Schlechte Kindheit stört Gehirnentwicklung
Schläge, sexuelle Gewalt, Vernachlässigung - das hinterlässt nicht nur Spuren in der Seele, sondern auch im Gehirn: Der Hippocampus ist später zu klein, das macht anfällig für seelische Krankheiten.
Veröffentlicht:BOSTON. Wie die Maus, so der Mensch - zumindest bei einer entwicklungsgeschichtlich so alten Hirnstruktur wie dem Hippocampus scheinen Umwelteinflüsse vergleichbar gravierende Auswirkungen auf die Hirnentwicklung zu haben.
Dies erlaubt es Forschern, besser zu verstehen, wie sich psychische Krankheiten entwickeln. So haben Wissenschaftler um Dr. Martin Teicher von der Harvard Medical School in Boston, USA, nun herausgefunden, dass Misshandlungen im Kindesalter in ähnlicher Weise zu einem reduzierten Hippocampusvolumen führen wie bei gestressten jungen Nagern (PNAS 2012, Epub 13. Feb)
Befragung zu psychischen Traumata
Teicher und sein Team haben sich den Hippocampus bei knapp 200 jungen Freiwilligen im Alter von 18 bis 25 Jahren genauer angesehen. Dafür verwendeten sie ein hochauflösendes 3-Tesla-MRT und eine spezielle Software, mit der sie das Volumen einzelner Hippocampus-Bereiche automatisiert berechnen konnten.
Zusätzlich wurden die Probanden psychiatrisch untersucht und füllten Fragebogen aus, mit denen nach psychischen Traumata in der Kindheit gefahndet wurde. Als traumatische Ereignisse galten etwa Misshandlungen, sexueller Missbrauch, physische und emotionale Vernachlässigung, Todesfälle oder Trennungen in der Familie sowie das Beobachten von Gewalttaten.
Insgesamt konnte ein Drittel der Probanden über solche Erlebnisse berichten, 16 Prozent sogar über drei oder mehr Formen traumatischer Ereignisse. Von ihnen hatten mehr als die Hälfte bereits depressive Episoden gehabt, ein Viertel litt an einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Bei den am stärksten traumatisierten Probanden fanden die Forscher deutliche Abweichungen beim Hippocampusvolumen.
Hippocampus-Areale sind um sechs Prozent kleiner
Vor allem im linken Gyrus dentatus sowie in den Ammonshorn-Bereichen C2 und C3 war das Volumen signifikant geringer als bei nicht traumatisierten Teilnehmern, und zwar im Schnitt um etwa sechs Prozent. Auch andere Hippocampus-Bereiche wie das Subiculum und Präsubiculum waren kleiner, aber jeweils nur etwa vier Prozent.
Die Ergebnisse reflektierten recht genau die Befunde von Tierversuchen, in denen gestresste Mäuse in vergleichbaren Arealen Volumendefizite aufweisen. Aus solchen Versuchen ist bekannt, dass Stresshormone die Zellteilung im Gyrus dentatus bremsen und dadurch das Wachstum anderer Hippocampus-Bereiche beeinträchtigen, in erster Linie der Region CA2/3 im Ammonshorn.
Die betroffenen Hippocampus-Areale verfügen über eine hohe Dichte von Glukokortikoid-Rezeptoren und sind an der Regulation der Hypothalamus-Hypophysen-Achse beteiligt, indem sie stressmindernd wirken.
Extreme psychische Belastungen in der Kindheit scheinen das System jedoch zu überfordern und dauerhaft zu schädigen. Der verkleinerte Hippocampus kann später auf weitere, weniger schlimme Ereignisse nicht mehr richtig reagieren. Das macht die Betroffenen dann empfindlicher für Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen oder Suchterkrankungen, vermuten die US-amerikanischen Autoren.