Antrittsvorlesung

Buhlinger-Göpfarth: „Gesundheitskompetenz muss dringend verbessert werden“

Nicola Buhlinger-Göpfarth ist Hausärztin und Wissenschaftlerin. Ihre Antrittsvorlesung an der Europäischen Fachhochschule Rhein/Erft widmet sie einer großen Baustelle im deutschen Gesundheitssystem: der Gesundheitskompetenz.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Arbeitet in eigener Praxis und als Professorin an der Fachhochschule: Nicola Buhlinger-Göpfarth.

Arbeitet in eigener Praxis und als Professorin an der Fachhochschule: Nicola Buhlinger-Göpfarth.

© Christoph Schmidt / dpa / picture alliance

Köln. Die künftige Bundesregierung wird sich in der Gesundheitspolitik auch daran messen lassen müssen, welchen Stellenwert sie der Stärkung der Gesundheitskompetenz einräumt. In den Programmen der Parteien komme das Thema zwar nicht vor, sagte Professorin Nicola Buhlinger-Göpfarth bei ihrer digitalen Antrittsvorlesung an der Europäischen Fachhochschule (EUFH) Rhein/Erft in Köln. Das Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP lasse aber hoffen. „Man darf gespannt sein, was im Koalitionsvertrag – sollte es zu einem kommen – stehen wird.“

Buhlinger-Göpfarth hat seit dem 15. März 2021 die Professur für Physician Assistance mit dem Schwerpunkt Allgemeinmedizin an der EUFH. Das ist nicht ihre erste Lehrtätigkeit. Sie ist seit 2010 Lehrbeauftragte für Allgemeinmedizin an der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung der Universität Heidelberg. Auch berufspolitisch ist die Ärztin, die seit 2002 in eigener Praxis als Hausärztin in Pforzheim tätig ist, aktiv. Sie ist Mitglied der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg und der dortigen Landesärztekammer. Buhlinger-Göpfarth engagiert sich als Vorständin im Landesverband des Deutschen Hausärzteverbands und als Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der Spitzenfrauen Gesundheit e.V.

Viele negative Folgen

Dass es hierzulande politischen Handlungsbedarf bei der Stärkung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung gibt, steht für die Hausärztin außer Frage. In Deutschland habe es lange an einer umfassenden, deutschlandweiten Strategie zur Förderung der Gesundheitskompetenz gefehlt, bemängelte sie. Der internationale Forschungsstand zeigt: Eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz hat negative Auswirkungen auf den Gesundheitszustand, das Gesundheitsverhalten, Risikofaktoren wie Adipositas, Rauchen und Bewegungsmangel und führt zu einer verstärkten Inanspruchnahme des Gesundheitswesens.

Buhlinger-Göpfarth verwies auf die Studien „Gesundheit in Deutschland aktuell“ (GEDA) des Robert Koch-Instituts aus den Jahren 2014 und 2019/2020. Sie haben die Defizite bei der Gesundheitskompetenz deutlich vor Augen geführt und gezeigt, dass sich die Situation über die Jahre noch verschlechtert hat. In der Erhebung von 2019/2020 wiesen rund 83 Prozent der Befragten eine geringe navigationale Gesundheitskompetenz auf, das heißt, sie fanden sich im immer komplexer werdenden Gesundheitssystem nur schwer zurecht. 75,8 Prozent hatten eine geringe digitale und 35,7 Prozent eine geringe kommunikative Gesundheitskompetenz. Das deckt sich mit ihren Erfahrungen in der Hausarztpraxis, berichtete Buhlinger-Göpfarth. „Vielen fällt es schwer, sich zurechtzufinden, die gefundenen Informationen können nur schwer eingeordnet werden.“

Die GEDA-Studien machen in ihren Augen die negativen Folgen der fehlenden Gesundheitskompetenz deutlich. Dazu gehören ein ungesundes Verhalten, eine schlechtere subjektive Gesundheit, mehr Fehltage am Arbeitsplatz und eine intensivere Nutzung des Gesundheitssystems. „Geringe Gesundheitskompetenz hat auch ökonomische Folgen“, betonte sie. Gerade vulnerable Gruppen müssen besonders in den Fokus genommen werden, nicht zuletzt Menschen mit einem niedrigen Bildungsniveau. Laut der Erhebung von 2019/2020 geht eine geringere Bildung mit einem höheren Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 einher. Bei Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss ist auch die Impfskepsis höher, betonte Buhlinger-Göpfarth. „Sie sollten als Gruppe dezidiert bei Maßnahmen zur Stärkung des Vertrauens in Impfungen und Präventivmaßnahmen adressiert werden.“

Vulnerable Gruppen stärken

Die Stärkung der vulnerablen Gruppen ist für sie ein wichtiger Faktor zur allgemeinen Stärkung der Gesundheitskompetenz. Klar ist für die Ärztin: „Gesundheitskompetenz kann man lernen.“ Für wichtig hält sie die Kooperation aller relevanten Akteurinnen und Akteure sowie Netzwerke aus allen gesellschaftlichen Bereichen.

Die Hausärztinnen und Hausärzte hätten bereits viele positiven Erfahrungen mit den VERAH oder anderen qualifizierten Medizinischen Fachangestellten gemacht, sagte Buhlinger-Göpfarth. „Ich könnte mir vorstellen, dass das übertragbar ist auf die Physician Assistants.“ Sie könnten bei der Verbesserung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung künftig eine entscheidende Rolle spielen.

Professorin Nicola Buhlinger-Göpfarth

  • FÄ für Allgemeinmedizin
  • Professur für Physician Assistance Schwerpunkt Allgemeinmedizin E U | F H
Jetzt abonnieren
Mehr zum Thema

Neujahrsempfang der KVWL

Laumann plädiert für ein Primärarztsystem

Berufsgenossenschaftliche Uniklinik Bergmannsheil

Yann Fülling Chefarzt der Abteilung für BG Rehabilitation

Das könnte Sie auch interessieren
Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

© Janssen-Cilag GmbH

Video

Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Höhen- oder Sturzflug?

© oatawa / stock.adobe.com

Zukunft Gesundheitswesen

Höhen- oder Sturzflug?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

© MQ-Illustrations / stock.adobe.com

Digitalisierung

Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2024

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Eine Sanduhr, durch die Geldstücke fall

© fotomek / stock.adobe.com

Tag der Privatmedizin 2024

Outsourcing: Mehr Zeit für Patienten!

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Buch mit sieben Siegeln oder edles Werk? KI-Idee einer in Leder eingebundenen neuen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ)

© KI-generiert mit ChatGPT 4o

Exklusiv Entwurf unter der Lupe

Das brächte Ihnen die neue GOÄ

Kommentare
Sonderberichte zum Thema

Multiresistente gramnegative Erreger

Die Resistenzlage bei Antibiotika ist kritisch

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Shionogi GmbH, Berlin
In Deutschland leben derzeit etwa 96.700 Menschen mit einer HIV-Infektion.

© Jo Panuwat D / stock.adobe.com

Unternehmen im Fokus

Wie können wir die HIV-Epidemie beenden?

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Gilead Sciences GmbH, Martinsried b. München
Abb. 1: Eszopiclon verbesserte signi?kant beide polysomnographisch bestimmten primären Endpunkte: Schla?atenz (a) und Schlafe?zienz (b)bei älteren Patienten mit chronischer primärer Insomnie (jeweils p0,05)

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziet nach [20]

Behandlungsbedürftige Schlafstörungen bei älteren Menschen

Schlafstörungen können typische Altersprozesse triggern und verstärken

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: HENNIG Arzneimittel GmbH & Co. KG, Flörsheim
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

REDUCE-AMI und ABYSS

Betablocker nach Herzinfarkt – so steht es um die Evidenz

Parallelen zum Leistungssport

Höhere Anspannung vor der Operation führt offenbar zu besserem Ergebnis

Lesetipps
Von wegen nur schnöder Mammon: An den Finanzmitteln der Solidargemeinschaft GKV vergreift sich Politik gerne.

© Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa

Kolumne „Aufgerollt“ – No. 27

Die Plünderer der Krankenkassen

Die Ärzte Zeitung hat jetzt auch einen WhatsApp-Kanal.

© prima91 / stock.adobe.com

News per Messenger

Neu: WhatsApp-Kanal der Ärzte Zeitung