Terror in Brüssel

EU im Notfallmodus

Verletzte auf dem Gehweg, heulende Sirenen, hunderte Sanitäter im Einsatz: Nach den Anschlägen in Brüssel herrscht der Ausnahmezustand. Auch in Deutschland wird reagiert: Polizei und Ärzte wappnen sich für den Ernstfall.

Von Jana Kötter und Matthias WallenfelsMatthias Wallenfels Veröffentlicht:

BRÜSSEL/NEU-ISENBURG. "Ein schwarzer Tag für Europa" - so nennt Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) diesen Dienstag. "Diese abscheulichen Taten treffen uns alle", schreibt er im Kurznachrichtendienst Twitter.

Nach den verheerenden Anschlägen von Paris und Istanbul haben Terroristen am Dienstag in Brüssel zugeschlagen: Bei Explosionen am Flughafen und in der U-Bahn im EU-Viertel sind am Dienstagmorgen mindestens 34 Menschen getötet worden, rund 230 weitere wurden verletzt.

Der belgische Premierminister Charles Michel sprach von "blinden, gewalttätigen und feigen Anschläge". Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) habe sich zu den Anschlägen bekannt, berichtet die dem IS nahestehende Nachrichtenagentur Amaq am Dienstag im Internet.

Augenzeuge Jordy van Overmeir war aus Bangkok nach Brüssel geflogen und holte sein Gepäck, als sich - ersten Erkenntnissen zufolge - vermutlich ein Selbstmordattentäter in die Luft sprengte.

"Ich ging aus dem Flughafen und da sah ich Menschen mit Kopfverletzungen, weinende Menschen, mehr Blut und überall Glas", berichtete er.

Augenzeugen leiden unter Traumata

Für Augenzeugen wie ihn bedeutet das Erleben eines solchen Anschlages - auch wenn sie nicht verwundet werden - ein extremes Trauma.

"Wir wissen heute, dass diese Man-made-Traumata, also von Menschen ausgelöste Traumata, wesentlich schwerer zu verarbeiten sind als etwa Traumata nach Naturkatastrophen", erklärt der Diplom-Psychologe Dr. Jens Hoffmann im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

Er ist Geschäftsführer des "Team Psychologie & Sicherheit", einem Verbund von Kriminalpsychologen, und in der Europol-Expertendatenbank für Polizeikräfte gelistet. Direkt Betroffene sollten sich laut Hoffmann in jedem Fall Hilfe suchen.

Doch auch den Einsatzkräften hat der Einsatz am Dienstagmorgen Unglaubliches abverlangt. Auf Bildern vom Brüsseler Flughafen waren blutverschmierte Menschen mit zerrissener Kleidung zu sehen, in einer der Flughafenhallen stürzte durch die Wucht der Explosionen die Deckenverkleidung herab.

Vor Ort ging es darum, Verletzte zu versorgen, aber auch zu beruhigen - obwohl nach den Anschlägen zunächst nicht sicher war, wie groß die Gefahr einer weiteren Bluttat tatsächlich ist. Die Krankenhäuser in der belgischen Hauptstadt stellten sich sofort auf die Aufnahme zahlreicher Verletzer ein.

Notfall-Plan in Krankenhäusern

Ein Notfall-Plan sei aktiviert worden, berichtete die Nachrichtenagentur Belga wenige Minuten nach den Anschlägen. Das belgische Rote Kreuz rief zum Blutspenden auf.

Die Sicherheitskräfte reagierten sofort - in Belgien, aber auch in Deutschland. Das Auswärtige Amt richtete einen Krisenstab ein, die Bundespolizei im Saarland kontrollierte verstärkt an der Grenze zu Luxemburg.

Darüber hinaus wurden 2500 zusätzliche Kräfte an den Frankfurter Flughafen geschickt. "Wir haben die Maßnahmen intensiviert", sagte eine Sprecherin des Bundespolizeipräsidiums. Konkret sei das neben verstärkten Kontrollen an Flughäfen und Bahnhöfen im Bereich der deutsch-belgischen Grenze der Fall.

Darüber hinaus arbeite man an einem angepassten Sicherheitskonzept in Deutschland. "Reagiert wird auf jeden Fall", sagte eine Sprecherin des Bundespolizeipräsidiums in Potsdam am Dienstag. Details könne man derzeit allerdings noch nicht nennen.

Nach den Anschlägen von Paris etwa hatte ein Notfallplan geholfen, schnell reagieren zu können.

Sanitätsmittelpakete vom Bund

In Deutschland ist der Katastrophenschutz, zu denen auch Terrorakte zählen, von der Zuständigkeit her Ländersache. Der Bund hält aber mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) ein Back-up vor, auf dessen Infrastruktur und unterstützende Dienstleistungen die Länder zurückgreifen können - zum Beispiel im Falle eines Massenanfalls von Verletzten (MANV) mit Hunderten von Toten.

Über die Bundesrepublik verteilt hat das BBK hier 61 Medizinische Task Forces (MTF) eingerichtet, die sich - nach einer gewissen Rüstzeit  - zum Beispiel unterstützend um die medizinische Versorgung der Opfer kümmern können. Oftmals reichen aber - wie zum Beispiel in den Metropolen - die lokalen Klinikkapazitäten für die medizinische Versorgung der Opfer aus.

Der Bund hat übrigens ausgewählten Kliniken Sanitätsmittelpakete zur Verfügung gestellt, auf die sie im Ernstfall zurückgreifen können.

Aktiv ist der Bund auch in der psychologischen Betreuung von Terroropfern. Die Koordinierungsstelle Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe (NOAH), die eigentlich zur Betreuung von Deutschen bei Katastrophen und Terroranschlägen im Ausland eingerichtet wurde, steht auch für den Inlandseinsatz bereit.

Auch die ärztlichen Gesellschaften sind für die Terrorgefahr in Deutschland sensibilisiert. So hatte die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) vor Kurzem ihre Mitgliedskliniken aufgefordert, Krankenhaus-Alarm- und Einsatzpläne zu überprüfen und gegebenenfalls zu aktualisieren, Übungen für einen MANV durchzuführen und ausreichend OP-Material vorzuhalten.

Die Initiative TraumaNetzwerk DGU® habe dazu beitragen, die Schwerverletztenversorgung in solchen Situationen in den vergangenen zehn Jahren deutlich zu verbessern.

Europäische Strategie gefordert

Eine nationale Strategie allein sei jedoch nicht ausreichend, betonte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow. Er verlangt von der EU eine baldige gemeinsame Strategie gegen Terroranschläge.

"Die europäischen Mitgliedsländer müssen beginnen zu begreifen, dass nur eine gemeinsame Innen-, Justiz- und Sicherheitspolitik die Menschen in Europa vor dem islamistischen Terror besser schützen kann", sagte er.

Es spreche viel dafür, das Beispiel des deutschen Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums auch auf die europäische Ebene zu bringen.

Am Dienstag waren die Anstrengungen zunächst individueller Natur: Viele Länder - darunter Österreich, Tschechien und Polen - gaben bekannt, Sicherheitsmaßnahmen zu erhöhen. Frankreichs Innenminister schickte 1600 zusätzliche Polizisten und Gendarmen in den Einsatz.

Die Niederlande haben ihren Bürgern am Dienstag dringend geraten, nicht nach Brüssel zu fahren. "Das Risiko auf terroristische Anschläge bleibt", warnte das Außenministerium auf seiner Website.

Der Dienstag könnte leider nicht Europas letzter schwarzer Tag gewesen sein. (mit dpa-Material)

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