Commotio

Wie viel Ruhe braucht das Hirn?

Fünf Tage strikte Ruhe statt der bisher empfohlenen zwei bringen Kindern und Jugendlichen mit einer Gehirnerschütterung nicht unbedingt Vorteile, wie US-Forscher herausgefunden haben. Im Gegenteil.

Von Dr. Christine Starostzik Veröffentlicht:
Bei Ballsportarten kann es zu einer Commotio kommen. Die Heilung wird aber bei Jugendlichen nicht durch mehr Ruhe beschleunigt.

Bei Ballsportarten kann es zu einer Commotio kommen. Die Heilung wird aber bei Jugendlichen nicht durch mehr Ruhe beschleunigt.

© contrastwerkstatt / fotolia.com

MILWAUKEE. Die meisten Gehirnerschütterungen ziehen sich Kinder und Jugendliche beim Sport zu, insbesondere beim Fußball.

In der Regel werden Patienten mit einem leichten Schädel-Hirn-Trauma nach der Erstversorgung mit der Empfehlung nach Hause geschickt, 24 bis 48 Stunden zu ruhen und dann, wenn keine Symptome mehr bestehen, die üblichen Aktivitäten schrittweise wieder aufzunehmen.

Da viele Experten jedoch eine längere Ruheperiode empfehlen, haben Danny Thomas und Kollegen vom Medical College of Wisconsin in Milwaukee nun in einer prospektiven kontrollierten Studie überprüft, ob ein solches Verhalten Vorteile bringt (Pediatrics 2015; online 5. Januar).

Ein Drittel war bewusstlos

Hierzu wurden 99 Patienten zwischen elf und 22 Jahren herangezogen, die nach einer leichten Commotio innerhalb von 24 Stunden in der Notfallstation des Children's Hospital of Wisconsin in der Zeit von Mai 2010 bis Dezember 2012 behandelt worden waren.

Ein Drittel von ihnen war nach dem Unfall bewusstlos.

Nach den üblichen Untersuchungen wurden die Patienten in zwei Gruppen randomisiert: Den Probanden der Interventionsgruppe wurde empfohlen, zu Hause statt zwei insgesamt fünf Tage strikte Ruhe einzuhalten.

Insbesondere sollten die Jugendlichen nicht zur Schule oder zur Arbeit gehen und körperliche Anstrengungen meiden. Danach sollte das Aktivitätsniveau wieder schrittweise erhöht werden.

Den Probanden der Kontrollgruppe wurden die Routineratschläge mit auf den Weg gegeben. In einem Tagebuch hielten die Patienten ihre körperlichen und geistigen Aktivitäten fest, schätzten ihre Kraftanstrengungen ein und protokollierten die auftretenden Symptome.

An Tag 3 und 10 nach dem Unfall wurden erneut Tests zu neurokognitiven Leistungen und zum Gleichgewichtssinn durchgeführt.

Der Appell der Ärzte zu mehr körperlicher Schonung fruchtete offenbar nicht.

Die 45 verbliebenen Probanden mit Empfehlungen zu strikter Ruhe und die 43 Teilnehmer der Kontrollgruppe berichteten übereinstimmend, sie hätten ihre Kraftanstrengungen und körperlichen Aktivitäten in den ersten fünf Tagen um etwa 20 Prozent reduziert.

Bei der geistigen Arbeit dagegen waren die Empfehlungen offenbar leichter zu befolgen. Hier sparten die Teilnehmer der Interventionsgruppe gegenüber der Kontrollgruppe zwischen dem zweiten und fünften Tag tatsächlich.

Das Pensum lag insgesamt bei 4,86 vs. 8,33 Stunden. Ein großer Teil davon entfiel auf Kopfarbeit in der Schule und bei den Hausaufgaben (3,77 vs. 6,66 Stunden).

Mehr Ruhe - mehr Probleme

In beiden Gruppen verschwanden die Symptome bei mehr als 60 Prozent der Jugendlichen innerhalb der Beobachtungszeit von zehn Tagen.

Allerdings klagten 50 Prozent der Teilnehmer der Interventionsgruppe drei Tage länger über Beschwerden infolge der Gehirnerschütterung als die Probanden der Kontrollgruppe.

Auch ergaben sich bei den Befragungen der Interventionsgruppe insgesamt mehr Symptome und ein höherer Gesamt-Symptom-Score (Post-Concussive Symptoms Scale, PCSS) von 187,9, während die Kontrollgruppe in den zehn Tagen auf 131,9 Punkte kam.

Bei den Tests zu neurokognitiven Defiziten und Gleichgewichtssinn zeigten sich dagegen keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen.

Möglicherweise, so die Autoren, habe die mangelnde Compliance dazu beigetragen, dass die Empfehlungen einer strikten Ruhe über fünf Tage keine Früchte getragen haben.

Allerdings sind aus Studien mit Erwachsenen, die sich streng an die Vorgaben gehalten hatten, ähnliche Ergebnisse bekannt.

So seien weitere Untersuchungen nötig, um Jugendlichen, die nach einer leichten Commotio nach Hause entlassen werden, die optimalen Empfehlungen für die nächsten Tage mit auf den Weg zu geben.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Ruhe nicht übertreiben

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Angststörung und PTSD

Studie an Mäusen gibt Einsicht in die Entstehung von Angstreaktionen

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Neurologische Entwicklungsstörungen

Epilepsie in der Schwangerschaft: Start mit Lamotrigin empfohlen

Lesetipps
Ein Mann hat Kopfweh und fasst sich mit beiden Händen an die Schläfen.

© Damir Khabirov / stock.adobe.com

Studie der Unimedizin Greifswald

Neurologin: Bei Post-COVID-Kopfschmerzen antiinflammatorisch behandeln

Der gelbe Impfausweis

© © mpix-foto / stock.adobe.com

Digitaler Impfnachweis

eImpfpass: Warum das gelbe Heft noch nicht ausgedient hat

Ein Aquarell des Bundestags

© undrey / stock.adobe.com

Wochenkolumne aus Berlin

Die Glaskuppel zum Ampel-Aus: Eigenlob und davon in rauen Mengen