Kunst, Kreativität und Krankheit
Frankfurter Städel Museum macht Programm für Krebspatienten
Raus aus dem Krankheitsalltag und abschalten: Das Frankfurter Städel Museum bietet ein Programm für Krebskranke an. Es geht nicht nur darum, Kunst zu betrachten, sondern auch darum, selbst kreativ zu werden.
Veröffentlicht:Frankfurt/Main. Im Atelier wird konzentriert gearbeitet. Ab und zu ist das Rascheln von Papier, das Kratzen einer Tuschefeder oder auch mal ein kurzes Gespräch oder Lachen zu hören. Auf dem langen Tisch: zahlreiche Stifte, große Farbflaschen und bunte Pastellkreide. Acht Frauen haben sich an diesem Novembernachmittag in dem Arbeitsraum des Frankfurter Städel Museums versammelt. Was sie vereint: Interesse an Kunst, Freude am kreativen Schaffen – und der Kampf gegen die eigene Krebserkrankung.
Eine von ihnen ist Barbara Helfer: „Das hier ist eine gute Möglichkeit, sich etwas Neuem zuzuwenden, auf andere Gedanken zu kommen und zu sehen, „es gibt noch eine ganz Menge mehr als diesen Mist“, sagt sie. Die 64-Jährige nimmt seit ihrer Chemotherapie vor einigen Jahren an dem Programm „Kunst zum Leben. Kreativ ist positiv“ teil, welches das Museum gemeinsam mit der Mainzer Stiftung „Leben mit Krebs“ anbietet.
Projekt wurde 2007 initiiert
Ins Leben gerufen wurde das Projekt im Jahr 2007 von Professor Elke Jäger. Die Chefärztin an der Klinik für Onkologie und Hämatologie im Frankfurter Krankenhaus Nordwest wollte ihren Patientinnen und Patienten zu mehr Lebensqualität und Lebensfreude verhelfen und hat die Stiftung mitgegründet, die unter anderem Kunst- und Sportangebote initiiert und finanziert.
Nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) erkranken deutschlandweit jedes Jahr rund 500.000 Menschen an Krebs. Bis 2030 ist demnach mit einer Zunahme von 20 Prozent zu rechnen.Wie sieht das Angebot im Städel konkret aus? Etwa alle zwei Wochen trifft sich die Runde für rund drei Stunden im Museum. Dann gibt es zunächst eine organisierte Führung zu einem Schwerpunktthema, bei dem man sich über Bilder aus verschiedenen Epochen austauscht und meist schon erste Skizzen angefertigt werden. Im Anschluss geht es ins Atelier und jeder kann seine Inspirationen und Eindrücke kreativ umsetzen. Den Eintritt übernehmen die Teilnehmer selbst, die Stiftung zahlt die Kunstvermittlung, das Museum stellt das Arbeitsmaterial. Interessierte können sich über die Stiftung oder das Städel anmelden.
Kunstpädagogisches Angebot
Es sei ein kunstpädagogisches Angebot, sagt Chantal Eschenfelder, die das Projekt seitens des Museums betreut. „Es geht um eine Umkehr der Betrachtung. Anstatt auf die Defizite zu schauen, die der Körper einem durch eine Krankheit vorführt, soll auf das Positive geblickt werden. Was kann man, was interessiert einen?“
An diesem Nachmittag lautet das Thema „Magie der Dinge“, im Mittelpunkt stehen Stillleben. Ausgestattet mit Papier, Stiften und Klappstühlen gehen die acht Teilnehmerinnen die Treppe hinauf zu den oberen Ausstellungsräumen. Gemeinsam mit einer Kunstvermittlerin sprechen sie über die Anfänge und die typischen Merkmale von Stillleben.
Es geht um die Faszination der Gegenstände und wie sie miteinander komponiert werden. Die Spannbreite reicht von den „Alten Meistern“ bis zur Moderne. Von Peter Willebeecks „Vanitas-Stillleben“ (ca. 1650), das die Vergänglichkeit thematisiert, bis zu Max Beckmanns „Stillleben mit Saxofonen“ (1926), das der Jazzmusik gewidmet ist.
Im Anschluss können noch Skizzen angefertigt werden, bevor es dann ins Atelier geht. „Für mich ist das eine Art Meditation“, erklärt eine Teilnehmerin, die gerade mit einer Tuschezeichnung beschäftigt ist. Wann schaffe man das schon, sich drei Stunden auf eine Sache zu konzentrieren? „Ich kann mir hier bewusst Freiräume verschaffen und abschalten“, sagt eine 47 Jahre alte Patientin, die im Internet auf das Programm gestoßen war.
Künstlerische Tätigkeit als Ventil
Manche Teilnehmer hätten anfangs Hemmungen gehabt, einen Pinsel in die Hand zu nehmen, sagt Jäger. „Doch inzwischen empfinden viele die künstlerische Tätigkeit als Ventil, um Dinge auszudrücken, die nicht gesagt werden können.“ Schließlich sei eine Krebserkrankung oft noch ein schwieriges Thema mit vielen Tabus.
Derweil trägt Barbara Helfer Farbe auf eine Styreneplatte auf. Sie ist dabei, einen Druck von einem Stillleben mit Früchten und einer Flasche anzufertigen. „Das ist schon ein tolles Angebot hier“, sagt die Germanistin. Ein weiterer Vorteil sei, dass man sich mit Menschen austauschen könne, die in einer ähnlichen Situation seien. Da gebe es einen offeneren Umgang mit der Krankheit, und „man kann auch mal ein Witz machen“. (dpa)
Informationen des Städel Museums zum Projekt: www.staedelmuseum.de/de/angebote/kunst-zum-leben