Erinnerung an NS-Verfolgung
DGIM setzt Stolpersteine für ihre Opfer der NS-Diktatur
Neue Gedenktafeln in Wiesbaden erinnern an Vertreibung zweier jüdischer Internisten durch die Nationalsozialisten. Generalsekretär Professor Georg Ertl erwähnt auch, dass es in der DGIM nicht nur Opfer gab.
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Stolpersteine in der Wiesbadener Wilhelmstraße 60 mahnen an das Schicksal von Dr. Eduard Einstoss, seiner Frau Amely und Tochter Jutta.
© Christoph Barkewitz
Wiesbaden. Die DGIM räumt auf. Zunächst erkannte die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin Anfang Oktober fünf teils hochrangigen früheren Vertretern wegen ihres Verhaltens in der Zeit des Nationalsozialismus die Ehrenmitgliedschaft ab. Bei zwei weiteren Mitgliedern könnte dies noch anstehen, hier wurde fürs Erste eine Distanzierung ausgesprochen. Ihre Vergehen reichen nach Recherchen der DGIM von wissenschaftlichem Fehlverhalten bis hin zu Medizinverbrechen, die zum Tod mehrerer Menschen geführt haben.
Am Mittwoch widmete sich die Gesellschaft nun zwei Opfern der NS-Diktatur aus ihren Reihen: Den jüdischen Internisten Eduard Einstoss und Karl Harpuder wurde in Wiesbaden mit sogenannten Stolpersteinen gedacht. Diese in den Boden eingelassenen Gedenkplättchen – ein 1992 begonnenes Projekt de Künstlers Gunter Demnig – erinnern inzwischen in zahlreichen europäischen Ländern an Menschen, die in der NS-Zeit verfolgt, ermordet, deportiert oder vertrieben wurden.
Beruf und Heimat verloren
Letzteres Schicksal traf auch die beiden Mediziner. Sie verloren zwar nicht ihr Leben, aber ihren Beruf und ihre Heimat, wie Vertreter von Stadt und DGIM beim Einsetzen der Steine berichteten.
An Eduard Einstoss, seine Frau Amely und Tochter Jutta erinnern nun drei Messingtäfelchen vor dem Haus Nummer 60 in der Wilhelmstraße. Der 1891 in Augsburg geborene Einstoss studierte zunächst Medizin in München, war zwischenzeitlich im Ersten Weltkrieg in einem Feldlazarett eingesetzt und schloss sein Studium schließlich in Frankfurt am Main ab.
1921 zog er nach Wiesbaden und wurde Mitarbeiter des langjährigen DGIM-Geschäftsführers Anton Géronne. 1926 ließ er sich als Arzt nieder. 1937 entzogen ihm die Nazis die Approbation und er musste seine Praxis aufgeben.
Er floh zunächst in die Niederlande, 1940 schiffte er sich wegen des drohenden deutschen Einmarschs mit Frau und Tochter nach New York ein. Er zog nach Chicago, konnte dort jedoch zunächst keine Approbation erhalten. Er arbeitete dann für die orthopädische Schuhmanufaktur Scholl. 1960 starb er auf einem Atlantikdampfer bei der – vermuteten – Rückkehr nach Deutschland.

Am Sitz des früheren Forschungsinstituts für Hydrologie und Stoffwechsel in der Wiesbadener Schützenhofstraße 4 wird Dr. Karl Harpuder und Gemahlin gedacht.
© Christoph Barkewitz
Auch Karl Harpuder floh nach New York. Er wurde 1893 in München geboren, studierte dort Medizin und arbeitete ab 1921 als Assistenzarzt an der Medizinischen Klinik der Universitätsklinik Kiel. 1925 wurde er Direktor des Forschungsinstituts für Hydrologie und Stoffwechsel in der Wiesbadener Schützenhofstraße 4, wo auch die Stolpersteine für ihn und seine Frau Auguste gesetzt wurde.
Arzt, Dozent und Standespolitiker
1933 wurde er entlassen und ging zunächst an das Londoner Guy’s Hospital. 1934 übersiedelte er dann mit Gattin nach New York. Anders als bei Einstoss erkannten die US-Behörden Harpuders Approbation umstandslos an und so arbeitete er ab 1935 am Montefiore Hospital and Medical Center in der Bronx, wo er Direktor der Abteilung für physikalische Medizin und Rehabilitation wurde.
Zudem arbeitete er als Hochschullehrer an mehreren Colleges und Universitäten und war auch Präsident der New Yorker Society of Physical Medicine and Rehabilitation sowie der Eastern Section of the American Congress of Physical Medicine and Rehabilitation. Er starb 1974 in New York.
„Es gab Täter und Opfer in der DGIM“, sagte deren Generalsekretär Professor Georg Ertl anlässlich der Steinsetzung. Damit solle den Schicksalen der beiden Mitglieder und ihrer Angehörigen gedacht werden. Neben der Erinnerung an den Massenmord der Nazis, sei auch eine Individualisierung, ein Gedenken an die einzelnen Schicksale wichtig, ergänzte der Wiesbadener Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende.
Wiesbaden hat nun insgesamt 721 dieser Stolpersteine in seinem Stadtgebiet. Für die DGIM waren es die ersten, weitere Tafeln sind aber für Berlin und München in Planung.

Gedenkworte von DGIM-Generalsekretär Professor Georg Ertl (r.).
© Christoph Barkewitz