Netzwerke der Zukunft

Telemedizin: Vom Schlaganfall lernen für andere Notfälle

Die Versorgung von Patienten mit akutem Schlaganfall ist eine der großen Erfolgsgeschichten der Telemedizin. Die Entwicklung könnte weitergehen: Gehört die Zukunft breit aufgestellten Netzwerken, die viele neurologische Indikationen einbeziehen?

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Telemedizinprojekte bekommen im Rahmen der Pandemie deutlichen Aufschwung.

Telemedizinprojekte bekommen im Rahmen der Pandemie deutlichen Aufschwung.

© Zerbor / stock.adobe.com

Berlin. Seit COVID-19 ist die Telemedizin ein großes Thema. Niedergelassene bieten Videosprechstunden an. Krankenhäuser verlagern Teile der Versorgung in die vier Wände der Patienten. Andere binden zumindest jene Patienten digital an, bei denen dringende, aber nicht notfallmäßige Eingriffe verschoben werden müssen. Insgesamt besteht viel Grund zur Hoffnung, dass es die Telemedizin in den Zeiten nach COVID-19 in Deutschland einfacher haben wird als zuvor.

Das gilt auch für die Neurologie. Zwar sind die Tele-Stroke-Netze einer jener wenigen Bereiche, in denen die Erstattung der Telemedizin schon seit Jahren zufriedenstellend geregelt ist. Doch telemedizinisch affine Neurologen wie Professor Heinrich Audebert von der Charité Berlin, der einst mit dem bayerischen TEMPiS-Netzwerk einer der Tele-Stroke-Pioniere weltweit war, denken über den Schlaganfall hinaus: Auch bei anderen Patienten wäre neurologische Spezialexpertise am Notfallort oder am Patientenbett in vielen Fällen hilfreich und ist längst nicht immer sofort verfügbar.

Zielgerade lässt hoffen

Hier setzt das in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern angesiedelte ANNOTeM-Projekt an. Es war das erste große Telemedizinprojekt, das im Rahmen des Innovationsfonds gefördert wurde. Und entsprechend ist es jetzt auch eines der ersten Projekte, das auf die Zielgerade einbiegt.

„Tag gegen den Schlaganfall“

Der alljährlich bundesweit am 10. Mai stattfindende „Tag gegen den Schlaganfall“ steht in diesem Jahr unter dem Motto: „Digitale Helfer: Mit Apps gegen den Schlaganfall“. Der „Tag gegen den Schlaganfall“ wurde von der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe ins Leben gerufen.

Zwar steht die abschließende Evaluation noch aus. Sie soll im Lauf der nächsten Monate stattfinden. Schon jetzt deutet sich aber an, dass die Zufriedenheit der teilnehmenden Einrichtungen hoch ist und dass relevante Qualitätsindikatoren in die richtige Richtung weisen.

Das ANNOTeM-Projekt ist vom technischen und organisatorischen Konzept her ein Tele-Stroke-Netz, und Schlaganfälle sind ein wichtiger Bestandteil der täglichen telemedizinischen Arbeit. Aber auch bei Status epilepticus, akuter Wirbelsäulenverletzung, Hirnhautentzündung oder generell bei komatösen Patienten werden die Teleneurologen aktiv.

200 Videokonsultationen im Monat

Insgesamt vier neurologische Schwerpunktkliniken sind mit elf kleineren Häusern in einer Region von bis zu zweieinhalb Autostunden um Berlin vernetzt. Abgewickelt werden aktuell rund 200 Audio-Video-Konsultationen bei neurologischen Notfallpatienten pro Monat.

ANNOTeM konnte zum einen bestätigen, was schon länger bekannt ist und vielfach gezeigt wurde: Richtig gemacht, ist die Schlaganfall-Telemedizin ausgesprochen effektiv: Die elf kleineren Kliniken im Netzwerk erreichen eine Thrombolyserate von 15 Prozent und eine Thrombektomierate von fünf Prozent. Dies gelinge bei einer Transportrate in Richtung Schwerpunktzentrum von etwa 15 Prozent, ein sehr gutes Ergebnis, wie Audebert kürzlich bei einem Leopoldina-Symposium betonte.

Auch jenseits der Indikation Schlaganfall gibt es erste Daten. Die Evaluation und die Publikation der Projektergebnisse werden hier ein viel umfangreicheres Bild zeichnen.

Komplikationen gehen zurück

So erfolgt im ANNOTeM-Netz jetzt bei 70 Prozent statt vorher 50 Prozent der neurologischen Notfallpatienten ein Schluck-Screening: „Parallel dazu sind die Komplikationen zurückgegangen“, so Audebert. Für Epilepsie-Notfälle wurde zudem ein EEG-Helm entwickelt, mit dem die Hirnströme auch nachts und am Wochenende messbar werden.

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Die entscheidende Frage bei ANNOTeM wie auch bei anderen Telemedizinprojekten, die im Rahmen des Innovationsfonds gefördert werden, lautet: Macht das Gesundheitswesen sein Versprechen wahr und überführt erfolgreiche Projekte rasch in die Regelversorgung? Hilft im speziellen Fall der Telemedizin vielleicht sogar indirekt die COVID-19-Pandemie dabei, die jedem den Nutzen der Telemedizin sehr plastisch vor Augen führt?

Das letzte Wort hat hier der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA). Auf den wollen die ANNOTeM-Projektpartner aber nicht warten: Die beteiligten Krankenhäuser haben sich erst einmal auf eine Übergangsfinanzierung geeinigt, bei der die kleinen Kliniken für die Telekonsultationen zumindest bis in den Herbst hinein bezahlen. Weitermachen wollen alle.

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