FLI

Schilddrüsenhormone sind für die Gehirnfunktion essenziell

Forscher sind der Ursache einer seltenen Erkrankung der Schilddrüse, dem Allan-Herndon-Dudley-Syndrom, auf die Spur gekommen. Sie haben damit eine Grundlage für therapeutische Interventionen geschaffen.

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JENA. Wenn Schilddrüsenhormone (TH) nicht in das Gehirn gelangen, können schwere psychische und motorische Störungen auftreten.

Beim Menschen könne dies auch die Ursache einer seltenen Erkrankung, dem Allan-Herndon-Dudley-Syndrom (AHDS), sein, teilt das Leibniz-Institut für Altersforschung - Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena mit.

Forscher des Instituts hätten nun nachgewiesen, welche Proteine für den TH-Transport in das Gehirn benötigt werden (J Clin Invest. 2014, 124 (5): 1987-1999).

Diese neuen Erkenntnisse bildeten die Grundlage für die Testung therapeutischer Interventionen bei AHDS, so das FLI. Sie hätten zu einem internationalen Zusammenschluss von Spitzenforschern aus Deutschland, Israel und Spanien auf dem Gebiet der Endokrinologie beigetragen.

Schilddrüsenhormone (Thyroidhormone, TH) sind nicht nur an der Aufrechterhaltung zahlreicher physiologischer Körperfunktionen beteiligt, sondern spielen auch während des Wachstums und der Differenzierung eine wichtige Rolle, erinnert das FLI.

Insbesondere das Zentrale Nervensystem ist auf eine ausreichende Versorgung mit TH angewiesen. Kommt es zu einem TH-Mangel während der Entwicklung, können irreversible Schädigungen sowie schwere neurologische und mentale Beeinträchtigungen die Folge sein.

Mutationen im MCT8-Gen

Über spezifische Transportproteine, wie das zur Familie der Monocarboxylat-Transporter gehörende Protein MCT8, werden Schilddrüsenhormone in die Blutbahn freigesetzt und wiederum aus dem Blut in verschiedene Gewebe, so beispielsweise in das Gehirn, transportiert.

Mutationen im MCT8-Gen, die zu einer Inaktivierung dieses Proteins führen, rufen beim Menschen das Allan-Herndon-Dudley-Syndrom (AHDS) hervor, heißt es in der Mitteilung. Das AHDS ist eine seltene, äußerst schwere Form der psychomotorischen Retardierung.

Betroffene Patienten können in der Regel nicht sprechen und nur sehr eingeschränkt mit ihrer Umwelt kommunizieren. Auch sind sie nicht in der Lage, ihre Muskelbewegungen zu kontrollieren und können deshalb weder eigenständig sitzen, stehen oder gehen, so das FLI.

Als weiteres Symptom zeigen AHDS-Patienten stark erhöhte Schilddrüsenhormon-Spiegel in der Zirkulation auf, wodurch auch Gewebe, wie Leber, Muskel und Fettgewebe, in ihrer Funktion beeinträchtigt sind.

"MCT8 knockout Mäuse"

Bis heute sei leider immer noch nicht hinreichend verstanden, warum ein Fehlen von MCT8 zu diesen schweren Symptomen führt, heißt es in der Mitteilung. Das Verständnis hierüber sei für die Entwicklung von Therapie-Möglichkeiten jedoch unerlässlich.

Dr. Heike Heuer, Gruppenleiterin am Leibniz-Institut für Altersforschung in Jena, beschäftigt sich mit ihrem Team bereits seit längerem mit der physiologischen Funktion von Mct8.

Dazu entwickelt die Arbeitsgruppe neue Maus-Modelle und analysiert, ob sie einen den Patienten vergleichbaren neuronalen Phänotyp aufweisen und damit zur Testung therapeutischer Interventionen für die Behandlung von AHDS-Patienten geeignet sind, so das Institut.

"Mäuse mit defektem MCT8 zeigen dieselben veränderten Blut-Werte wie AHDS-Patienten und haben uns bereits wichtige Informationen über die Rolle von MCT8 in Geweben, wie Leber, Niere und Schilddrüse, gebracht", wird die Jenaer Endokrinologin in der Mitteilung zitiert.

Im Gegensatz zu Patienten mit Allan-Herndon-Dudley-Syndrom zeigen diese sogenannten "MCT8 knockout Mäuse" jedoch keine neurologischen Beeinträchtigungen. Im Rahmen seiner Doktorarbeit konnte nun Dr. Steffen Mayerl dieses Phänomen erklären: "Mäuse verfügen neben MCT8 über einen weiteren Transporter im Gehirn.

Dieses ,organische Anionen transportierende Protein Oatp1c1' kann in der Maus den TH-Transport ins Gehirn übernehmen, wenn Mct8 ausfällt. Beim Menschen scheint dieser ,Backup'-Mechanismus jedoch nicht zu existieren", erläutert Mayerl, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe von Heike Heuer am FLI.

TH-Mangel im Gehirn

In Zusammenarbeit mit Kollegen aus Deutschland, Belgien und den Niederlanden konnten die Jenaer Forscher jetzt zeigen, dass die Inaktivierung beider Transporter (Mct8/Oatp1c1 doppelknockout Mäuse) zu einem ausgeprägten TH-Mangel im Gehirn führt, während die TH-Werte im Blut stark erhöht sind.

"Infolge einer massiven Unterversorgung des Gehirns mit TH zeigen diese Tiere neben einem eingeschränkten Erinnerungs- und Lern-Verhalten Defizite in der Steuerung von Bewegungsabläufen sowie eine verringerte Muskelkraft", erläutert Heuer.

"Alles Merkmale, die mit der Symptomatik von AHDS-Patienten vergleichbar sind und auch mit Veränderungen in der neuronalen Differenzierung in spezifischen Gehirn-Arealen einhergehen".

"Wir konnten nicht nur ein neuartiges Tiermodell für das Allan-Herndon-Dudley-Syndrom etablieren, sondern auch neue Erkenntnisse zur Wirkung von TH während der Gehirnentwicklung gewinnen", berichten die Forscher.

"Darüber hinaus ist die Mct8/Oatp1c1 dko Maus auch geeignet, Therapie-Ansätze für AHDS-Patienten zu entwickeln. Das ist uns ein besonders dringliches Anliegen, da es bislang noch keine Möglichkeiten gibt, die neurologischen Symptome dieser Patienten zu behandeln".

Für diesen neuen Forschungsansatz wurde das Jenaer Team mit einem E-RARE Grant gewürdigt und für die nächsten zwei Jahre vom BMBF gefördert. (eb)

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