Netzwerk ProBeweis
Niedersachsen stärkt Angebot für Gewaltopfer
In Deutschland ist etwa jede vierte Frau von Partnergewalt betroffen. Das niedersächsische Gesundheitsministerium will ihnen niedrigschwellig und kostenlos helfen, Beweise von Misshandlungen zu sichern.
Veröffentlicht:Hannover. Wer in Partnerschaften Gewalt erlebt, kann sich aus Angst oder Scham oft nicht sofort zu einer Strafanzeige durchringen. Das Netzwerk ProBeweis ermöglicht es Betroffenen, an 45 Standorten in Niedersachsen anonym und kostenlos Spuren von Ärztinnen und Ärzten sichern zu lassen. Dieses flächendeckende Angebot für Gewaltopfer wird nun gestärkt. Die Landesförderung werde im kommenden Jahr um rund ein Drittel auf 410.000 Euro aufgestockt, kündigte Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) am Mittwoch in Hannover an.
Wenn nach einer Vergewaltigung zu viel Zeit verstreicht und die Betroffene zu spät zu einem Gynäkologen geht, lassen sich zum Beispiel Spermaspuren nicht mehr finden. Auch Blutergüsse und Spuren anderer Verletzungen verblassen, wie die Leiterin des Netzwerkes, Anette Debertin, erläuterte. Debertin ist Oberärztin am Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Die anonym gesicherten Beweise werden in ihrem Institut gelagert. Falls später dann doch eine Anzeige gestellt wird und die Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbunden werden, können die Beweise an die Ermittlungsbehörden herausgegeben werden.
Krankenkassen übernehmen erstmals die Kosten
Vom kommenden Jahr an übernehmen erstmals die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die Spurensicherung. Dabei teilen sich die Kassen die Kosten nach Marktanteil. Personenbezogene Daten der Betroffenen würden nicht weitergeleitet, betonte Hanno Kummer, Leiter des Verbandes der Ersatzkassen (vdek) in Niedersachsen.
In den vergangenen zwölf Jahren wurden landesweit bereits 1.707 vertrauliche Spurensicherungen vorgenommen. Bei etwa jedem zweiten Fall gehe es um Gewalt im häuslichen Kontext, sagte Debertin. Etwa fünf Prozent der Untersuchten seien Männer.
Die Betroffenen von häuslicher und sexueller Gewalt, die sich untersuchen lassen, müssen einwilligungsfähig sein. Ist diese Voraussetzung gegeben, könnten auch junge Frauen unter 18 Jahren ohne einen Erziehungsberechtigten kommen, sagte Debertin. Täter stammten ja teilweise aus der eigenen Familie.
Häusliche Gewalt immer noch ein Tabuthema
Im vergangenen Jahr wurden landesweit in 160 Fällen vertraulich Spuren in einer Ambulanz des Netzwerks ProBeweis gesichert. Seit Januar sind es dem Netzwerk zufolge bereits 129 Fälle. Das Land will das Angebot noch bekannter machen, denn häusliche Gewalt ist immer noch ein Tabuthema. Viele Betroffene erzählen davon nicht einmal im direkten Umfeld.
Nach der Statistik des Bundeskriminalamtes wurden 2022 in Deutschland 240 500 Menschen Opfer von häuslicher Gewalt und 157 500 Menschen Opfer von Partnerschaftsgewalt. „Die Dunkelziffer ist riesig hoch“, sagte MHH-Präsident Michael Manns. Studien zufolge ist in Deutschland jede vierte Frau von körperlicher beziehungsweise sexueller Gewalt betroffen, die von ihrem Partner ausgeht.
In der Pandemie sei die häusliche Gewalt noch einmal gestiegen, sagte MHH-Präsident Manns. Vor diesem Hintergrund müssten sich auch die Strukturen des Gesundheitssystems ändern. So seien die Themen häusliche Gewalt und sexuelle Gewalt in den Lehrplan des Medizinstudiums an der MHH aufgenommen worden. (dpa)