Gesundheitswirtschaft
Berlin: In Life-Science an die Weltspitze?
Die Hauptstadtregion Berlin hat die Chance, einen internationalen Spitzenplatz in Lebenswissenschaften zu erobern. Standorte der Spitzenforschung wie die Charité und innovative Unternehmensstrukturen in Pharma, Biotech und Medizintechnik geben Anlass zu Optimismus, wie bei einem Digitalsymposion des „Tagesspiegel“ deutlich wurde.
Veröffentlicht:Berlin. Der Anspruch klingt fast verwegen: Spielt die deutsche Hauptstadt bei den Lebenswissenschaften in der gleichen Liga wie die Top-Standorte Boston und London/Cambridge? Die Antwort soll eine Benchmark-Studie liefern, die die Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH bei den Beratungsunternehmen SNCP und WifOR in Auftrag gegeben und am Mittwoch bei einem Symposion des Berliner „Tagesspiegel“ vorgestellt worden ist.
Das Fazit, so Pfizer-Deutschland-Chef Peter Albiez, Sprecher des Clusters Gesundheitswirtschaft Berlin-Brandenburg: „Die Hauptstadtregion hat das Potenzial, sich zu einem internationalen Zentrum für Lebenswissenschaften zu entwickeln.“
Beflügelt werde dies durch die Erfahrungen bei der Bewältigung der COVID-Pandemie und der Impfstoffentwicklung 2020/21: aufgrund des enormen Lernprozesses in der Zusammenarbeit von Wissenschaft, Biotech- und Pharma-Unternehmen, der Kräftebündelung unterschiedlich verteilter Fähigkeiten bei Forschung, Entwicklung, Zulassung, Produktion und Logistik – und nicht zuletzt durch Überwindung bürokratischer Hemmnisse.
Ein gutes Signal sei die Entscheidung, den Global Hub for Pandemic and Epidemic Intelligence, Data, Surveillance and Analytics Innovation der Weltgesundheitsorganisation in Berlin zu stationieren.
Boston unangefochten an der Spitze
Welche Stärken und Schwächen die Hauptstadtregion im Vergleich zu anderen Spitzenzentren hat, haben Ökonomen von SNPC und WifOR in einem Index-Modell eruiert. Verglichen wurden dabei Entwicklungsstand und Einflussparameter des Life Science Corridor Boston/Cambridge/Somerville, der MedCity in der Großregion London/Cambridge/Oxford, Medicon Valley in der Großregion Kopenhagen, Biopolis in Singapur sowie Berlin.
Unangefochten an der Spitze steht Boston, ein seit Jahrzehnten organisch gewachsenes Cluster mit einer einzigartigen Kultur des Austauschs zwischen Spitzenforschung und Industrie und einer hervorragenden Förderstruktur. Es handele sich um ein „einzigartiges Ökosystem“, in dem unter anderem soziale Netzwerke eine große Rolle spielen.
Kooperative Strukturen machen London attraktiv
Die Cluster-Region London belegt den zweiten Rang. Die Stärke ist begründet in ausgeprägten kooperativen Strukturen und der Leistungsfähigkeit des wichtigsten europäischen Finanzplatzes mit einem hohen Potenzial an Venture Capital-Finanzierungen. Darüber hinaus ist der Großraum London ein bedeutender Standort der forschenden Pharma-Industrie.
Mit einigem Abstand folgt die Hauptstadtregion Berlin auf Platz 3. Ein positiver Effekt ergibt sich aus der starken Universitätsmedizin (Charité) in Kombination mit drei Universitäten, aber auch aufgrund der vielfältigen Unternehmensstruktur, bestehend aus Pharma, Biotech, Start ups und Medizintechnik.
Verwaltet wird in Berlin, produziert im Südwesten
Auch wenn internationale Spitzenunternehmen wie Pfizer und Sanofi ihre Deutschlandzentralen in Berlin haben, so ist ihre wirtschaftliche Bedeutung, gemessen an der industriellen Wertschöpfung in der Hauptstadtregion, unbedeutend, weil die Produktionsstandorte im Südwesten der Republik liegen. Die einzig bedeutende Pharma-Produktion findet in der Bayer-Dependance, ehemals Schering, statt. Alle anderen Unternehmen sind Mittelständler mit einem eher bescheidenen Beitrag zu Wertschöpfung und Beschäftigung.
Ein weiterer, für Deutschland typischer Nachteil: es fehlt an Venture Capital, die Bereitschaft von Investoren in Deutschland, Risikokapital für langwierige Forschungs-und Entwicklungsprojekte zur Verfügung zu stellen, ist niedrig ausgeprägt. Dem steht allerdings, wie die Studienautoren herausgefunden haben, eine relevante staatliche Förderstruktur entgegen, die den Standort Berlin aufwertet.
Flankiert werde dies, wie Wissenschafts-Staatssekretär Steffen Krach vom Berliner Senat ergänzt, durch eine Reorganisation der Berufungsverfahren mit einer Institutsausstattung an den Universitäten, die vor fünf Jahren noch nicht möglich gewesen sei. Das ermögliche es, Spitzenforscher für Berlin zu gewinnen.
Gute Langfristperspektive für die Hauptstadt
Das gebe Rückenwind für den Aufschwung, resümiert Albiez. Die Substanz, an die Weltspitze zu gelangen, sei vorhanden, aber ein weiter Weg. Auch Boston habe sich sein Top-Niveau in einem Jahrzehnte dauernden Prozess der Entwicklung einer Innovations- und Kooperationskultur erarbeiten müssen.