Hinweise aus zwei Studien

Verkürzen Fertiggerichte das Leben?

Menschen, die viel Fertiggerichte essen, erkranken häufiger an Krebs sowie Herzkreislauf-Leiden und müssen mit einem verkürzten Leben rechnen. Welchen Anteil die Ernährung tatsächlich daran hat, lässt sich wie immer nur schwer sagen.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Ein Jägertopf aus der Alu-Schale. Wohl bekomms.

Ein Jägertopf aus der Alu-Schale. Wohl bekomms.

© Yvonne Bogdanski / stock.adobe.com (Symbolbild)

PARIS / PAMPLONA. Industriell stark verarbeitete Lebensmittel wie Tiefkühlpizza, Fastfood, Chips, Wurst, Schokolade, Eiscreme oder zuckerhaltige Limonaden haben zu Recht kein gutes Image: Zu viel konzentrierte Kalorien, zu viel gehärtetes Fett, zu viel Salz und Zucker, zu wenig Vitamine und Ballaststoffe – eine gesunde Ernährung sieht anders aus.

Es liegt auf der Hand, dass eine Diät überwiegend aus solchen Nahrungsmitteln Adipositas, Diabetes und damit letztlich auch Herzkreislauferkrankungen sowie ein vorzeitiges Lebensende begünstigt.

Liegt es an der Verarbeitung oder an der Zusammensetzung?

Ob dies jedoch primär an der ungünstigen Nährstoffzusammensetzung, der hohen Kaloriendichte oder auch an der industriellen Verarbeitung durch Erhitzen, Emulgieren, Hydrolysieren und Konservieren liegt, ist eine andere Frage.

So gibt es durchaus Kritik an dem Konzept, Nahrungsmittel nach dem Grad der industriellen Verarbeitung einzuteilen, um deren Gesundheitswert zu beurteilen.

Viele Experten halten die Nährstoffzusammensetzung für relevanter als den Verarbeitungsgrad. Auf der anderen Seite gibt es zwischen beiden Faktoren eine klare Korrelation: Je stärker verarbeitet ein Lebensmittel ist, umso ungünstiger ist in der Regel die Zusammensetzung der Inhalts- und Nährstoffe.

Das muss jedoch nicht zwangsläufig so sein, es gibt es auch Stimmen, Verarbeitungsprozesse so zu verändern, dass gesündere Lebensmittel entstehen.

Immerhin scheint die Menge an konsumierten hochverarbeiteten Lebensmitteln derzeit ein guter Marker für eine ungesunde Ernährung und einen ungünstigen Lebensstil zu sein. Darauf deuten zwei große prospektive Kohortenstudien.

In der einen ergab sich ein deutlich erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen unter Teilnehmern, die viel Fertigprodukte aßen und tranken, in der anderen war die Sterberate bei solchen Personen um fast zwei Drittel erhöht.

23 Prozent erhöhte Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse

In der Studie NutriNet-Santé prüften Epidemiologen um Bernard Srour von der Sorbonne in Paris den Zusammenhang von hochverarbeiteten Nahrungsmitteln und Herzkreislauferkrankungen bei 105.000 erwachsenen Personen (BMJ 2019;365:l1451)

Die Probanden wurden aus der Allgemeinbevölkerung über multimediale Kampagnen gewonnen und im Schnitt 5,7 Jahre lang nachbeobachtet. Alle hatten anfangs noch keine kardiovaskulären Leiden.

Zu Beginn beantworteten sie online Fragen zu soziodemografischen Faktoren und Lebensstil. Alle füllten zu Beginn auch Ernährungsfragebögen aus, anhand derer die Forscher den Anteil von stark verarbeiteten Nahrungsmitteln ausrechnen konnten.

NOVA-Klassifikation für verarbeitete Nahrungsmittel

Gruppe 1: Nicht oder kaum verarbeitete Lebensmittel. Dazu zählen nichtverarbeitete Früchte, Samen, Wurzeln, Milch sowie erhitztes Ei und Fleisch, sofern solche Produkte nach der Ernte oder dem Schlachten nur gereinigt, gekühlt, gefroren, erhitzt oder fermentiert wurden. Lebensmittel werden nur dann dieser Gruppe zugeordnet, wenn die Verarbeitungsschritte dazu dienen, diese überhaupt genießbar oder in ihrem natürlichen Zustand haltbar zu machen.

Gruppe 2: Verarbeitete Nahrungszutaten. Hierzu gehören Pflanzenöle, Butter, Salz und Zucker. Solche Bestandteile werden ausschließlich zur Zubereitung von Gerichten verwendet und nicht direkt konsumiert. Sie enthalten nicht selten Zusatzstoffe wie Antioxidantien, Iod oder Substanzen, die ein Verklumpen verhindern.

Gruppe 3: Verarbeitete Lebensmittel. Sie bestehen hauptsächlich aus Gruppe-1-Lebensmitteln, die durch Kochen, Backen, Fermentieren oder Konservieren haltbarer gemacht oder im Geschmack verändert werden. Beispiele sind Käse, Brot, Fisch-, Obst- und Gemüsekonserven.

Gruppe 4: Hochverarbeitete Nahrungsmittel. Sie enthalten kaum noch komplette Gruppe-1-Lebensmittel, sondern nur noch Auszüge aus diesen und teilweise stark verarbeitete Gruppe-2-Bestandteile wie gehärtete Fette, Invertzucker oder hochfruktosehaltigen Maissirup. Die Bestandteile werden mithilfe von Zucker, Salz, Gewürzen und anderen Additiven wie Farbstoffen, Geschmackstoffen und Geschmacksverstärkern neu zusammengesetzt. Beispiele sind Chips, Cornflakes, Süßigkeiten, Limonaden, Wurst oder Fischstäbchen. Solche Nahrungsmittel bestehen zumeist aus billigen Grundsubstanzen, werden jedoch mit speziellen Fertigungstechniken und Additiven geschmacklich aufgepeppt, sind lange haltbar und lassen sich relativ teuer vermarkten – Kartoffelchips kosten pro Kilo rund zehnfach mehr als Kartoffeln.

Sie verwendeten dafür die vierstufige NOVA-Klassifikation. Nach dieser bestehen hochgradig verarbeitete Nahrungsmittel praktisch ausschließlich aus isolierten und verarbeiteten Nahrungsbestandteilen.

Die Studienteilnehmer wurden alle sechs Monate erneut aufgefordert, ihre Ernährung über einen Tag hinweg genau zu erfassen und ihren Gesundheitsstatus zu dokumentieren, etwa über Arztbefunde und Arztbriefe. Die Angaben überprüften die Forscher, soweit möglich, über medizinische Datenbanken oder durch Kontakt mit den betreuenden Ärzten. 80 Prozent der Teilnehmer waren Frauen, das Alter betrug anfangs im Mittel 43 Jahre.

Vier Gruppe gebildet

Das Team um Srour gliederte die Teilnehmer entsprechend ihres Konsums an hochverarbeiteten Lebensmitteln in vier gleich große Gruppen. Personen mit dem höchsten Anteil (31 Prozent) an solchen Nahrungsmitteln waren deutlich jünger (im Mittel 36 Jahre), weniger gebildet, trieben weniger Sport und nahmen mehr Kalorien über die Nahrung auf als jene mit dem geringsten Anteil (17 Prozent) an Fertignahrung.

Im Studienverlauf registrierten die Forscher mehr als 1400 erstmalig auftretende kardiovaskuläre Ereignisse. Korrigiert nach Alter und Geschlecht kam es auf 100.000 Personenjahre zu 242 Ereignissen im Quartil mit dem niedrigsten Konsum an Fertignahrung und 277 Ereignissen im Quartil mit dem höchsten Konsum.

Wurden der Lebensstil, Begleiterkrankungen und sämtliche bekannten soziodemografischen Faktoren berücksichtigt, ergab sich in der Gruppe mit dem höchsten Konsum an Fertiggerichten eine um 23 Prozent erhöhte Rate für kardiovaskuläre Ereignisse, die Raten für KHK und Schlaganfälle waren um 18 und 23 Prozent gesteigert.

Mortalität um zwei Drittel erhöht

In einer deutlich kleineren, dafür aber länger dauernden Studie analysierten Präventionsmediziner um Anaïs Rico-Campà von der Universität in Pamplona Sterbefälle in der SUN-Kohorte (Seguimiento Universidad de Navarra).

Teilnehmer sind hier Uniabsolventen, die seit 1999 regelmäßig nach Lebensstil und Ernährung befragt werden. Die Forscher konnten Daten von knapp 20.000 Absolventen auswerten, die seit mindestens zwei Jahren an dem Projekt teilnahmen (BMJ 2019;365:l1949).

Bei der Aufnahme waren die Teilnehmer im Schnitt 38 Jahre alt, die Nachbeobachtungsdauer betrug im Median 10,4 Jahre. Wiederum teilten Forscher sämtliche Personen entsprechend ihres Konsums an Fertigprodukten in vier gleich große Gruppen ein, maßgeblich war hier jedoch nicht der Anteil an der Gesamternährung, sondern die Portionszahl.

Teilnehmer im Quartil mit dem niedrigsten Konsum verzehrten täglich weniger als zwei, solche mit dem höchsten mehr als vier Portionen Fertignahrung. Letztere rauchten öfter, waren etwas dicker, schauten häufiger fern oder saßen vor dem Computer und bewegten sich deutlich weniger – sie führten also auch insgesamt ein ungesünderes Leben.

Sterberate pro Portion um 18 Prozent erhöht

Die Forscher um Rico-Campà registrierten 335 Todesfälle unter den Teilnehmern, Hauptursache war – in dieser Altersgruppe wenig erstaunlich – eine Krebserkrankung. Wurden Alter, Geschlecht und sämtliche bekannten Begleitfaktoren berücksichtigt, ergab sich für Personen im Quartil mit dem höchsten Konsum von Fertignahrung eine um 62 Prozent höhere Sterberate als beim Viertel mit dem niedrigsten Konsum, im Quartil mit dem zweithöchsten Konsum war die Rate noch um 38 Prozent erhöht.

Für jede zusätzliche Portion Fertignahrung ergibt sich nach den Studiendaten eine um 18 Prozent erhöhte Sterberate bezogen auf zehn Jahre. Der Effekt war erwartungsgemäß bei älteren und adipösen Teilnehmern stärker ausgeprägt.

Interessant ist, dass zuvor bereits eine Auswertung der NutriNet-Santé-Studie ein erhöhtes Krebsrisiko bei Liebhabern von Fertignahrung offenbarte. Hochverarbeitete Lebensmittel könnten also das Leben jüngere Menschen vor allem durch Krebserkrankungen, das älterer durch Herzinfarkte und Schlaganfälle verkürzen.

Mit solchen Schlussfolgerungen sollte man jedoch vorsichtig sein, da ein kausaler Bezug bei Ernährungsfragen stets schwierig ist. Eine ungesunde Ernährung geht fast immer mit einem generell ungesunden Lebensstil einher, und dessen Implikationen lassen sich nicht immer klar erfassen und von Ernährungseffekten trennen.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 08.06.201914:01 Uhr

Studien-"Bias": Morbiditäts- und Mortalitäts-Last bewirken selbst Anteile an "ultraprocessed food"!

Zu den beiden hier von Thomas Müller in der Ärzte Zeitung hervorragend und kritisch referierten Studien gesellt sich eine Dritte:
"Association Between Ultraprocessed Food Consumption and Risk of Mortality Among Middle-aged Adults in France" von Laure Schnabel et al. https://jamanetwork.com/journals/jamainternalmedicine/article-abstract/2723626

JAMA Intern Med. 2019;179(4):490-498. doi:10.1001/jamainternmed.2018.7289
fasst folgende Kernpunkte zusammen: Ist hoher Konsum von maximal weiterverarbeiteten Nahrungsmitteln mit einem Anstieg beim Gesamtmortalitäts-Risiko assoziiert?
Ergebnisse - in dieser Kohortenstudie mit 44.551 französischen Erwachsenen ab 45 Jahren war ein 10-prozentiger Anstieg des Anteils von maximal weiterverarbeiteten Nahrungsmittel-Konsum statistisch signifikant mit einem 14 Prozent höheren Gesamtmortalitäts-Risiko assoziiert...
Doch die Bedeutung dieser Studienergebnisse wird vorsichtig im Konjunktiv formuliert: Ein Anstieg des maximal weiterverarbeiteten Nahrungsmittel-Konsums k ö n n t e mit einem insgesamt höheren Mortalitätsrisiko assoziiert sein... ["Key Points - Question - Is high consumption of ultraprocessed food associated with an increase in overall mortality risk?
Findings - In this cohort study of 44.551 French adults 45 years or older, a 10% increase in the proportion of ultraprocessed food consumption was statistically significantly associated with a 14% higher risk of all-cause mortality.
Meaning - An increase in ultraprocessed food consumption may be associated with an overall higher mortality risk; further prospective research is needed to confirm these findings."]

Grundsätzlich gilt für alle drei hier angesprochenen Studiendesigns, dass Kohortenstudien zum Ernähungsverhalten immer retrospektive Befragungsinstrumentarien als "follow-up" generieren, aus denen keine sicheren prospektiven Schlussfolgerungen gezogen werden können.

Niemand kann sicher sagen, was er essen und trinken w i r d und könnte nur vage angeben, was er/sie gegessen und getrunken hat.

Ein weiterer Aspekt darf nicht vergessen werden: Wer immer den Anstieg des Anteils von maximal weiterverarbeitetem Nahrungsmittel-Konsum praktiziert, kann oft krankheits-, immobilitäts-, bio-psycho-sozial behinderungs- und einschränkungsbedingt nicht mehr an gesunder Ernährung, Frisch- und Rohkost bzw. guten Getränken teilhaben. Seine/ihre Morbiditäts- und Mortalitäts-Last ist bereits erhöht, bevor er/sie prozentual den Anteil von maximal weiterverarbeiteten Nahrungsmitteln und Getränken weiter ansteigen lässt.

Eine verheerende Krankheitsperspektive ist immer mit deutlich verschlechterten Ernährungs- und Gesundheits-Gewohnheiten verbunden.

Diese entscheidende Studien-Fehlannahme ("bias") haben die drei Studien-Teams geflissentlich übersehen.

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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