Ältere am Steuer

Wie sinnvoll ist der Senioren-Fahrtest?

Weniger sehen, schlechter hören, langsamer reagieren: Die Voraussetzungen für das Autofahren werden im Alter schlechter. Beim Verkehrsgerichtstag wird deshalb über Tests für Senioren diskutiert. Zum Thema gibt es ganz unterschiedliche Sichtweisen.

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Sind Senioren eine Gefahr im Straßenverkehr?

Sind Senioren eine Gefahr im Straßenverkehr?

© Gina Sanders / Fotolia

GOSLAR. Ein Autofahrer (88) verwechselt beim Rangieren Vorwärts- und Rückwärtsgang und gibt Gas. Der Wagen prallt gegen einen Baum, dann gegen einen Zaun: 12 000 Euro Sachschaden. Der Senior bleibt unverletzt.

Doch sein Schrecken ist so groß, dass er den Polizisten, die den Unfall Mitte Januar in Braunschweig aufnehmen, den Führerschein in die Hand drückt. Selbst fahren will der Mann künftig nicht mehr.

Test spätestens ab dem 75. Lebensjahr

Zu solchen Unfällen, wie ihn der 88-Jährige verursacht hat, müsse es nicht kommen, sagen Verkehrsjuristen. Senioren, die Auto fahren wollen, sollten sich künftig regelmäßig medizinisch auf ihre Fahreignung testen lassen, fordert die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV).

"Spätestens ab dem 75. Lebensjahr sollen Untersuchungen verpflichtend sein", sagte DAV-Fachanwalt Christian Funk vor Beginn des 55. Deutschen Verkehrsgerichtstags. Der Kongress will sich ab Donnerstag mit dem Thema "Senioren im Straßenverkehr" befassen.

"Bei den Tests muss die Fähigkeit zur Teilnahme am Straßenverkehr ähnlich wie beim Führerscheinerwerb von neutralen Stellen überprüft werden", sagte Funk. Denn die Gefahr, schwer oder gar tödlich verletzt zu werden, steige mit dem Alter.

Senioren seien dabei nicht nur ein Risiko für sich selbst, sagte Funk. Jeder zweite Geisterfahrer sei älter als 65. "Senioren sind insofern auch ein Risiko für andere."

In anderen EU-Länder Standard

In einigen europäischen Staaten, wie Norwegen, Schweden oder den Niederlanden, seien ärztliche Untersuchungen deshalb für Autofahrer ab 70 längst Pflicht, erläuterte der Verkehrsjurist. In Spanien müsse man sogar schon ab 45 zum Gesundheitstest.

Im Jahr 2015 haben – auch ohne jeden Test – fast 9500 Bundesbürger jenseits des 75. Geburtstags ihre Fahrerlaubnis freiwillig zurückgegeben, weil sie sich nicht mehr fit für den Verkehr fühlten. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Gruppe der autofahrenden Senioren aufgrund der allgemeinen demografischen Entwicklung ständig wächst.

"Die Zahl von Unfällen, die von Senioren verursacht werden, wird zunehmen, und auch die Zahl der verletzten Senioren wird steigen", prophezeit Matthias Knobloch vom Auto Club Europa ACE.

Höheres Risiko als bei Fahranfängern

Nach Angaben des Gesamtverbandes der Versicherer (GDV) verursachen Senioren über 75 schon heute drei von vier Unfällen, in die sie verwickelt sind. "Die Quote liegt damit höher als in der Hochrisikogruppe der jungen Fahrer", sagte GDV-Unfallforscher Siegfried Brockmann.

Weil freiwillige Maßnahmen zumeist an der mangelnden Selbstreflexion älterer Autofahrer scheiterten, schlägt der GDV eine verpflichtende Fahrt gemeinsam mit einem Fahrlehrer vor. "Deren Ergebnis sollte zwar unter vier Augen bleiben", sagte Brockmann. Stellten sich Defizite heraus, sollte der Fahrlehrer aber darauf aufmerksam machen und im Zweifel zur Abgabe des Führerscheins raten.

Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat setzt auf freiwillige Beratungs- und Trainingsangebote.

Die Meinung der Clubs

Auch die Autoclubs halten wenig von gesetzlichen Vorschriften eigens für Ältere. Bei Fahreignungsprüfungen bestehe nämlich die Gefahr, dass die Ergebnisse nicht realistisch widerspiegelten, ob jemand noch fahren könne, sagte ADAC-Expertin Barbara Reeh.

Der ADAC bevorzuge regelmäßige und freiwillige ärztliche Untersuchungen. Denn im vertraulichen Arztgespräch könne am besten geklärt werden, ob aus etwaigen Alterserscheinungen Konsequenzen gezogen werden müssen, sagte Reeh.

Der Automobilclub von Deutschland (AvD) setzt ebenfalls auf freiwillige Hör-, Seh- und Reaktionstests. Senioren sollten alle zwei Jahre zum Arzt gehen und regelmäßig sogenannte Coaching-Fahrten absolvieren, fordert der ACE. Das könne helfen, altersbedingte Defizite beim Autofahren zu erkennen und zu beheben.

Verkehrsgerichtstags-Präsident Kay Nehm (75) appellierte an die Senioren, ihre Defizite zu erkennen und im Zweifel etwa auf Nachtfahrten zu verzichten oder nur noch vertraute Strecken zu nutzen. "Pflichtuntersuchungen für alle bringen dagegen erhebliche Einschränkungen ohne adäquaten Sicherheitsgewinn", sagte Nehm.

Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht

Weil "Eigenkontrolle und Einsicht in höherem Alter aber oft problematisch seien, bringt Nehm "eine vorsichtige Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht" ins Spiel. Mediziner dürften dann die Behörden verständigen, "wenn absolut fahruntüchtige Patienten nicht zu überzeugen sind", den Führerschein abzugeben, sagte der frühere Generalbundesanwalt.

Vielleicht ließe sich mach uneinsichtiger Senior leichter darauf ein, den Führerschein freiwillig abzugeben, wenn ein Vorschlag der Deutschen Polizeigewerkschaft umgesetzt würde: Sie fordert, dass alle Menschen über 75 den öffentlichen Personennahverkehrs kostenlos nutzen können. (dpa)

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Kommentare
Wolfgang P. Bayerl 26.01.201722:12 Uhr

ich bin dagegen,

bitte keine diskriminierende Kollektivstrafe.
Es gibt schon Altersdiskriminierung genug!
Selbstverständlich im Einzelfall z.B. bei Auffälligkeiten bei einem Unfall.
Immerhin gab es hier 2016 schon wieder einen MINUS-Rekord.

Klaus Günterberg 24.01.201720:24 Uhr

Was muss erst passieren, damit sich etwas ändert? Ein schreckliches Gedankenspiel.

Vorab: Ich bin inzwischen im 73. Lebensjahr, noch voll berufstätig, fahre täglich, fahre gern und möchte das Autofahren auch nicht missen.
DENNOCH: ICH BIN FÜR EINE REGELMÄSSIGE PRÜFUNG DER FAHRTAUGLICHKEIT, auch wenn es mich morgen selbst treffen sollte. In anderen Ländern sind solche Prüfungen selbstverständlich.

Ich bin aber gegen Teillösungen. Eine Prüfung sollte m. E. die augenärztliche Bescheinigung, eine Prüfung der Kenntnisse der Verkehrsregeln und auch eine praktische Prüfung umfassen. Im Zweifelsfall kann man auch noch ein verkehrspsychologisches Gutachten fordern. Das letzte Wort sollte nie ein Prüfer, sollte immer eine neutrale Stelle sprechen. Und: Wer ein Auto unterhält, kann für solche Kosten auch aufkommen.
Was Beginn und Abstände der Nachweise betrifft, sollte man sich an andere Länder orientieren, wo solche Vorschriften längst selbstverständlich sind. Die Abstände könnten und sollten mit zunehmendem Alter durchaus kürzer werden.

Ich kenne Autofahrer jenseits von 80, die so tadellos fahren, dass ich als Beifahrer durchaus auch einmal eine Runde schlafen würde. Ich kenne aber auch Autofahrer jenseits von 70, bei denen ich nie einsteigen würde. Und ich kenne auch Autofahrer, die nach schlechter Erfahrung und nach Krankheit das Autofahren, sehr verantwortungsbewusst, freiwillig aufgegeben haben. Ich kenne aber auch einen völlig uneinsichtigen Fall, bei dem der 89-Jährige sich mit zitternden Füßen vom Rollator ins Auto helfen ließ, von Umsicht und Reaktionsfähigkeit, von Verantwortungsbewusstsein war keine Spur mehr. Mehr Verkehrssicherheit ist nötig, zweifellos, auf Einsicht kann man nicht setzen.

Die Diskussion um Senioren-Fahrprüfungen geht nun schon Jahre. Da sollte man die Meinungen der Automobilclubs nicht überbewerten; die Clubs sind nicht unvoreingenommen, würden sie doch ggf. ihre ältesten Mitglieder verlieren.
Auch die Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht ist kein Weg. Dann würde mancher Senior bei Krankheit nicht zum Arzt gehen, aus Angst, er würde in Flensburg angezeigt.
Die Forderung der Polizeigewerkschaft, dass Senioren ab 75 den öffentlichen Nahverkehr kostenlos nutzen könnten, ist sehr sozial. Wer als Senior ein Auto unterhält, der weiß aber, dass das Auto viel mehr kostet, als unsere öffentlichen Verkehrsmittel. Dass Senioren am Führerschein hängen, hat völlig andere, hat kaum finanzielle Aspekte.

Traut sich die Politik nicht zu handeln, weil Senioren bei Wahlen ein stattliches Gewicht haben? Weil sie um Wählerstimmen fürchtet?

Was muss erst passieren, damit sich etwas ändert?? Muss erst ein Senior in eine Gruppe Kinder fahren?
Ein Auto ist wie eine Waffe, man kann damit sich und andere töten. Je größer das Auto, desto mehr Tote.
Dazu ein schreckliches Gedankenspiel: Wie würde die Diskussion wohl heute geführt werden, wenn nicht ein Attentäter sondern ein Senior mit großem Auto am Berliner Breitscheidplatz in den Weihnachtsmarkt gefahren wäre und zwölf Menschen getötet hätte??

Ein letztes Wort zur Politik: Mehr Sicherheit kostet. Bessere Straßen kosten, Winterdienst kostet, Verkehrsüberwachung kostet, Strafverfahren kosten. Sicherheit kostet. Senioren-Fahrprüfungen kosten uns als Gemeinschaft nichts.
Was muss erst passieren, damit sich etwas ändert?? Warum macht man nicht das, was nichts kostet, bevor etwas passiert?

Dr. Günterberg
Frauenarzt. Berlin

Heike Drolshagen 24.01.201713:29 Uhr

Wie sinnvoll ist der Seniorenfahrtest.

Ich verstehe nicht, warum man immer gleich so umfassende Kontrollen für Auto fahrende Senioren fordert? Auf Einscht zu setzen, ist ebenfalls sehr fragwürdig. Wenn Einsicht gut funktionieren würde, bräuchten wir im Verkehr auch keine Überwachung der Straßen oder Blitzeraktionen.

Was spricht gegen die Pflicht zu einem einmal jährlichen Sehtest bei einem Optiker z. B. ab 50 oder 60 Jahren? Ich persönlich halte es für absolut zumutbar. Er ist nicht teuer, aber man wird reichlich Menschen mit Sehminderungen herausfischen, denen ihre nachlassende Sehkraft nicht aufgefallen ist. Die Entwicklung derer ist meistens schleichend.
Allerdings muss der Sehtest, sollte er auffällig sein, auch Konsequenzen haben, z. B. dass nach Augenärztlicher Diagnostik weitere Maßnahmen erfolgen. Im besten Fall kann die Sehschwäche z. B. durch eine neue Brille ausgeglichen werden. Ist das nicht möglich, sollte im übelsten Fall auch nicht gezögert werden, den Führerschein einzubehalten. Vermutlich wird das nicht allzuhäufig sein, aber Blinde gehören nicht hinters Steuer. Es geht um die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer!

Man gibt sein Fahrzeug docvh auch jährlich zur Inspektion und alle zwei Jahre zum TÜV. Warum nicht ähnliches für den Fahrer fordern?

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