Ernährung

Veganer geraten ins Abseits

Als "Soja-Salafisten" oder "Vegan-Mafia" werden sie verunglimpft: Veganer sind für manche nicht mehr nur Menschen, die auf tierische Produkte verzichten, sondern ein rotes Tuch. Warum ist das so?

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Veganer stehen nicht im besten Ruf.

Veganer stehen nicht im besten Ruf.

© Natalia Klenova / stock.adobe.com

BERLIN Der Tenor der Kritik ist eindeutig: Nichts ist mehr vor Veganern sicher. Nicht einmal mehr Kinderlieder. Nach Berichten vor einigen Wochen über die Bitte einer Veganerin, das Lied "Fuchs, du hast die Gans gestohlen" aus dem Repertoire des Glockenspiels in Limburg zu nehmen, verstanden manche keinen Spaß. Der Bürgermeister, der der Frau den Gefallen tat, wurde ebenso angefeindet wie die Veganerin.

Vor allem Speisekarten-Streits zeigen bislang, wie weit die Lager voneinander entfernt sind – selbst wenn es "nur" um Vegetarismus geht: Angefangen bei der Idee der Grünen 2013, einen Veggie Day in öffentlichen Kantinen zu empfehlen, bis hin zur Anordnung von Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), im Ministerium fleischfreies Catering zu bieten.

Freunde der Gemüsekost

Selbst in der Grünen-Hochburg Berlin-Kreuzberg leben nicht nur Freunde von Gemüsekost. Seit Herbst 2016 erhitzt das nach eigenen Angaben bundesweit erste Bürgerbegehren für mehr vegane Gerichte in Bezirks-Kantinen so manches Gemüt – zum Beispiel das eines langjährigen Kantinenwirts, der sich vegan nicht antun will. Und unter anderem aus diesem Grund aufhört, wie er mehreren Medien sagte.

Dabei ist noch lange nicht klar, ob die Initiatoren mit ihrem Wunsch nach mehr veganer Auswahl durchkommen. Wohlgemerkt, um einen Fleischbann geht es ihnen nicht. Auch in Limburg gibt es kein Fuchs-und-Jäger-Verbot: Die Frau habe nett gefragt, sagte der Bürgermeister. Zudem solle das Lied in Zukunft wieder zu hören sein.

Und doch sind etwa Facebook-Gruppen mit Namen wie "Veganer raus aus Deutschland" beliebt. Warum der Spott? Tierschutz ist eigentlich in Mode. Ebenso wie milch-, ei-, honig-, butter- und sahnefreie Torten in einschlägigen Berliner Cafés. Sogar einige Profi-Sportler bekennen, dass sie ohne Fleisch in Form kamen.

Angriff auf die eigene Lebensweise

Um Feindbilder geht es aus Sicht des Berliner Tierethikers Bernd Ladwig nur bedingt: "Die Vorstellung des Veganers als Fanatiker, die ist heute nicht mehr so festgefahren", sagt er. Aus der Perspektive vieler Menschen, die alles essen, seien vegane Ideen allerdings Eingriffe, wenn nicht sogar Angriffe auf die eigene Lebens- und Ernährungsweise. "Veganismus ist eine radikale Infragestellung dessen, was Leute immer gemacht haben", sagt Ladwig.

Ernährung ist aus Expertensicht auch eine Form der Identitätsbildung geworden, die Sicherheit in einer zunehmend unsicheren Welt verheißt. Thomas Ellrott vom Institut für Ernährungspsychologie der Uni Göttingen sagte vergangenes Jahr: Wenn tradierte Ordnungssysteme wie Religion und Familie an Bedeutung einbüßten, nehme die Suche nach Sinn und Identitätsstiftung an anderer Stelle zu. Hinzu kommt: Nicht immer achteten Organisationen auf die Außenwirkung ihrer Lobbyarbeit. Inzwischen wissen aber viele, wie schnell sich Andersdenkende bevormundet fühlen. Und dass man mit mancher Forderung sein Anliegen der Lächerlichkeit preisgibt, statt ein Umdenken auszulösen. Ein "aus den Fugen geratenes Verständnis von Wichtigkeit" zeigt sich für Wissenschaftler Ladwig in manchen Kampagnen – auch wenn es zum Beispiel um Sprachregelungen geht. 2012 versuchte die Tierschutzorganisation Peta, die Gemeinde Finning in Oberbayern zu einer Umbenennung zu bewegen. Finning steht im Englischen für das Abtrennen von Hai-Rückenflossen, um sie zu essen oder zu Medizin zu verarbeiten. Die Bayern — Überraschung — weigerten sich.

Selbst die englische Notenbank sah sich kürzlich in das Thema involviert: Knapp 135.000 Menschen hatten per Online-Petition gefordert, dass bestimmte neue Geldscheine künftig ohne tierisches Fett hergestellt werden. Auch hier gibt es kein Einlenken.

Dass Menschen solche Inhaltsstoffe recherchieren, kann Nicht-Veganer verwundern. Tatsächlich sind Verbraucheranfragen für manche Veganer auch in Zeiten veganer Discounterprodukte noch wichtig. (dpa)

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Kommentare
Uwe Herrmann 05.05.201708:53 Uhr

Es ist doch immer wieder erbaulich...

...derart ausgewogene und sprachlich fein ziselierte Leserbriefe zu lesen. Und so gehaltvoll in den Aussagen, dabei garnicht entwertend formuliert. (Ironiemodus Ende)

Es mag ja sein, dass Sie als Tierarzt sehr viel über den Verauungstrakt von Gorillas und die Ernährungsgewohnheiten von Orang Utans wissen, Herr Dr. med. vet. Grünwoldt. Aber in keinem Wort Ihres Leserbriefs finde ich etwas über Affen, die sich die Nahrungsbestandteile ihres Essens durch Garen o.ä. besser erschließen. Oder sollte diese Fähigkeit, die evolutionär einen Riesenvorteil gegenüber Rohverzehr darstellt, etwa tatsächlich nur beim Menschen vorkommen? Und das sowohl bei den meisten Veganern, Vegetariern und auch bei den Fleischessern, von wenigen Ausnahmen, bei denen das Fleisch roh verzehrt wird (mit allen damit verbundenen Risiken und Nebenwirkungen wie Salmonellen, EHEC, ...). Ebenfalls kein Wort finde ich darüber, wie sich der zunehmende Fleischhunger der Welt auf Dauer stillen lässt.

Die Erzeugung von Fleisch (eigentlich ein unsäglicher Euphemismus für die artwidrige Aufzucht und Tötung von jährlich fas 60 MILLIARDEN atmender, fühlender und leidensfähiger Mitwesen, eine Tatsache, die Sie als Tierarzt wohl kaum leugnen können,kostet so viele Ressourcen (Pflanzen, Wasser, gerodete Urwälder,...), dass die Frage nach der Herkunft der Kapazitäten in näherer und weiterer Zu8kunft dafür wohl erlaubt ist.

Meine zentrale Frage ist aber: Warum kann man die Menschen sich eigentlich nicht so ernähren lassen, wie sie es für richtig halten? Ich gebe gerne zu, dass unter den Veganern genügend Vertreter gibt, die sich tatsächlich zu Moralisten ernennen und den Rest der Menschheit unqualifiziert entwerten. Aber die meisten mir bekannten Veganer, mich selbst eingeschlossen, tun das nicht, sondern versuchen allenfalls, Beispiel für einen alternativne Ernährungstil zu sein. Und nur am Rande sei erwähnt, dass viele Ernährungsspezialisten (die für Humannahrung, nicht die für Tiernahrung!) eine ausgewogene vegane Ernährung als überaus gut geeignet für jede Lebenssituation erachten. Und von wenigen auf alle zu schließen disqualifiziert sich schon a priori.

Ich sehe uns Veganer letztendlich nicht als Methan-pupsende Altweltaffen, HERR Doktor, sondern als Menschen, die sich über Ethik und die Zukunft der Menschheit und des Planeten Erde viele Gedanken machen und daraus ihre Konsequenzen gezogen haben. Wir können nicht auf Dauer mehr verbrauchen, als vorhanden ist. Und was nun letzlich richtig ist, lässt sich ja ohnehin nur im Rückblick feststellen - frei nach Kierkegaard: ''Man kann sein Leben nur rückwärts verstehen, leben muss man es aber vorwärts.'' In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern und auch der Redaktion der Ärztezeitung ein angenehmes und erholsames Wochenende.
Uwe Herrmann, Heidelberg

Horst Grünwoldt 04.05.201711:28 Uhr

Ernährung

Die "vegane Bewegung" wird offenbar von Ernährungs-Ideologen betrieben!
Oder hat das absolut tierisch-eiweißfreie Essen schon zu Hirn-Mangelschäden geführt?
Ideologisch ist vor allem die abwegige Assoziation und Beschimpfung, Fleisch-Fisch-und Eieresser, sowie Kuhmilchtrinker mit Tierquälern gleichzusetzen. Das ist wahrlich unverschämt und demagogisch!
Die bewußte Ignoranz gegenüber gesunden und ausgewogenen Ernährung in einer Leistungsgesellschaft, sollten eigentlich unsere studierten Ökotrophologen brechen. Und unsere "Fernseh-Starköche" sollten etwas über Kultur- und Genußwert einer vielseitigen Nahrungszubereitung und dem Essen vermitteln.
Gewiß können auch Zahnärzte und Gastro-Enterologen zur gesunden Menschenernährung aufklären.
Als Tierarzt ist mir aber unter den Primaten nur eine einzige Art bekannt, die sich absolut vegan ernährt. Das ist der Gorilla. Und der kann das alleine aufgrund seines evolutionär verlängerten Darms mit einem vergrößerten Blinddarm, und dessen Protozoen-Besiedlung wie bei den Ruminata oder Equiden. Deren "Bio-Reaktor" kann nämlich aufgrund der Einzeller-Anzucht auf dem Grünzeug, anschließend deren Eiweiß selbst körpereigen verwerten und entsprechende Muskelmassen aufbauen. (Ähnlich dürften die Verhältnisse vielleicht noch bei den "Waldmenschen" (Orangs) sein, obwohl der auch schon gelegentlich Termiten und Insektenlarven verspeist)
Das können wir aber nicht mit unserem Wurmfortsatz!
Im übrigen ist der körperlich starke Gorilla aufgrund seiner schweren und langwierigen Verdauung zur weitgehenden Passivität verdammt.
Die "Veganer" möchte ich noch fragen, ob sie sich vorstellen können,
dass unser Planet eines Tages von 9 Milliarden Methan-Pupsern besiedelt wird, wie der Altweltaffe unter den Homoniden das schon heute ist?
Dr. med. vet. Horst Grünwoldt, Rostock

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