Vorwürfe werden laut
Die Bundesliga und der Dopingsumpf
Im Profifußball soll es in den 70er und 80er Jahren Anabolika-Doping gegeben haben, berichtet ein Mitglied einer Doping-Untersuchungskommission. Unter Verdacht stehen der VfB Stuttgart und der SC Freiburg. Die Vorwürfe sorgen für einen Aufschrei - die Beschuldigten dementieren.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Als Fußball-Nationaltorwart Toni Schumacher 1987 sein berühmtes Buch "Anpfiff" veröffentlichte, hätte er sicher nicht ahnen können, was er sich mit dieser Autobiographie einbrocken würde.
"Mit meinem kleinen R 5 habe ich als ganz junger Spieler ein halbes Dutzend unserer großen Spieler zu einem Kölner Arzt gebracht. Bei dem holten sie sich vor wichtigen Spielen ihre Pillen und Spritzen", schrieb Schumacher und breitete ausführlich seine Erfahrungen über unerlaubte Praktiken zur Steigerung der Leistungsfähigkeit aus.
Wer solche schlechten Nachrichten überbringt, hatte zumindest damals schlechte Karten. Stante pede musste er das Tor sowohl in der Nationalmannschaft als auch beim 1. FC Köln räumen.
"Systematisches Doping"
Seit Montag werden Erinnerungen an Schumachers Autobiographie wach. Grund ist ein Sondergutachten der Untersuchungskommission zur Aufarbeitung der Doping-Vergangenheit an der Universität Freiburg, das für großen Wirbel sorgt.
Der Vorwurf: In der Bundesliga soll es in den 1970er und 1980er Jahren systematisches Anabolika-Doping gegeben haben. In den Fokus rücken dabei der VfB Stuttgart und der FC Freiburg. Und einmal mehr auch der frühere Freiburger Sportmediziner Dr. Armin Klümper.
Klar ist: Die Kommission hat unterschiedliche Auffassungen im Detail. Gremiumsmitglied Andreas Singler schrieb in einer offenbar nicht mit der Kommission abgestimmten Mitteilung, dass sich Anabolika-Doping "in systematischer Weise" anhand neuer Aktenbestände "erstmals auch für den Profifußball in Deutschland sicher beweisen" lasse.
Eine Einschätzung, die der Pharmakologe Professor Fritz Sörgel, der ebenfalls der Kommission angehört, so nicht ganz teilen mag.
"Systematisches Doping ist ein sehr schwerer Vorwurf, der für Systeme insbesondere unter dem Einfluss der Politik gilt", erklärte Sörgel am Dienstag im ZDF-Morgenmagazin. "Das kann man aus den Unterlagen nicht unbedingt ableiten."
Gleichwohl sieht auch Sörgel dringend Handlungsbedarf und nimmt vor allem den DFB in die Pflicht, der sich in Sachen Doping nicht länger vor der Vergangenheit verstecken dürfe .
Der VfB Stuttgart hat sich inzwischen von den Vorwürfen distanziert. Der Sportmediziner Armin Klümper sei zu keiner Zeit Vereinsarzt beim VfB gewesen, heißt es in einer Mitteilung. Der frühere Meister-Torwart Helmut Roleder wies ebenso Vorwürfe zurück wie die Ex-Profis Karlheinz Förster und Karl Allgöwer.
"Wir waren weit entfernt, über Doping nachzudenken", sagte Roleder. "Ich war zwar bei Dr. Klümper, habe mit diesen Dingen aber nie etwas zu tun gehabt", stellte Allgöwer klar.
Singler allerdings wird in der "Bild" so zitiert: "Klümper schickte die Präparate an den Masseur oder ließ sie dorthin schicken. Beim VfB bezahlte der Verein die Rechnung."
Scharfe Gegenwehr kommt auch vom SC Freiburg, der damals in der zweiten Liga spielte. Nachforschungen der Kommission zufolge ist beim SC "eine Anabolika enthaltende Medikamentenlieferung auf Veranlassung" von Klümper überliefert.
"Der Sport-Club als Bundesliga-Verein erteilt jeglichen Maßnahmen zu Medikamentenmissbrauch und unerlaubter Leistungssteigerung eine klare Absage", stellen SC-Vertreter klar und signalisieren Kooperationsbereitschaft. Der Verein sicherte der Kommission eine umfassende Unterstützung bei der Aufklärung zu.
Auch Schumacher reagiert
Die neuen Erkenntnisse zum Doping wurden in einem 60seitigen Sondergutachten zusammengefasst. Die Kommission werde darüber beraten, ob sie diesen Text als Zwischenbericht vielleicht noch vor Abschluss sämtlicher Arbeiten veröffentlichen wolle, so Singler.
Auch Toni Schumacher hat inzwischen auf den Bericht reagiert: "Ich denke, der heutige Fußball in Deutschland ist sauber", sagte er. Das sieht Professor Wilhelm Schänzer, Leiter des Instituts für Biochemie in Köln, nicht anders.
Schumachers Enthüllungen hatten Folgen: Ab 1988 wurden in der Bundesliga regelmäßig Doping-Kontrollen angeordnet. Zunächst waren es Urinproben nach Spielende, ab 1995 kam es dann auch zu Kontrollen im Training. Ende der 80er Jahre wies die Statistik an die 100 Kontrollen pro Saison aus , in der vergangenen Spielzeit waren es schon 2200.
Viele Jahre teilten sich der DFB und die Nationale Antidopingagentur (Nada) die Arbeit. Erstmals wurden 2013/14 auch Bluttests vorgenommen. Ab der neuen Saison übernimmt die Nada alle Tests. Und die Nationalspieler müssen dann auf den Tag genau angeben, wo sie sich aufhalten und wie sie erreichbar sind.
Die Freiburger Doping-Kommission richtet ihren Fokus im übrigen nicht allein auf die Fußballer. Auch der Bund Deutscher Radfahrer gerät heftig unter Beschuss - ein völlig anderes Kapitel der deutschen Dopinggeschichte, in der immer noch allzu viel im Dunkeln liegt. (mit dpa)
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