Tabuthema koitale Inkontinenz

Wenn Frauen beim Sex Urin verlieren

Unwillkürlicher Urinabgang beim Geschlechtsverkehr tritt bei Frauen häufiger auf, als viele glauben. Gesprochen wird darüber nur selten. Dabei könnte den Betroffenen durchaus geholfen werden.

Dr. Robert BublakVon Dr. Robert Bublak Veröffentlicht:
Die Prävalenz von koitaler Inkontinenz ist größer als angenommen.

Die Prävalenz von koitaler Inkontinenz ist größer als angenommen.

© Sergey Nivens / stock.adobe.com

SHEFFIELD. Ist die Rede von Inkontinenzproblemen, sind meist Stress- und Dranginkontinenz oder auch eine Reizblase gemeint. Zum Spektrum der Störungen, die mit unwillkürlichem Abgang von Urin verbunden sind, gehört aber auch die koitale Inkontinenz. So wird der Verlust von Harn während des Geschlechtsverkehrs bezeichnet. Unterteilt wird er in zwei Formen: Inkontinenz bei der Penetration und Inkontinenz beim Orgasmus.

Koitale Inkontinenz tritt oft mit den anderen genannten Inkontinenzformen gemeinsam auf. In früheren Untersuchungen waren bis zu 60% der Frauen, die wegen Inkontinenz eine urogynäkologische Klinik aufsuchten, auch von koitaler Inkontinenz betroffen. Doch die Betroffenen neigen dazu, darüber zu schweigen. Laut Schätzungen sprechen nur 0,5–1 Prozent der Frauen mit koitaler Inkontinenz das Problem von sich aus an.

Webbasierter Fragebogen

Thomas Gray, Urogynäkologe an den Lehrkrankenhäusern des Nationalen Gesundheitsdienstes in Sheffield, hat mit Kollegen 2312 Frauen, die einen Kliniktermin hatten, mithilfe eines webbasierten Fragebogens auf koitale Inkontinenz befragt (doi: 10.1007/s00192-017-3380-x).

Die Forscher interessierten sich dabei für die Zusammenhänge mit Stressinkontinenz und überaktiver Blase und dafür, welche Auswirkungen die Inkontinenz speziell auf das Sexualleben und allgemein auf die Lebensqualität der Frauen hat.

Über unwillentlichen Urinabgang beim Sex berichteten 21% aller befragten Frauen. 16% wurden beim Orgasmus, 10% bei Penetration inkontinent. Noch höher war der Anteil unter Frauen, die allgemein von Inkontinenz betroffen waren – im Rahmen der Studie immerhin 62%. In dieser Gruppe berichteten 48% von koitaler Inkontinenz. Unter Frauen ohne sonstige Kontinenzprobleme lag der Anteil bei 1%.

Zusammenhang mit überaktiver Blase?

Es ergab sich eine statistisch signifikante Assoziation zwischen Stressinkontinenz und überaktiver Blase und koitaler Inkontinenz. Dabei zeigte sich aber keine besondere Affinität von Stressinkontinenz oder Reizblase zum Zeitpunkt des koitalen Urinabgangs.

In vorangegangenen Untersuchungen war die Inkontinenz beim Orgasmus mit dem Bestehen einer Reizblase, Urinverlust bei der Penetration mit Stressinkontinenz in Verbindung gebracht worden. Blickt man auf die Ergebnisse der vorliegenden Studie, scheint diese Unterscheidung schon wegen der weiten Überlappung der Symptome wenig sinnvoll.

Vaginalschlinge kann helfen

Einen Hinweis auf eine gemeinsame Ätiologie der Inkontinenz bei Penetration und beim Orgasmus gibt auch der Umstand, dass die Anlage einer spannungsfreien Vaginalschlinge (Tension-free Vaginal Tape, TVT) beide Formen koitaler Inkontinenz signifikant zu lindern vermochte. 45 Frauen unterzogen sich einem solchen Eingriff, bei 72% besserten sich daraufhin die Beschwerden.

Da es so vielen Frauen peinlich ist, über koitale Inkontinenz zu sprechen, empfehlen Gray und Kollegen, Patientinnen mit urogynäkologischen Problemen, besonders jene mit anderen Inkontinenzsymptomen, gezielt danach zu fragen. Geeignete Fragebögen könnten dabei hilfreich sein, weil es oft leichter ist, die Angelegenheit in dieser Form offenzulegen als im persönlichen Gespräch.

Wie wichtig es ist, koitale Inkontinenz zu erkennen und zu behandeln, machen deren Auswirkungen deutlich. Die betroffenen Frauen versuchen häufig, Sex zu vermeiden. Sie haben das Gefühl, dass ihr Partner ihnen sexuell aus dem Weg geht. Und ihre allgemeine Lebensqualität ist durch die sexuellen Schwierigkeiten signifikant niedriger als jene von Frauen ohne koitale Inkontinenz.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 12.07.201822:21 Uhr

Vgl. dazu ...

"Weibliche Ejakulation: Das Wasser der Liederlichkeit
Die weibliche Ejakulation ist kein Mythos, auch wenn sie nicht im Lehrbuch steht. Die moderne Wissenschaft forscht dazu nur zögerlich." Von Annette Bolz
https://www.zeit.de/1993/45/das-wasser-der-liederlichkeit
und
Weibliche Ejakulation: Variationen zu einem uralten Streit der Geschlechter
Buch von Sabine Zur Nieden 1994

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund (z.Zt. Bergen aan Zee)

Aring Hammerbacher 12.07.201815:59 Uhr

Die Studienautoren tun mir leid...


... ich kann es traurig oder auch amüsant finden, dass es in heutiger Zeit eine solche Untersuchung geben kann, ohne sich mit dem Tatbestand der weiblichen Ejakulation zu befassen; - dort tritt häufig im weiblichen Orgasmus wässriges Sekret aus, das KEIN Urin ist, und nicht aus der Harnblase stammt.
So gut frau es finden kann, dass inkontinten Frauen auf allen Ebenen geholfen wird, - aber seriös müssten doch alle Probandinnen darauf hin differenziert werden, ob es ein physiologisches lustvolles, oder ein dysphysiologisches unwillkommenes Ereignis ist oder sein könnte.
Eine weitere Gelegenheit geht da vorbei, noch nicht informierten Frauen und Männern die Enlastung zu schenken, dass (bei kontinten Frauen) eventuelle Nässe beim Sex meist KEIN peinlicher Urinabgang ist...

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