Mehnert-Kolumne
Sulfonylharnstoffe bergen erhebliche Risiken
Britische Forscher haben die Lebenserwartung von Patienten unter der Behandlung mit SuH mit anderen Antidiabetika verglichen. Die Ergebnisse sind eindeutig.
Veröffentlicht:CARDIFF. Vor kurzem wurde von Christian Bannister und Kollegen von der Universität Cardiff eine Studie vorgelegt, in der retrospektiv die Lebenserwartung unter der Behandlung mit Metformin mit der Lebenserwartung unter Sulfonylharnstoff (SuH) verglichen worden war (Diabetes, Obesity and Metabolism 2014; 16: 1165).
Prof. Hellmut Mehnert
Arbeitsschwerpunkte: Diabetologie, Ernährungs- und Stoffwechselleiden: Diesen Themen widmet sich Prof. Hellmut Mehnert seit über 50 Jahren.
Erfahrungen: 1967 hat er die weltweit größte Diabetes-Früherfassungsaktion gemacht sowie das erste und größte Schulungszentrum für Diabetiker in Deutschland gegründet.
Ehrung: Er ist Träger der Paracelsus-Medaille, der höchsten Auszeichnung der Deutschen Ärzteschaft.
In der Untersuchung hatte man Daten aus einem britischen Register analysiert, und zwar von 78.241 Patienten unter Metformin, 12.222 Patienten unter SuH und von je gleich vielen Kontrollpersonen.
Ergebnis: Die Sterberate binnen 2,4 Jahren war unter Metformin mit 14,4 Todesfällen pro 1000 Personenjahre sogar etwas niedriger als unter den gesunden Kontrollpersonen (15,2 Todesfälle/1000 PJ).
Unter SuH gab es aber fast doppelt so viele Todesfälle wie bei den Kontrollen (50,9 vs. 28,7 Todesfälle pro 1000 PJ). Die Sterberate war in diesem Studienarm insgesamt höher, weil Patienten und Kontrollen in der Gruppe älter waren (67,8 Jahre im SuH-Arm, 61,2 im Metformin-Arm).
Die Studie gibt einen weiteren Hinweis darauf, dass SuH ein erhebliches Risiko für Folgeschäden bedingen.
So könnten latente Hypoglykämien unter SuH-Therapie Gefäßschäden fördern. Nach Gallwitz und Nauck werden 40 bis 80 Todesfälle infolge von Hypoglykämien unter Therapie mit SuH in Deutschland pro Jahr beobachtet. Ähnliche Ergebnisse brachten Studien von Holstein bei hypoglykämischen Intensiv-Patienten.
Kombination von Risikofaktoren
Eine italienische Studie bei 3500 unterzuckerten Notfallpatienten ergab, dass jeweils knapp die Hälfte der Patienten SuH erhalten hatte und/oder kardiovaskuläre Vorschädigungen aufwies.
Letzteres ist eine besonders unerfreuliche Kombination von Risikofaktoren, sodass es nicht verwundert, wenn von den wegen Hypoglykämien stationär behandelten Diabetikern 9,8 Prozent gestorben sind.
Weitere Nachteile der SuH sind in der zum Beispiel bei älteren Patienten bis zu 50 Prozent erhöhten Sturzgefahr zu sehen sowie darin, dass in der Folge 5,5 Prozent dieser Patienten langfristig und unter hohen Kosten stationär behandelt werden mussten.
Und schließlich ist zu bedenken, dass alle Studien den nachteiligen Effekt der SuH im Hinblick auf die Zunahme des Körpergewichts - im Gegensatz zu anderen modernen Antidiabetika - zeigten.
Patienten müssten solchen Risiken nicht ausgesetzt werden. Wir haben mit Metformin, DPP4-Hemmern, GLP1-Rezeptor-Agonisten und SGLT2-Rezeptoren-Hemmern Substanzen zur Verfügung, die keine Unterzuckerungen hervorrufen!
Ärzte wollen SuH nicht für sich
Professor Stephan Jacob und seine Kollegen haben mehr als 1000 Ärzte zum Thema befragt. Im Falle einer eigenen Typ-2-Diabetes-Erkrankung würde weniger als ein Prozent der Kollegen einen SuH als primäres Antidiabetikum auswählen und - fast noch wichtiger - weniger als fünf Prozent wurden einen SuH als Kombinationspartner aussuchen.
Auch wenn SuH scheinbar kostengünstig sind (was wegen der geschilderten Folgeschäden fraglich ist) und besonders stark den Blutzucker senken, sollte man aus den angeführten Gründen keine Patienten mehr auf diese Medikamente einstellen.
Oft hört man, dass man optimal normoglykämisch behandelte SuH-Patienten nicht umzustellen braucht. Das Gegenteil ist richtig: Gerade solche Diabetiker sind unter gegebenen Umständen besonders gefährdet, eine schwere Hypoglykämie zu erleiden; denn sie befinden sich ja bereits in ihrer Stoffwechseleinstellung in unmittelbarer Nähe der deletären Hypoglykämie.
Wenn wir selbst aus guten Gründen uns gemäß der Jacob-Studie nicht mit SuH behandeln würden, dürfen wir dann bei den uns anvertrauten Patienten diese schädlichen Substanzen noch verordnen?