Flüchtlinge
Ärztliche Hilfe aus den eigenen Reihen
Unter den Flüchtlingen, die in diesen Tagen in Deutschland ankommen, sind auch zahlreiche Ärzte. Die hiesige Versorgung könnte davon profitieren - sofern die Integration gelingt.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Reyadh Aun arbeitete seit 30 Jahren als Gefäßchirurg in seiner Heimat Homs, als er fliehen musste.
Die Flucht aus Syrien bedeutete für den Mediziner nicht nur persönliches Leid, sondern - zunächst einmal - auch die Aufgabe seines Berufs. Denn trotz seiner fachlichen Qualifikation fehlte es Aun an den nötigen Deutschkenntnissen, um weiterhin als Arzt tätig sein zu können.
Aun ist mit seinem Schicksal nicht allein: Trotz der jüngst eingeführten Kontrollen an Deutschlands Grenzen kommen weiterhin Tausende Flüchtlinge an.
Viele von ihnen sind hochqualifiziert und könnten auch in der medizinischen Versorgung anderer Landsleute, die aus dem Nahen Osten fliehen mussten, helfen.
Vor allem im Süden Deutschlands ist die Lage dringlich: 1600 Flüchtlinge waren allein am Mittwoch am Münchner Hauptbahnhof angekommen.
An der deutsch-österreichischen Grenze sind am Donnerstag weitere Notunterkünfte für Flüchtlinge eingerichtet worden. Seitdem die Zugverbindung von Salzburg nach Deutschland zwischenzeitlich eingestellt wurde, kommen Hunderte Flüchtlinge zu Fuß über die Grenze - zum Teil schwer traumatisiert und vom langen Fußmarsch gezeichnet.
Das Problem der ankommenden Ströme - und damit auch der medizinischen Versorgung - wird damit von Tag zu Tag dringender.
Sprachkurse für Mediziner
Das Förderprogramm "Medici in Posterum - Ärzte für die Zukunft" ist an jene adressiert, die helfen könnten, die Situation zu entschärfen: Ärzte mit Migrationshintergrund, die zwar schon ein wenig Deutsch sprechen, denen aber medizinisches Fachvokabular und wichtige Worte für den Praxisalltag fehlen.
So wie Reyadh Aun: Der Gefäßchirurg ist einer von aktuell elf Teilnehmern des EU-geförderten Sprachkurses "Berufsbezogenes Deutsch für Ärztinnen und Ärzte".
Ursprünglich war das Weiterbildungsangebot für Mediziner aus Osteuropa vorgesehen. Schnell verschob sich der Fokus seit dem Start des Projekts im Februar aber auf andere Asylbewerber: "Die Teilnehmer stammen überwiegend aus dem Nahen Osten, vor allem aus Syrien und dem Irak", erläutert Projektmanager Elmar Kretschmer. "Der Zuspruch wird immer größer, für den nächsten Kurs werden 30 Teilnehmer erwartet."
Das Seminar findet berufsbegleitend statt und gibt den Beteiligten so Raum, nebenher in Krankenhäusern und Arztpraxen zu arbeiten - auch bei der Vermittlung hilft "Ärzte für die Zukunft".
Nach erfolgreich bestandener Prüfung vergibt die Ärztekammer in Rheinland-Pfalz ein Zertifikat, mit dem den zukünftigen Ärzten ihre Approbation durch das Landesamt erteilt wird.
"Nach der Qualifizierung begleiten wir die Migranten weiter und versuchen sie auf dem Arbeitsmarkt zu vermitteln", so Kretschmer.
Auch für Deutschland bringe das Chancen mit sich: So könnte medizinisches Personal aus den Flüchtlingsströmen langfristig helfen, Lücken auf dem Land zu füllen.
"Viele kommen mit falschen Vorstellungen nach Deutschland und müssen dann hier erkennen, dass der Arbeitsmarkt tatsächlich hart umkämpft ist - und dass gerade in Großstädten womöglich gar kein Bedarf ist", sagt Kretschmer im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". "Sie müssen sich dann notgedrungen von der Vorstellung verabschieden, in der Großstadt tätig zu sein und sich in Richtung Land orientieren. Das bringt Chancen für beide Seiten."
Eine dringende Voraussetzung für Ärzte sei jedoch, dass sie trotz der meist beschwerlichen Flucht die entsprechenden Dokumente dabei hätten, betont Kretschmer. In anderen Berufen, etwa dem Handwerk, könne die Berufsanerkennung zum Teil auch ohne diese erfolgen - doch wenn Flüchtlinge ins Land kommen, die angeben, ein medizinisches Studium absolviert zu haben oder in der Heimat gar als Arzt tätig gewesen zu sein und dies nicht belegen können, stellt das die Behörden vor Probleme.
"Schwankender rechtlicher Grund"
Hier will das Bundesgesundheitsministerium ansetzen: Es plane aktuell eine Regelung, die es ermöglicht, dass Ärzte und Pflegekräfte aus den Flüchtlingsregionen die Gesundheitsversorgung ihrer Landsleute hierzulande unterstützen dürfen, sagte Staatssekretär Lutz Stroppe am Mittwoch bei einer Veranstaltung in Berlin.
In Lenbach und Gießen seien schon Ärzte und Pflegekräfte in Erstaufnahmeeinrichtungen unterstützend in der Gesundheitsversorgung tätig, berichtete Stroppe, "allerdings auf sehr schwankendem rechtlichen Grund", schränkte er ein.
Auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sprach das Thema jüngst bei seinem Besuch einer Flüchtlingseinrichtung an: "Sektoren wie die Pflege sind auf qualifizierte Zuwanderung angewiesen", sagte er der "Ärzte Zeitung".
"Wir müssen sehen, wie wir die, die dauerhaft hierbleiben wollen, mit Spracherwerb und sehr guter Bildung qualifizieren." Ärzte, die die Sprache von Flüchtlingen sprechen, könnten eine wichtige Hilfe bei der Versorgung von Flüchtlingen sein.
Weitere Maßnahmen, die laut Stroppe aktuell in der Abstimmung mit den Ländern seien, zielen auf Abrechnungsmodalitäten: So soll die psychotherapeutische Versorgung und die Versorgung in Einrichtungen ohne Abrechnungsmöglichkeiten in der Gesetzlichen Krankenversicherung für Flüchtlinge auch nach dem Ablauf der 15-Monats-Frist zu sichern.
Bisher gebe es danach einen Bruch. Das solle geändert werden, kündigte Stroppe an.
Schnelle Lösungen müssen her
Ermöglicht werden soll auch die flächendeckende Einführung der Gesundheitskarte. Bisher haben diese nur wenige Bundesländer; vielerorts mussten Einzelverträge zwischen Kommunen und Kassen geschlossen werden, damit die Versorgung der Flüchtlinge über die Gesundheitskarte laufen kann.
"Hier haben wir die Erfahrung gemacht, dass eine Reihe von Ländern keine Krankenkassen finden", meinte Stroppe. Deshalb plane das Ministerium nun einen Kontrahierungszwang für diesen Bereich.
Das Problem bleibt dabei jedoch die Zeit: Jüngst hatte Nordrhein-Westfalen angekündigt, die Gesundheitskarte für Flüchtlinge einzuführen.
Die ersten Karten werden voraussichtlich jedoch erst im Januar 2016 ausgegeben - die akute Problematik wird folglich nicht entschärft.
Ehrenamtliche Helfer sind in der Versorgung der Flüchtlinge in großen Teilen Deutschlands also auch weiterhin unentbehrlich.
Die Hilfsbereitschaft der deutschen Ärzte ist groß - doch Sprachbarrieren machen vielerorts zu schaffen. Dolmetscher und Ärzte, die selber als Flüchtlinge kamen, könnten helfen, das Problem zu entschärfen - so wie schon bald Reyadh Aun. (mit Informationen von ami)