Rückzug von Dr. Müller-Wohlfahrt
Der Druck auf Mannschaftsärzte steigt
Mit eigenwilligen Methoden war Dr. Müller-Wohlfahrt als Mannschaftsarzt vom FC Bayern jahrzehntelang erfolgreich - und umstritten. Jetzt hat er das Handtuch geworfen. Ein Experte sieht nun eine neue Ära in der Sportmedizin kommen.
Veröffentlicht:MÜNCHEN. Es schien eine Verbindung fürs Leben zu sein, doch nun gehen sie getrennte Wege: Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt hat sein Amt als Mannschaftsarzt des FC Bayern München aufgegeben.
Mit Müller-Wohlfahrt ziehen sich auch seine Kollegen Dr. Lutz Hänsel und Privatdozent Dr. Dr. Peter Ueblacker sowie Müller-Wohlfahrts Sohn Kilian von ihren Aufgaben beim deutschen Rekord-Fußballmeister zurück.
Als Grund nannte Müller-Wohlfahrt in einer Erklärung, das Vertrauensverhältnis sei nachhaltig beschädigt. Laut Medienberichten hat es am vergangenen Mittwoch nach der 1 : 3-Niederlage des FC Bayern beim FC Porto Streit darüber gegeben, weshalb die Genesung der verletzten Spieler David Alaba, Medhi Benatia, Javi Martínez, Bastian Schweinsteiger, Franck Ribéry und Arjen Robben so lange auf sich warten lasse.
Der Druck, angeschlagene Profis immer rascher zurück auf den Fußballplatz zu bringen, steigt nicht nur bei den Bayern, wie Professor Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule in Köln bestätigt.
"Die Spieler kommen viel zu früh zurück - und das bezieht sich eben nicht nur auf die eigentliche Verletzung", sagt der Rehabilitationsexperte.
"Oft gibt es Begleitverletzungen und Komplikationen an anderen Strukturen, weil diese überlastet und nicht behandelt werden. Das Problem ist, dass häufig nur sehr punktuell geschaut wird, ob die Verletzung ausgeheilt ist. Eine Verletzung bewirkt aber systemische Veränderungen, und darauf wird zu wenig geachtet."
Froböse macht hier einen allgemeinen Trend aus: "Man fokussiert sich auf Schlüssel und Schloss und vergisst, dass eine Tür und ein Haus dazugehören." Die Folge sehe man bei Spielern wie Holger Badstuber oder Bastian Schweinsteiger: "Auf eine ausgeheilte Verletzung folgt gleich die nächste."
Nicht der erste Rücktritt
Laut Froböse spielt dabei auch ein grundsätzliches Problem eine Rolle: Es gebe keine validen Kriterien dafür, wann ein verletzter Sportler wieder fit für die Belastungen in Training und Wettkampf sei.
"Das obliegt immer noch der Meinung der Entscheidungsträger. Im Fall des FC Bayern hat Trainer Pep Guardiola versucht, diese Kompetenz an sich zu reißen, was ich für falsch erachte. Diese Entscheidung sollte immer eine interdisziplinäre Entscheidung sein, gerade weil es keine einzigen validen Parameter für die Regeneration nach Verletzung gibt und man zwangsläufig im Nebel herumstochert."
Im Falle Müller-Wohlfahrts ist es nicht das erste Zerwürfnis dieser Art. Die Unstimmigkeiten zwischen ihm und Trainer Guardiola ähneln der Situation im Jahr 2008, als der Arzt sich schon einmal von seinem Posten als Leiter der medizinischen Abteilung des FC Bayern freistellen ließ. Damals hatte es Streit mit Trainer Jürgen Klinsmann gegeben. Nach dessen Entlassung kehrte er zum Verein zurück.
Müller-Wohlfahrt wird im kommenden August 73 Jahre alt. In der Münchner Altstadt betreibt er ein Zentrum für Orthopädie und Sportmedizin, in dem auch Hänsel und Ueblacker tätig sind. Den FC Bayern betreute der gelernte Orthopäde von 1977 an, seit 1995 ist er auch für die Fußball-Nationalmannschaft zuständig.
Sein Image schwankte während all der Jahre zwischen dem Ruf, ein Wunderdoktor zu sein, und dem Vorwurf, sich unseriöser Methoden zu bedienen. Argwöhnisch beäugt wird zudem Müller-Wohlfahrts Geschäftstätigkeit. Das Unternehmen "[formula] Müller-Wohlfahrt Health & Fitness AG" führt unter seinen Produkten frei verkäufliche Arzneimittel, Medizinprodukte, Nahrungsergänzungsmittel und diätetische Lebensmittel.
Therapieverfahren sind umstritten
Allgemein gilt Müller-Wohlfahrts Art der Behandlung, zu der alternativmedizinische und homöopathische Verfahren zählen, unter seinen Kollegen als unorthodox. Er spritzt Actovegin intramuskulär, ein Ultrafiltrat aus Kälberblut, das die Resorption von Glukose und die Sauerstoffaufnahme im Gewebe verbessern soll. Muskelverletzungen sollen damit schneller heilen.
Die i.m.-Gabe ist nach den Dopingregeln erlaubt. Gegenüber dem US-Sportsender ESPN äußerte Müller-Wohlfahrt einmal, seiner Überzeugung nach sei Actovegin "eines der besten Medikamente der Welt".
Die Kritik an Müller-Wohlfahrts Vorgehensweise hält Froböse für durchaus berechtigt. "Er hat zwar 40 Jahre Erfahrung, und Gefühl spielt bei der Behandlung von Spitzensportlern eine große Rolle, ebenso Glaube und Vertrauen.
Aber Müller-Wohlfahrt hat es nicht geschafft, sich mehr auf die Seite der evidenzbasierten Medizin zu bewegen. Und deswegen ist es auch nicht falsch, dass er jetzt geht. Ich glaube, es ist ein neues Zeitalter angebrochen."