Epidemiologie
Viele Typ-1-Diabetiker erkranken erst im Alter über 30
Typ-1-Diabetes manifestiert sich offenbar öfter im mittleren Alter als bisher gedacht. Dafür spricht eine Analyse von Risikogenen bei britischen Patienten.
Veröffentlicht:EXETER. Der Anteil von Typ-1-Erkrankungen bei neudiagnostizierten Diabetes im mittleren Lebensalter ist bisher unbekannt. Britische Forscher um Nicholas Thomas von der Universität Exeter haben die Rate jetzt mit Daten zur genetischen Prädisposition von Typ-1-Diabetes abgeschätzt.
Anhand von spezifischen Einzelnukleotidpolymorphismen (SNP) im Genom eines Menschen lässt sich nämlich mit einer Risikoscore die genetische Veranlagung für Typ-1-Diabetes abschätzen (Lancet Diab Endocrinol 2018; 6: 122).
Basis der Studie waren solche Score-Werte von 379.511 hellhäutigen Europäern im Alter bis 60 Jahre aus der UK Biobank. Die Teilnehmer wurden abhängig von den Werten in zwei gleich großen Gruppen aufgeteilt: in die Gruppe mit dem niedrigeren und in die Gruppe mit höherem Typ-1-Risiko. Insgesamt waren 13.250 der Teilnehmer an Diabetes erkrankt, und zwar in allen Altersgruppen.
Die Studie in Kürze
- Ergebnis: Vier von zehn Typ-1-Diabetesfällen manifestieren sich erst zwischen 31. und 60. Lebensjahr. Das ist jede 25. Neuerkrankung in dieser Altersspanne.
- Bedeutung: Auch wenn ein Diabetes jenseits der 30 beginnt, muss an eine Typ-1-Erkrankung gedacht werden, vor allem bei schlanken Patienten mit schlecht kontrollierbarem Blutzucker.
- Einschränkung: Die Studienteilnehmer sind vor 1971 geboren. Seitdem hat sich die Manifestation des Typ-1-Diabetes in jüngere Jahre verschoben.
Die Erkrankungen waren dabei in den beiden Gruppen ungleich verteilt: In der Gruppe mit hohem Typ-1-Risiko gab es einen Überhang von 1286 Patienten. Diese Diabetiker wurden aufgrund ihrer erhöhten genetischen Prädisposition als Typ-1-Diabetiker definiert. Bei 537 dieser Patienten (42 Prozent) hatte sich der Diabetes erst im Alter über 30 Jahre manifestiert.
Rund 12.000 Neuerkrankte
Unter allen Teilnehmern waren insgesamt 12.233 erst jenseits der 30 neu an Diabetes erkrankt, darunter hatten die genetisch definierten Typ-1-Diabetiker einen Anteil von etwa 4 Prozent und die Typ-2-Diabetiker von 96 Prozent. Anders ergab es sich erwartungsgemäß im jungen Alter bis 30 Jahre: Hier waren 74 Prozent der Diagnosen Typ-1-Diabetes.
Auch klinische Daten sprechen dafür, dass die genetisch definierten Typ-1-Diabetiker jenseits der 30 tatsächlich an dieser Diabetesform litten: Sie hatten im Vergleich zu den Typ-2-Diabetikern einen niedrigeren BMI (27 vs. 32 kg/m2), die meisten wurden bereits im ersten Jahr nach Diagnose insulinpflichtig (89 vs. 6 Prozent) und ein höherer Anteil von ihnen wurde wegen Ketoazidose stationär behandelt (11 vs. 0,3 Prozent).
Die Studie hat wichtige klinische Konsequenzen, betonen die Forscher: "Typ-1-Diabetes darf nicht als Krankheit angesehen werden, die nur bei Kindern und jungen Erwachsenen auftritt." Wegen der schnellen Progression zur Insulinabhängigkeit und dem hohen Risiko für eine Ketoazidose müsse auch bei einem Diabetes, der sich erst spät manifestiert, an einen Typ-1-Diabetes gedacht werden.
"In Betracht gezogen werden sollte die Diagnose eines Typ-1-Diabetes vor allem dann, wenn bei neu erkannten Diabetespatienten mittleren Alters trotz rascher Therapieeskalation keine gute Blutzuckerkontrolle erreicht wird, und besonders wenn die Patienten auch noch schlank sind", empfehlen die Forscher. (Mitarbeit: eis)