Antrittsvorlesung
Buhlinger-Göpfarth: „Gesundheitskompetenz muss dringend verbessert werden“
Nicola Buhlinger-Göpfarth ist Hausärztin und Wissenschaftlerin. Ihre Antrittsvorlesung an der Europäischen Fachhochschule Rhein/Erft widmet sie einer großen Baustelle im deutschen Gesundheitssystem: der Gesundheitskompetenz.
Veröffentlicht:Köln. Die künftige Bundesregierung wird sich in der Gesundheitspolitik auch daran messen lassen müssen, welchen Stellenwert sie der Stärkung der Gesundheitskompetenz einräumt. In den Programmen der Parteien komme das Thema zwar nicht vor, sagte Professorin Nicola Buhlinger-Göpfarth bei ihrer digitalen Antrittsvorlesung an der Europäischen Fachhochschule (EUFH) Rhein/Erft in Köln. Das Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP lasse aber hoffen. „Man darf gespannt sein, was im Koalitionsvertrag – sollte es zu einem kommen – stehen wird.“
Buhlinger-Göpfarth hat seit dem 15. März 2021 die Professur für Physician Assistance mit dem Schwerpunkt Allgemeinmedizin an der EUFH. Das ist nicht ihre erste Lehrtätigkeit. Sie ist seit 2010 Lehrbeauftragte für Allgemeinmedizin an der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung der Universität Heidelberg. Auch berufspolitisch ist die Ärztin, die seit 2002 in eigener Praxis als Hausärztin in Pforzheim tätig ist, aktiv. Sie ist Mitglied der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg und der dortigen Landesärztekammer. Buhlinger-Göpfarth engagiert sich als Vorständin im Landesverband des Deutschen Hausärzteverbands und als Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der Spitzenfrauen Gesundheit e.V.
Viele negative Folgen
Dass es hierzulande politischen Handlungsbedarf bei der Stärkung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung gibt, steht für die Hausärztin außer Frage. In Deutschland habe es lange an einer umfassenden, deutschlandweiten Strategie zur Förderung der Gesundheitskompetenz gefehlt, bemängelte sie. Der internationale Forschungsstand zeigt: Eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz hat negative Auswirkungen auf den Gesundheitszustand, das Gesundheitsverhalten, Risikofaktoren wie Adipositas, Rauchen und Bewegungsmangel und führt zu einer verstärkten Inanspruchnahme des Gesundheitswesens.
Buhlinger-Göpfarth verwies auf die Studien „Gesundheit in Deutschland aktuell“ (GEDA) des Robert Koch-Instituts aus den Jahren 2014 und 2019/2020. Sie haben die Defizite bei der Gesundheitskompetenz deutlich vor Augen geführt und gezeigt, dass sich die Situation über die Jahre noch verschlechtert hat. In der Erhebung von 2019/2020 wiesen rund 83 Prozent der Befragten eine geringe navigationale Gesundheitskompetenz auf, das heißt, sie fanden sich im immer komplexer werdenden Gesundheitssystem nur schwer zurecht. 75,8 Prozent hatten eine geringe digitale und 35,7 Prozent eine geringe kommunikative Gesundheitskompetenz. Das deckt sich mit ihren Erfahrungen in der Hausarztpraxis, berichtete Buhlinger-Göpfarth. „Vielen fällt es schwer, sich zurechtzufinden, die gefundenen Informationen können nur schwer eingeordnet werden.“
Die GEDA-Studien machen in ihren Augen die negativen Folgen der fehlenden Gesundheitskompetenz deutlich. Dazu gehören ein ungesundes Verhalten, eine schlechtere subjektive Gesundheit, mehr Fehltage am Arbeitsplatz und eine intensivere Nutzung des Gesundheitssystems. „Geringe Gesundheitskompetenz hat auch ökonomische Folgen“, betonte sie. Gerade vulnerable Gruppen müssen besonders in den Fokus genommen werden, nicht zuletzt Menschen mit einem niedrigen Bildungsniveau. Laut der Erhebung von 2019/2020 geht eine geringere Bildung mit einem höheren Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 einher. Bei Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss ist auch die Impfskepsis höher, betonte Buhlinger-Göpfarth. „Sie sollten als Gruppe dezidiert bei Maßnahmen zur Stärkung des Vertrauens in Impfungen und Präventivmaßnahmen adressiert werden.“
Vulnerable Gruppen stärken
Die Stärkung der vulnerablen Gruppen ist für sie ein wichtiger Faktor zur allgemeinen Stärkung der Gesundheitskompetenz. Klar ist für die Ärztin: „Gesundheitskompetenz kann man lernen.“ Für wichtig hält sie die Kooperation aller relevanten Akteurinnen und Akteure sowie Netzwerke aus allen gesellschaftlichen Bereichen.
Die Hausärztinnen und Hausärzte hätten bereits viele positiven Erfahrungen mit den VERAH oder anderen qualifizierten Medizinischen Fachangestellten gemacht, sagte Buhlinger-Göpfarth. „Ich könnte mir vorstellen, dass das übertragbar ist auf die Physician Assistants.“ Sie könnten bei der Verbesserung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung künftig eine entscheidende Rolle spielen.
Professorin Nicola Buhlinger-Göpfarth
- FÄ für Allgemeinmedizin
- Professur für Physician Assistance Schwerpunkt Allgemeinmedizin E U | F H