USA
Studien-Wirrwarr um Testosteron-Präparate
Erhöhen Testosteron-Ersatzprodukte bei Männern mit altersabhängigem Hypogonadismus die Gefahr für Herzinfarkt und Schlaganfall? Darüber tobt in den USA eine Studien-Schlacht. Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat nun die Faxen dicke - und nimmt die Hersteller in die Pflicht.
Veröffentlicht:Ein Leitartikel von Philipp Grätzel von Grätz
CHICAGO. Die Diskussion um die Testosteronersatztherapie (TRT) bei altersabhängigem ("late onset") Hypogonadimus in den USA geht weiter. Seit März 2015 verlangt die FDA - anders als die EMA - bei TRT-Produkten nicht nur einen eindeutigen Hinweis auf die zugelassenen Indikationen, sondern auch eine Warnung vor einem möglicherweise erhöhten Risiko von Herzinfarkten und Schlaganfällen.
Seither tobt die Schlacht der retrospektiven Kohortenanalysen und Metanalysen. So wurde beim ACC 2015 eine Kohortenstudie vorgestellt, in der ein kardiovaskulärer Kompositendpunkt bei Männern mit TRT seltener auftrat als bei Kontrollprobanden.
Eine bei demselben Kongress vorgestellte Metaanalyse von 29 allerdings extrem heterogenen Studien fand keinen Anhalt für ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko.
Ein weitere, vor wenigen Tagen im "European Heart Journal" publizierte und recht große US-Kohorte, die der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie sogar eine Pressemeldung wert war, fiel ebenfalls günstig für die TRT aus.
Dagegen war die TRT in einer bei der 97. Jahrestagung der US-amerikanischen Endocrine Society vorgestellten, prospektiven Studie mit einem niedrigeren HDL-Level und damit potenziell höherem kardiovaskulärem Risiko assoziiert.
Position der FDA noch einmal klargestellt
Im "New England Journal of Medicine" äußern sich jetzt sechs FDA-Mitarbeiter um die Behörden-Vizechefin Christine Nguyen zu der schwelenden Kontroverse und legen die Position der Behörde noch einmal klar dar (NEJM 2015; 373: 689).
Sie weisen darauf hin, dass Testosteronprodukte auf Basis einer Verbesserung der Serumkonzentration von Testosteron ausschließlich für Patienten mit klassischem, ursächlich klar definiertem Hypogonadismus zugelassen würden.
Dazu zählt die Behörde das Klinefelter-Syndrom sowie Hypophysenverletzungen und toxische Hodenschädigungen. Nicht verlangt werde für die FDA-Zulassung, dass mit Testosteronmangel in Zusammenhang gebrachte Symptome wie Antriebslosigkeit, Muskelschwäche oder erektile Dysfunktion gelindert würden.
Das seien aber genau die Symptome, wegen derer die TRT in aller Regel Männern mittleren Alters verordnet werde.
Mit anderen Worten: Weder stimme in der Mehrheit der Fälle - die FDA-Experten reden von mehr als 80 Prozent der US-Verordnungen - die Indikation, noch könne eine Linderung männlicher "Klimakteriumssymptome" aus der FDA-Zulassung abgeleitet werden.
Trotzdem boomt die Therapie: Zwischen 2010 und 2013 hat sich den FDA-Daten zufolge die Zahl der Männer mit TRT in den USA auf 2,2 Millionen annähernd verdoppelt, wobei die Therapie im Mittel nur ein halbes Jahr erfolgt.
Mit diesem Hintergrund, weniger mit den realen Daten, begründen die FDA-Experten ihre kritische Haltung zur kardiovaskulären Sicherheit der Präparate.
Was die tatsächlichen Sicherheitsdaten angeht, enthält der New England-Beitrag wenig Neues: Es gibt sowohl Kohortenstudien und Metaanalysen, die ein erhöhtes als auch solche, die ein geringeres Risiko zu demonstrieren scheinen. Prospektive, randomisierte Sicherheitsstudien in adäquater Größe fehlen.
Die genau fordert die FDA jetzt von den Herstellern der TRT-Produkte. Angeregt wird, dass sich die unterschiedlichen Hersteller dafür zusammentun und eine entsprechend gepowerte Studie gemeinsam auflegen.
Was es gibt, ist die ebenfalls gerade erst im JAMA publizierte, randomisierte TEAAM (Testosterone's Effects on Atherosclerosis Progression in Aging Men) Studie.
Die Untersuchung ging der Frage nach, ob eine TRT bei Männern mit niedrigen oder niedrig-normalen Testosteronspiegeln die Progression der Atherosklerose hemmt (JAMA 2015; 314: 570).
Das tut sie zumindest über einen Zeitraum von drei Jahren nicht: Bei 308 Männern ab 60 gab es keinen Unterschied in Intima-Media-Dicke und koronarem Kalzium-Score, TRT hin oder her.
Auch sexuelles Begehren, Libido, erektile Funktion und einige andere Parameter aus dem männergesundheitlichen Kosmos unterschieden sich nicht.
In Europa hält man sich bedeckt
Die Europäer halten sich derweil vorläufig bedeckt: Das BfArM verweist im Einklang mit anderen europäischen Behörden weiterhin darauf, dass die Hersteller bis Ende März 2016 einen allerdings nur auf existierender Literatur sowie eventuellen unveröffentlichten Studiendaten basierenden Sicherheitsbericht vorlegen müssen. Das Thema ist sozusagen auf Wiedervorlage.
Bei den deutschen Endokrinologen sind die Signale widersprüchlich. Einerseits lautet die Position der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), dass es Wechseljahre des Mannes nicht gebe.
Andererseits legt man sich fest, dass drei bis fünf Prozent der 60- bis 79-jährigen Männer einen Testosteronmangel aufwiesen, der "Libidomangel und andere Symptome wie erektile Dysfunktion erklärt".
In diesen Fällen sei eine Testosteronbehandlung begründet. Rechnet man das hoch, dann ist man freilich auch hierzulande für etwas, das es nicht gibt, rasch bei einer stattlichen Zahl von potenziellen Patienten.