Psychotherapeuten im Irak
Hilfe, wo Menschen leiden
Die Jiyan Foundation for Human Rights hilft traumatisierten Menschen im Irak, die vor dem Terror radikal-islamischer Gruppen fliehen mussten. Springer Medizin sprach mit Stiftungsgründer Salah Ahmad über seine Arbeit.
Veröffentlicht:Springer Medizin: Herr Ahmad, was verbirgt sich hinter der Jiyan Foundation for Human Rights?
Salah Ahmad: Die Jiyan Foundation ist eigentlich eine kleine Organisation, die Menschen, die schwere Menschenrechtsverletzungen erleiden mussten, kostenlose medizinische und psychologische Diagnostik, soziale Beratung und Psychotherapie anbietet.
Während wir noch vor zwei Jahren etwa 2000 Menschen im Jahr behandelt haben, ist der Bedarf seit dem Erstarken des IS und der damit verbundenen Gewalt enorm gestiegen und wir mussten unsere Kapazitäten erweitern. Mittlerweile behandeln unsere 150 Mitarbeiter in unseren neun Einrichtungen etwa 8000 Menschen pro Jahr.
Gleichzeitig haben wir im Irak das Problem, dass es dort keine Einrichtungen gibt, die Psychotherapeuten ausbilden. Deshalb bilden wir unsere Mitarbeiter mithilfe unserer Partner wie zum Beispiel Wings of Hope selbst weiter.
Die Jiyan Foundation for Human Rights entstand aus einer Initiative des Berliner Behandlungszentrums für Folteropfer. Ihr Anteil daran?
Ahmad: Das war meine Idee. Aber ohne die Unterstützung durch das Behandlungszentrum hätte ich das nicht geschafft. Wir sind bis heute enge Projektpartner und profitieren sehr voneinander.
Was bietet Jiyan an, wie arbeiten Sie konkret?
Ahmad: In unseren Einrichtungen bieten wir ein multimodales, Schulen übergreifendes Therapiekonzept an: systemische Familientherapie, Einzeltherapie für Erwachsene, Kindertherapie und, soweit möglich und sinnvoll, auch Musik-, Gestalt-, Kunst- und Ergotherapie.
Menschen, die zu uns kommen, werden erst einmal umfassend allgemeinmedizinisch und psychiatrisch untersucht. Wenn wir dabei Krankheiten diagnostizieren, sorgen wir dafür, dass diese Patienten medikamentös behandelt und ihre Behandlungen regelmäßig kontrolliert werden.
Bei der Indikationsstellung zur Psychotherapie und bei Problemen im Behandlungsverlauf unterstützen Psychiater die Therapeuten.
Wenn Sie jemanden behandeln, wie lange dauert diese Behandlung?
Ahmad: Durchschnittlich können Sie von sechs Monaten sprechen. Aber das ist natürlich von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Wenn Sie bei Eltern aufgewachsen sind, die Ihnen nur Liebe, Zuneigung und Aufmerksamkeit geschenkt haben, sind Sie seelisch so stark, dass Sie mit traumatischen Erfahrungen besser zurechtkommen und Beeinträchtigungen auch schneller wieder verschwinden können.
Aber wenn Menschen nicht in stabilen, liebevollen Beziehungen aufwachsen und nur Gewalt erfahren haben, hinterlässt jedes weitere Trauma ungleich hartnäckigere Wunden. Ich habe mittlerweile tausende von Menschen kennengelernt und immer wieder beobachtet, dass diese Faktoren eine wichtige Rolle spielen.
Da unsere Ressourcen beschränkt sind, versuchen wir mit Therapien wie "Eye Movement Desensitization and Reprocessing" (EMDR) bereits dann Unterstützung anzubieten, wenn noch kein Therapieplatz frei ist.
Brauchen Männer und Frauen verschiedene Formen von Therapie?
Ahmad: Ja, denn Gewalt bedeutet alles: körperliche Misshandlung, sexuelle Übergriffe, Vergewaltigungen. Und daher versuchen wir, dass Männer von Männern behandelt werden und Frauen von Frauen.
Wenn eine Frau vergewaltigt wurde, dann ist es für sie alles andere als leicht, über das zu sprechen, was ihr widerfahren ist. Wenn ihr Gegenüber eine Therapeutin ist, fällt es ihr oft leichter und sie kann ihre Schamgefühle eher überwinden. Je mehr sie spricht, desto freier wird ihre Seele.
Auf diese Weise können wir ihr besser helfen. Umgekehrt gilt das für Männer natürlich auch.
Wie finden die Menschen zu Ihnen?
Ahmad: In Kurdistan spielt Mundpropaganda eine große Rolle. Außerdem wissen alle anderen NGOs von uns, sodass wir von der UNO bis hin zu der kleinsten Organisation Patienten geschickt bekommen.
Neben der Behandlung schwer traumatisierter Menschen bieten Sie noch weitere Hilfen an. Ist das eine Folge der aktuellen Ereignisse?
Ahmad: Ja und nein: Als die vielen Flüchtlinge kamen und wir Tausende sahen, die hungerten und die mehr oder weniger schutzlos Kälte und Hitze ausgesetzt waren, wurde uns sehr schnell klar, dass diese Menschen zuerst ein Zuhause und einen vollen Bauch brauchen. Sonst ist eine mittelfristige und wirksame medizinische und psychosoziale Versorgung ja gar nicht möglich.
Also haben wir uns entschieden, auch diese Hilfe zu leisten. Da die Flüchtlinge am Anfang sehr viel Angst hatten, dass der IS sie doch noch finden und vernichten könnte, sind sie in die Berge oder in sehr entlegene Ecken geflohen. Andere wiederum waren vom IS eingeschlossen und in Gefahr.
Wir sind mit dem Pick-up bis zum Berg Sinjar gefahren und haben dort unter anderem Lebensmittel verteilt. Gleichzeitig waren manche Flüchtlinge - oft Frauen, die aus IS-Gefangenschaft fliehen konnten - so schwer misshandelt worden, dass sie sogar chirurgisch versorgt werden mussten. Das haben wir dann möglich gemacht.
Damit unsere Arbeit aber auch auf Dauer erfolgreich sein kann, mischen wir uns immer wieder in Angelegenheiten der Zivilgesellschaft ein und sprechen parlamentarische Vertreter sehr direkt an.
Denn ohne Achtung der Menschenrechte ist ein dauerhafter Demokratisierungsprozess einfach nicht möglich.
Sind Sie außer in Kurdistan und im Irak auch noch andernorts aktiv - in Syrien zum Beispiel?
Ahmad: Wir können uns einfach nicht so frei bewegen, wie wir das gerne würden. Ein möglicher Kooperationspartner in Syrien ist eine Frauenorganisation in Afrin. Allerdings wird diese Stadt gerade von der islamistischen al-Nusra-Front belagert. Ich kann da nicht hinfahren und die dortigen Projektmitarbeiter können nicht raus.
Das ist ein typisches Beispiel für die Probleme, die uns dieser Krieg mit dem IS und anderen islamistischen Terrororganisationen neben der akuten Lebensbedrohung sonst noch bereitet. Pläne gibt es aber auch für die anderen Nachbarländer.
Bereits jetzt gibt es zum Beispiel eine sehr gute Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut, das in der Türkei und im Irak aktiv ist.
Einer unserer Kindertherapeuten, der sehr viel Erfahrung hat, unterstützt das Institut gerade beim Aufbau einer Kindergruppe. Bei all dem liegt unser Hauptaugenmerk immer darauf, dass die Projekte den Betroffenen wirklich helfen.
Wie finanzieren Sie sich?
Ahmad: Hauptsächlich durch Fördermittel. Einer unserer wichtigsten Unterstützer ist das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland, mit dem es eine sehr gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit gibt.
Wir bekommen aber auch Gelder vom deutschen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie von Misereor und anderen kirchlichen Organisationen, außerdem unterstützen uns private Spender.
Welche Projekte bauen Sie gerade auf?
Ahmad: Einen Heilgarten, für die Therapie von besonders schwer traumatisierten Frauen und Kindern. Durch das Erlebte sind sie verstummt. Der Garten soll ihnen einen sicheren Schutzraum bieten, in dem wir mithilfe von Tieren und nonverbalen Verfahren versuchen möchten, sie bei der Bewältigung ihrer Erlebnisse maximal zu unterstützen.
Gleichzeitig möchten wir dort auch ein Trainingszentrum für die Schulung unserer Mitarbeiter aufbauen. Ein weiteres Projekt, das wir leider noch nicht realisieren konnten, wäre der Bau einer Unterbringungs- und Begegnungsstätte für Praktikanten und Menschen, die uns unterstützen.
Sie sollen sich ja bei uns wohl fühlen, wenn sie für die Jiyan Foundation oder andere NGOs arbeiten. Wir wollen damit auch eine humanitäre Brücke, die dem Austausch zwischen Menschen unterschiedlicher Nationalitäten und Kulturen dient, aufbauen.
Fremde sind mir zuerst einmal fremd, Fremde sind manchmal gefährlich, aber wenn man sie kennenlernt, dann ist es anders. Dann ändern sich die Ansichten oft zum Positiven. Aber so ein Haus muss erst mal finanziert werden.
Wer kann mitmachen?
Ahmad: Wir suchen vor allem Mediziner oder Psychotherapeuten mit Spezialkenntnissen für die Weiterbildung unserer Mitarbeiter.
Ebenso Menschen, die uns bei Projekten wie dem Aufbau unseres Heilgartens unterstützen - zum Beispiel Landschaftsgärtner oder Therapeuten aus dem Bereich der tiergestützten Therapie.
Denn manche Projekte kosten uns so viel Geld, dass wir sie ohne ehrenamtliche Arbeit gar nicht realisieren können. Kurzum: Menschen mit Wissen und Engagement sind herzlich eingeladen, uns zu unterstützen. Außerdem gibt es immer auch die Möglichkeit, ein Praktikum bei uns zu machen.
Und wenn jemand als Arzt oder Therapeut bei Ihnen arbeiten möchte?
Ahmad: Haben wir ein Problem: Viele Ärzte, die uns unterstützen möchten, sprechen deutsch oder englisch, unsere Patienten sprechen aber nur kurdisch oder arabisch. Das bedeutet, dass man für jede Untersuchung oder Therapiestunde einen Dolmetscher bräuchte.
Die sind Mangelware, außerdem ist dann noch eine weitere Person im Raum. Mit allen Vor- und Nachteilen, die so etwas haben kann. Bei der Fortbildung unserer Mitarbeiter spielt das Sprachproblem jedoch keine so große Rolle, und falls wir doch mal einen Dolmetscher brauchen, ist es viel einfacher, einen Dolmetscher für eine Weiterbildung oder einen Weiterbildungszyklus zu finden als für eine länger dauernde psychotherapeutische Behandlung.
Daneben suchen wir aber auch Mediziner, die Spezialleistungen wie bestimmte Operationen anbieten.