nur bei Infektionskrankheiten verwendet wird“, wird Dr. Maximilian Wintergerst von der Abteilung für Augenheilkunde am Uniklinikum Bonn zitiert. „Die medizinische Versorgung ist dort einerseits so gut, dass viele Frühchen überleben. Andererseits fehlt es an Mitteln, die Netzhautentwicklung der Frühgeborenen genügend engmaschig zu untersuchen.“

Telemedizin soll gegen den Ärztemangel helfen

Dem Ärztemangel versucht man heute durch telemedizinische Ansätze zu begegnen. Dabei wird die Untersuchung durch geschultes nicht-ärztliches Personal, etwa Krankenschwestern oder -pfleger vorgenommen. Die Bilder, die von der Netzhaut gemacht werden, werden dann über das Internet zur Begutachtung an den Augenarzt geschickt.

Das entscheidende Problem sei jedoch, dass die Kosten für aktuell zur Netzhaut-Bildgebung bei Frühgeborenen verfügbare Geräte hoch seien und von Kliniken in Schwellenländern oft nicht erbracht werden könnten, erklärt die Uni Bonn in ihrer Mitteilung.

Preisgünstig und transportabel

Die Bonner Augenärzte haben daher ein neues diagnostisches Instrument getestet, das weniger als 1000 Euro kostet. Dabei handelt es sich um einen Adapter mit Speziallinse, der an einem handelsüblichen Smartphone befestigt wird. Die Aufnahme der Netzhautbilder erfolgt über die Handy-Kamera.

„Unsere Studie zeigt, dass die Qualität damit angefertigter Aufnahmen hervorragend ist“, erklärt Professor Tim Krohne in der Mitteilung. Krohne leitet die Frühgeborenenambulanz der Bonner Universitäts-Augenklinik. „Die Bildauflösung ist konventionellen Geräten mindestens gleichwertig, und die Transportabilität des Geräts ist ein wichtiger Vorteil.“

Es sind mehrere Einzelaufnahmen nötig

Bei der konventionellen Methode wird eine mit einem Gel benetzte Kameralinse direkt auf das Auge gesetzt. Auf diese Weise kann bereits mit einem einzigen Bild ein großer Teil Netzhaut sichtbar gemacht werden. Bei dem Smartphone-basierten-Ansatz erfolgt die Aufnahme dagegen berührungslos – die Lupe ist wenige Zentimeter vom Auge entfernt, wie es in der Mitteilung aus Bonn heißt. Daher sei der abgebildete Netzhaut-Ausschnitt kleiner, und es müssten mehrere Einzelaufnahmen angefertigt werden, um die gesamte Netzhaut zu erfassen. Dadurch dauere die Untersuchung etwa um die Hälfte länger als mit konventionellen Geräten.

Zwei voneinander unabhängige Experten werteten in der Studie Aufnahmen von 26 Augen aus. Für jedes untersuchte Auge waren zwei Sätze von Bildern angefertigt worden – einmal mit der konventionellen und einmal mit der Smartphone-Methode. Die Bilder wurden gemischt, so dass für die Experten nicht ersichtlich war, von welchem Auge sie jeweils stammten. Bei diesem Vergleich erzielten beide Ansätze eine vergleichbare Diagnose-Genauigkeit. „Die neue Methode könnte also für den telemedizinischen Einsatz geeignet sein“, betont Wintergerst.

Die mittels Smartphone erstellten Bilder (kleiner Kreis) sind Aufnahmen mit herkömmlichen Geräten in Bezug auf die Bildqualität mindestens ebenbürtig. Allerdings muss eine höhere Anzahl von Fotos gemacht werden, um die gesamte Netzhaut abzubilden.

Die mittels Smartphone erstellten Bilder (kleiner Kreis) sind Aufnahmen mit herkömmlichen Geräten in Bezug auf die Bildqualität mindestens ebenbürtig. Allerdings muss eine höhere Anzahl von Fotos gemacht werden, um die gesamte Netzhaut abzubilden.

© Scientific Reports; DOI: 10.1038/s41598-019-5615

Welche Chancen bietet die Künstliche Intelligenz?

Da die Aufnahmen mittels Smartphone erfolgen, ließen sie sich die Bilder unkompliziert zur telemedizinischen Beurteilung an spezialisierte Augenärzte verschicken, so die Uni Bonn in ihrer Mitteilung. Darüber hinaus würden aktuell bereits Smartphone-Apps erprobt, die mittels künstlicher Intelligenz eine Vorauswertung von Netzhaut-Aufnahmen hinsichtlich einer Frühgeborenen-Retinopathie durchführen.

Wintergerst und seine Kollegen haben auch schon bei anderen Augenerkrankungen gute Erfahrungen mit der Untersuchung per Smartphone gemacht: So nutzen sie die Methode seit zwei Jahren mit großem Erfolg in mehreren Projekten im indischen Bangalore, um diabetes-bedingte Netzhautschäden zu detektieren. (eb)

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