Stammzell-Forschung
Wettervorhersage fürs Herz
Ist es möglich, bei jungen Menschen zu simulieren, wie sich das Herz in fernerer Zukunft verhält? Wissenschaftler aus Hamburg sind überzeugt, dass das geht. Dabei helfen sollen ihnen Stammzellen.
Veröffentlicht:Hamburg. Als der Japaner Shin'ya Yamanaka vor sechs Jahren ein Verfahren beschrieb, mit dem menschliche Hautzellen in nur vier Schritten in pluripotente Stammzellen zurückverwandelt werden können, waren Fachwelt und Öffentlichkeit elektrisiert.
In den Feuilletons wurde von Gewebewerkstätten geträumt, in denen sich kranke Menschen immunologisch kompatible Organe nur noch abholen müssen, ganz ohne den ethisch umstrittenen Umweg über embryonale Stammzellen.
Die Realität ist prosaischer. Zwar lassen sich induzierte pluripotente Stammzellen (iPS) nach einem leicht abgewandelten Yamanaka-Verfahren heute relativ problemlos herstellen. Die Differenzierung in Effektorgewebe ist aber weiterhin erstens unglaublich teuer und zweitens alles andere als trivial.
Beispiel Herz: Wer iPS-Zellen durch Zugabe einer zweistelligen Zahl von Ingredienzien in Richtung Kardiomyozyten differenziert, der bekommt eine bunte Landkarte einzelner Zellen, die auch schön kontrahieren.
Statt Myokard ein zuckender Zellhaufen
Von einem synchron arbeitenden, voll ausdifferenzierten Myokard sind diese zuckenden Zellhaufen aber weit entfernt. "Mit solchen sehr unreifen Zellen können wir relativ wenig anfangen", konstatiert Professor Thomas Eschenhagen, Pharmakologe am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Leiter des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK).
Die Hamburger haben ein neues Zellkultursystem entwickelt, das einige Probleme lösen kann. Eschenhagen berichtete darüber bei einer Veranstaltung im Vorfeld der Medica 2013.
Mit Hilfe von Teflon-Spacern und winzigen Silikonträgern bauen die Wissenschaftler einen Fibrinblock, der den Kardiomyozyten als dreidimensionale Wachstumshilfe dient.
So entsteht eine dünne Muskelschicht, die dem menschlichen Myokard sehr viel ähnlicher ist als der chaotische Zellhaufen in der Petrischale. Wird die Muskelschicht in einem mit einer Kamera ausgestatteten Inkubator kultiviert, können die Kontraktionen unter unterschiedlichen Bedingungen ausgemessen werden.
Eine noch recht simple Anwendung dieser Technologie ist ein realitätsnahes In-vitro-Modell für die hypertoniebedingte Herzhypertrophie. Dabei werden Klammern genutzt, um einzelne Zellen mit Hilfe ihrer Silikoneinbettung in Position zu halten.
"Das simuliert einen erhöhten Afterload am Herzen, wie er bei arterieller Hypertonie auftritt. Bisherige Zellkulturmodelle simulieren dagegen streng genommen nur einen erhöhten Pre-Load", so Eschenhagen.
Einsatz auch beim Toxizitätsscreening?
Ein zweites Anwendungsgebiet der iPS-Kardiomyozyten sieht Eschenhagen im Toxizitätsscreening. Hier haben die bisher eingesetzten Tiermodelle das Problem, dass sie die Wirklichkeit am Menschen nicht perfekt abbilden.
Diverse Medikamente, von denen beim Menschen arrhythmogene Effekte bekannt sind, tun einer Ratte beispielsweise gar nichts. Mit induzierten embryonalen Zellen sind die Trefferquoten höher. "Wir arbeiten gerade gemeinsam mit der Industrie daran, dieses Verfahren zu systematisieren", so Eschenhagen.
Als Königsdisziplin für die iPS-Zellen betrachtet der Pharmakologe weder Hypertrophiemodelle noch das Screening, sondern die individuelle Modellierung von möglichen künftigen Erkrankungen des Herzens. Was das bringen soll, erläuterte er am Beispiel hypertropher Kardiomyopathien: "Hier kennen wir mehrere 100 auslösende Mutationen in über 15 Genen."
Das Problem: Nicht bei jeder Kombination von Mutationen sind die klinischen Folgen gleich gravierend. Manche Patienten sollten schon in jungen Jahren einen Defibrillator bekommen. Bei anderen wäre das eine Übertherapie. Nur: Wer ist gefährdet?
Das Konzept der Hamburger Wissenschaftler läuft darauf hinaus, bei einem jungen Menschen, in dessen Familie vermehrt hypertrophe Kardiomyopathien auftreten, aus Hautzellen ein individuelles Myokardmodell zu züchten.
Das könnte dann diversen Stimuli ausgesetzt werden, um zu testen, wie anfällig es beispielsweise für lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen ist. Auf Basis solcher Tests, so die Hypothese, könnten Kardiologen gravierende Eingriffe wie eine ICD-Implantation gezielter empfehlen als bisher, wo vor allem einzelne Gene den Ausschlag geben.