Vor der Landtagswahl Baden-Württemberg
Corona: Stresstest bestanden? Südwest-Gesundheitswesen im Fokus
Die Versorgung der Corona-Patienten ist der Lackmus-Test für ein Gesundheitswesen. Wie sich Baden-Württemberg dabei geschlagen hat, wird kurz vor der Landtagswahl unterschiedlich bewertet.
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Eine Frau wirft einen Wahlbrief zur Landtagswahl in Baden-Württemberg in einen Briefkasten. Rund 7,7 Millionen Bürger sind wahlberechtigt.
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Stuttgart. Eine Pandemie ist wohl die größte Herausforderung für ein Gesundheitssystem. Wie die Politik im Kampf gegen das Coronavirus abschneidet, dürfte auch bei der Landtagswahl im Südwesten am Sonntag eine Rolle spielen.
Fragen der Gesundheitsversorgung sind laut einer Forsa-Umfrage der Techniker Kasse Baden-Württemberg für 93 Prozent sehr wichtig oder wichtig bei der Wahlentscheidung.
Wie beurteilen die Beteiligten das Abschneiden des Landes im Kampf gegen die Pandemie? „Stresstest bestanden“ heißt es bei der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG). Hauptgeschäftsführer Matthias Einwag erläutert: „Wir haben keine COVID-Patienten abweisen müssen und sogar noch Kranke aus Italien und Frankreich aufgenommen.“
Auch die KV ist voll des Lobes. Deren Sprecher Kai Sonntag sagt: „Das Gesundheitssystem hat seine Leistungsfähigkeit in der Pandemie eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Der ambulante Bereich hat die große Welle abgefangen, während sich der stationäre den Schwerkranken widmen konnte.“
System hat Leistungsfähigkeit bewiesen
Doch die AOK, die größte gesetzliche Krankenkasse im Land, schüttet Wasser in den Wein. Die Pandemie habe die vergleichsweise sehr gut aufgestellte Gesundheitsversorgung im Südwesten „an die Grenze ihrer Belastbarkeit und darüber hinaus gebracht“. Wichtige Krebs-Vorsorgeuntersuchungen und Operationen seien nicht vorgenommen oder verschoben worden. „Pflegekräfte in Kliniken und Pflegeheimen waren am Anschlag“, stellt die Kasse überdies fest.
Die AOK fordert, die derzeitige Schieflage bei der Finanzierung der Versorgung zulasten Baden-Württembergs zu beseitigen und Leistungen auf den Prüfstand zu stellen. Auch der Strukturwandel müsse beschleunigt werden: Noch immer hätten 50 Prozent der Krankenhäuser im Land weniger als 100 Betten. Große Häuser erfüllten jedoch hohe Qualitätsansprüche und seien wirtschaftlicher.
Patientenbeauftragter? „Totenstille“ im Südwesten
Neben Corona gibt es noch weitere Themen, bei denen Kritiker Nachholbedarf sehen. VdK-Ehrenpräsident Roland Sing etwa hofft, dass eine neue Landesregierung seine Forderung nach Stärkung der Patientenrechte erhört. Im Bund gebe es schon einen Patienten- und Pflegebeauftragten. „Im Land herrschte bei dem Thema in den letzten fünf Jahren Totenstille.“
Der Beauftragte könnte auch in Debatten über Schließungen von Krankenhäusern eingreifen und dafür sorgen, dass die Menschen bei weitreichenden Veränderungen einbezogen werden. Nicht jedes kleine Krankenhaus auf dem Land könne überleben. „Man muss den Leuten aber die Angst nehmen, indem man ihnen einen Ersatz aufzeigt – etwa Ärztehäuser oder medizinische Versorgungszentren.“
Wie schwer aber Ersatz zu finden ist, davon kann die KV ein Lied singen. Sprecher Sonntag sagt: „In den nächsten fünf bis zehn Jahren hören 2600 Hausärzte auf.“ Viele Praxen würden nicht weitergeführt, und Patienten müssten längere Wege in Kauf nehmen. Er erinnert an das Versprechen des Landes, im Studienjahr 2021/22 150 neue Medizin-Studienplätze zu schaffen – in der Hoffnung, dass sich ein paar von ihnen niederlassen wollen. Eine Landarztquote bei der Studienplatzvergabe gibt es schon. Vom Land wünscht Sonntag sich Unterstützung für die Digitalisierung der Arztpraxen.
Klinikträger bleiben auf Hälfte der Investitionskosten sitzen
Auch in den Krankenhäusern sind Digitalisierung und deren Finanzierung großes Thema. Die BWKG will darauf in Abstimmung mit dem Wissenschaftsministerium einen Förderschwerpunkt legen. Die Krankenhausfinanzierung ist laut Einwag im Vergleich zu anderen Bundesländern gut, doch auch hier blieben Träger auf rund der Hälfte der Investitionskosten sitzen. So müssten ergänzend Eigenmittel eingesetzt werden. Da aber nur wenige Kliniken überhaupt Gewinne und über 40 Prozente Verluste machten, würden wichtige Investitionen gar nicht erst angegangen.
Die Notwendigkeit von Investitionen in den Kliniken sieht auch Gesundheitsminister Manfred Lucha. „Das Krankenhauswesen steht vor einem gewaltigen Umbruch“, betont der Grünen-Politiker. Gerade bei den Neubauvorhaben seien bei Patientenaufnahme, Versorgung und Pflege neue Maßstäbe anzulegen. So wird etwa bei der Größe von Patientenzimmern darauf zu achten sein, dass genügend Abstand zwischen den Betten eingehalten werden kann.
Lucha kündigte jüngst für 2021 die „Rekordsumme“ von 440 Millionen für Bau, Sanierung und Erweiterung von Kliniken an. Nicht genug, klagt Einwag. „Denn der gesetzlich verankerte Rechtsanspruch auf eine volle Finanzierung ist damit nicht erfüllt.“ Den Wahlkämpfern serviert sein Verband eine saftige Forderung: die Aufstockung der Mittel für Investitionen auf jährlich 750 Millionen Euro. (dpa)