Ursache für Knieverletzungen
Skibindung bei Frauen meist zu hart eingestellt
Bei Frauen liegt eine häufige Ursache für Knieverletzungen beim Skifahren in schlecht eingestellten Bindungen, mutmaßen Sportwissenschaftler. Sie drängen darauf, in der ISO-Norm für Skibindungen auch geschlechtsspezifische Unterschiede zu berücksichtigen.
Veröffentlicht:INNSBRUCK. Beim Skifahren verletzen sich Frauen doppelt so häufig am Knie wie Männer, berichten die Sportwissenschaftler Dr. Gerhard Ruedl und Professor Martin Burtscher von der Universität Innsbruck. Die Einstellung der Skibindung scheint dabei eine wichtige Rolle zu spielen: In einer eigenen Studie konnten Ruedl und sein Team zeigen, dass zwischen 60 Prozent und 80 Prozent der Knieverletzungen im Hobbyskisport auf nicht aufgegangene Bindungen beim Sturz zurückzuführen waren. Die Nichtauslösung der Bindung war bei den Frauen um 20 Prozent häufiger als bei Männern (Br J Sports Med 2017; online 8. November).
Auch Selbstauslösetests, bei denen das Öffnen der Bindung provoziert wird, fielen klar zuungunsten des weiblichen Geschlechts aus: Bei den Frauen funktionierte der Mechanismus trotz korrekter Einstellung in dreimal so vielen Fällen nicht wie bei den Männern.
Richtgrößen für die Skibindung
Wie eine Skibindung eingestellt werden soll, ist in der ISO-Norm 11088 festgelegt. Schlüsselgröße ist dabei der sogenannte Z-Wert; dieser gibt die Kraft an, bei der die Bindung aufgehen soll, um Verletzungen zu vermeiden. Nach dem gegenwärtigen Standard fließen in den Z-Wert folgende Faktoren ein:
- Körpergewicht,
- Größe,
- Alter,
- Sohlenlänge des Skistiefels und
- Skifahrertyp in Abhängigkeit von Geschwindigkeit, bevorzugtem Gelände und Stil.
Für Ruedl und Burtscher ist dies jedoch nicht genug. Den Experten zufolge krankt die Norm daran, dass keine geschlechtsspezifischen Unterschiede berücksichtigt werden. Der erlaubte Z-Wert-Bereich sei viel zu breit, was vor allem für Frauen deutlich von Nachteil sei: So würde beispielsweise eine Frau mit einer Körpergröße von 167 cm und einem Gewicht von 67 kg in denselben Bereich fallen wie ein 178 cm großer und 78 kg schwerer Mann.
Die Forscher führen eine Reihe geschlechtsspezifischer Unterschiede an, die sich auf das Auslöseverhalten von Skibindungen und damit auch auf die Verletzungsrate auswirken können. Ein wichtiger Faktor sei das Drehmoment der Oberschenkelmuskulatur. Dieses nehme mit der Muskelkraft zu. Interessant dabei: Bei den Männern scheint für das Aufgehen der Bindung vor allem der Quadrizeps eine Rolle zu spielen, bei den Frauen eher die Hamstring-Muskulatur.
Frauen im Nachteil
Weitere physiologische Unterschiede betreffen unter anderem den prozentualen Fettanteil, hormonelle Faktoren – vor allem im Zusammenhang mit dem Eisprung –, die relative Kraft der Unterschenkel, die Steifigkeit des Kniegelenks und die Zugfestigkeit des vorderen Kreuzbands. Bei all diesen Kriterien, so die Forscher, seien Frauen im Hinblick auf das Verletzungsrisiko im Nachteil.
Zudem liegen die Geschlechter deutlich auseinander, was die Wahrnehmung der eigenen Geschwindigkeit auf der Piste angeht. Wie eine bei der Tagung der International Society of Skiing Safety vorgestellte Studie nachweist, bringen es Frauen in derselben Risikokategorie im Mittel auf deutlich geringere Geschwindigkeiten als Männer. So lag das mittlere Tempo einer nach Selbsteinschätzung "vorsichtigen" Fahrerin bei 40 km/h, das eines "vorsichtigen" Mannes bei 50 km/h. Ähnliches galt für die Kategorie "risikofreudig": Hier bretterten Frauen im Mittel mit 48 km/h zu Tal, Männer dagegen mit 56 km/h. Für Frauen, folgern Ruedl und sein Kollege, sei die Bindungseinstellung demnach meist zu hoch.
Bereits jetzt erlaubt der ISO-Standard eine bis zu 15-prozentige Reduktion des Z-Werts: Wenn der Skifahrer es wünscht, kann er die Bindung entsprechend weicher einstellen lassen. Den Sportwissenschaftlern zufolge gibt es Daten, die beweisen, dass sich dadurch die Zahl der ungewollten Auslösungen nicht erhöht.
Die Experten fordern, bei Frauen einen entsprechenden Korrekturfaktor einzuführen, mit dem sich die Bindungsnorm verringert. Dadurch würde sich das Risiko für Knieverletzungen bei den Skifahrerinnen wahrscheinlich deutlich reduzieren lassen. Einen Verbesserungsvorschlag haben die Forscher auch für den Selbstauslösetest: Diesen sollte man nicht nur mit dem dominanten, sondern auch mit dem nicht dominanten Bein ausführen lassen. Auf der technischen Seite könne die Lösung in neuartigen Bindungssystemen bestehen, bei denen etwa elektronische Komponenten dafür sorgen, dass der Auslösemechanismus an den individuellen Fahrstil und die jeweilige Geschwindigkeit angepasst wird.