Lancet Infectious Diseases

Studie bestätigt SARS-CoV-2-Übertragung vor ersten Symptomen

Sind mit dem Coronavirus infizierte Menschen schon ansteckend, bevor sie selbst etwas merken? Deutsche Forscher sind dieser Frage nun auf den Grund gegangen – und fanden eindeutige Hinweise.

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Der Ort, an dem das neuartige Corona-Virus erstmals in Deutschland Infektionen verursacht hat: der Autozulieferer Webasto in Gauting. In einer Studie sind jetzt die Ansteckungsvorgänge untersucht worden.

Der Ort, an dem das neuartige Corona-Virus erstmals in Deutschland Infektionen verursacht hat: der Autozulieferer Webasto in Gauting. In einer Studie sind jetzt die Ansteckungsvorgänge untersucht worden.

© Lino Mirgeler / dpa

München/London. Vier Monate nach den ersten Corona-Fällen in Deutschland haben Wissenschaftler die Ansteckungsketten der ersten Patientengruppe detailliert analysiert. Die in der Fachzeitschrift „The Lancet Infectious Diseases“ veröffentlichte Studie (online 15. Mai 2020) bestätigt, dass Infizierte bereits vor den ersten Symptomen ansteckend sein können.

Die Forscher um Merle Böhmer vom bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Udo Buchholz vom Robert Koch-Institut und Victor Corman von der Berliner Charité untersuchten die bundesweit ersten Corona-Fälle, die in Zusammenhang mit dem Autozulieferer Webasto bei München standen. Eine chinesische Kollegin hatte den Erreger bei einer Dienstreise eingeschleppt.

Bis zu sechs Ansteckungen vor ersten Symptomen

In mindestens einem der insgesamt 16 untersuchten Fälle habe ein Infizierter das Coronavirus weitergegeben, bevor er Symptome hatte, berichten die Autoren. Möglicherweise traf dies sogar für fünf weitere Fälle zu. In mindestens vier Fällen steckte ein Infizierter andere Menschen an jenem Tag an, an dem die Symptome gerade begannen. Fünf weitere Fälle könnten in diesen Zeitraum fallen, schreiben die Autoren.

Dass die Infektiosität noch vor Symptombeginn oder kurz danach erheblich sei, bedeute für Gesundheitsmaßnahmen eine riesige Herausforderung, folgert das Team. Zudem sei die Inkubationszeit, die durchschnittlich 4,0 Tage betrug, oft sehr kurz gewesen. „Eine globale Eindämmung von Covid-19 könnte schwer zu erreichen sein“, betonen die Forscher.

Nur kurz nach dem Salzstreuer gefragt

Die Studie zeigt zusätzlich, dass auch ein sehr kurzer Kontakt ausreichen kann für eine Infektion mit SARS-CoV-2. So beschreiben die Autoren den Ansteckungsvorgang zwischen Patient 4 und Patient 5 in der Ansteckungskette.

Demnach habe Patient 5 nur ein einziges Mal Kontakt zu Patient 4 gehabt – in der Kantine. Dort hätten beide Rücken an Rücken gesessen. Nur einmal habe sich Patient 5 umgedreht, um nach dem Salzstreuer des Nachbartisches zu fragen. Die Begegnung sei zudem zwei Tage vor Auftreten der ersten Symptome bei Patient 4 gewesen. Dass diese Begegnung tatsächlich die Ansteckung gebracht habe, werde auch „stark gestützt“ durch die Analyse der Virussequenz bei beiden Patienten, heißt es in der Studie.

Erschwerte Kontrolle der Pandemie

Die Problematik der Eindämmung der Pandemie wegen der frühen Übertragungsmöglichkeit unterstreichen auch Jan Rybniker und Gerd Fätkenheuer von der Uniklinik Köln in einem „Lancet“-Kommentar. „Das passt zu anderen Resultaten, die die Häufigkeit präsymptomatischer Übertragungen auf bis zur Hälfte aller Infektionen schätzen. Das ist eines der gravierendsten Hindernisse für eine Kontrolle der Pandemie.“

Im Falle einer größeren Ausbreitung reiche die traditionelle Verfolgung von Kontakten nicht mehr aus. „Daher werden neue Technologien wie Kontaktverfolgungs-Apps dringend benötigt, um die Pandemie effektiv zu kontrollieren“, betonen die Kölner Experten.

Engmaschige Kontaktverfolgung

Das betont auch Annelies Wilder-Smith von der London School of Hygiene & Tropical Medicine (LSHTM) in einem Statement: Die Studie unterstreiche die Bedeutung der Verfolgung von Übertragungsketten durch Contact Tracing und Quarantäne von Kontakten. „Alle Länder, die eine rigorose Kontaktverfolgung eingeführt haben, waren am effektivsten darin, die Zahl der Neuinfizierten klein zu halten. Südkorea, Taiwan, Hongkong, Thailand, Vietnam und Singapur sind eindeutige Beispiele für Länder, die nicht an Ressourcen und Technologie sparen, um eine rigorose Ermittlung von Kontaktpersonen durchzuführen. Alle waren erfolgreich.“ (dpa/ger)

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 19.05.202013:16 Uhr

Inkubationszeit mit hoher Viruslast und Ansteckungsfähikeit

Und ich dachte, es wäre eine Binsenweisheit, dass es bei allen Virusinfektionen in der Inkubationszeit v o r der klinischen Erst-Symptomatik o h n e präformierte Immunität oder Impfschutz zu einer massenhaften Virusvermehrung kommt, mit der der immun-inkompetente Patient nicht fertig wird, so dass die Krankheit ausbrechen kann. Bei SARS-CoV-2-Infektions-Übertragungen ist dies vor dem Auftreten der ersten Symptome sicherlich grundsätzlich nicht anders.

Wie hier in der ÄZ beschrieben: "Demnach habe Patient 5 nur ein einziges Mal Kontakt zu Patient 4 gehabt – in der Kantine. Dort hätten beide Rücken an Rücken gesessen. Nur einmal habe sich Patient 5 umgedreht, um nach dem Salzstreuer des Nachbartisches zu fragen. Die Begegnung sei zudem zwei Tage vor Auftreten der ersten Symptome bei Patient 4 gewesen."

Höchst amüsant, aber irreführend ist die Berichterstattung bei DocCheck. Dort wird der Salzstreuer selbst und nicht der persönliche Kontakt und die Mundschutz- bzw. Abstands-freie, direkte Frage nach dem Salzstreuer als Auslöser der Infektionsübertragung gesehen:
"Wie ein Salzstreuer zur Corona-Falle wurde - Sie schob es auf den Jetlag – doch der Grund für ihre Angeschlagenheit war SARS-CoV-2. Die Reise der Corona-Patientin Null zeigt einmal mehr, wie leicht das Virus übertragen werden kann. Es reicht, sich einen Salzstreuer vom Nebentisch zu leihen."
https://www.doccheck.com/de/detail/articles/27213-wie-ein-salzstreuer-zur-corona-falle-wurde

In Abwandlung des berühmten Zitats: "Schießen Sie nicht auf den Pianisten!" könnte man sagen "Schießen Sie bei SARS-CoV-2 und COVID-19 nicht auf den Salzstreuer!"

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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