„Hart aber fair“
KBV-Chef will Corona-“Panikmodus“ beenden
Wie lässt sich die steigende Zahl an Corona-Infektionen und der Wunsch nach Normalität unter einen Hut bringen? Beim ARD-Talk „Hart aber fair“ fordert KBV-Chef Gassen, den „Panikmodus“ zu verlassen. Auch ein bekannter Kabarettist adressiert einen Rat an Politik und Gesellschaft.
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Sollen wieder Zuschauer in die Fußballstadien? Beim Spiel Wolfsburg gegen Leverkusen am Sonntag waren 500 Fans zugelassen. KBV-Chef Gassen rät zu einem Ende des „Panikmodus“ in dieser Frage.
© Peter Steffen/dpa
Berlin. Corona kehrt mit aller Macht zurück. Beispiel München: Aktuell liegt die Zahl der Neuinfektionen in Bayerns Landeshauptstadt mit 56,13 pro 100.000 Einwohner über der von Bund und Ländern festgelegten kritischen Marke von 50. Ab Donnerstag gilt Maskenpflicht nicht nur in Supermärkten, sondern auch auf stark frequentierten öffentlichen Plätzen.
Doch wie lange geht das gut mit den Geboten, wenn sich Fußballstadien, Theater und Kinosäle wieder füllen, will Frank Plasberg bei der ARD-Talkrunde „Hart aber fair“ am Montagabend wissen.
Riesen-Faustpfand in der Hand
Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Andreas Gassen, fordert, den „Panikmodus“ zu beenden. „Nur so schafft man Akzeptanz in der Bevölkerung.“ Auch in Sachen Fan-Rückkehr in die Stadien sei „zu entschleunigen“. Das Gros der Menschen verhalte sich vernünftig.
Es sei keine „Zufallskomik“, dass Deutschland bislang besser mit der COVID-19-Pandemie klarkomme als andere Länder, betont Gassen. Deutschland habe ein breit aufgestelltes Gesundheitssystem – vor allem aber gute Arztpraxen. Nur rund 260 COVID-19-Patienten lägen momentan auf den Intensivstationen. Der ambulante Schutzwall funktioniere. „Das ist ein Riesen-Faustpfand.“
Corona sei nicht im Krankheits-Orkus verschwunden, warnt Gassen. „Aber man muss ja irgendwann schauen, das Leben geht weiter.“ Es gebe keine „absolute Wahrheit“ im Umgang mit dem Virus. Es gebe auch „kein absolutes Mittel“ im Kampf dagegen. Auch das Maskentragen nicht.
Ähnlich argumentiert „Welt“-Autorin Susanne Gaschke. Deutschland, so ihr Eindruck, sei zu wenig „stolz auf ein Gesundheitssystem“, das die Pandemie „ganz gut“ hinbekommen habe. „Im Moment sterben ganz wenig Menschen an dieser Krankheit.“ Die Pandemie sei von den Parlamentariern jeden Tag neu zu beurteilen. „Sie können nicht Grundrechte auf Vorrat einschränken, und das tun sie gerade.“
Wunsch nach Normalität ist groß
Michael Preetz, Geschäftsführer beim Fußball-Bundesligisten Hertha BSC, sagt, es gehe darum, „Schritt für Schritt wieder in die Normalität zurückzukehren“. Die Menschen seien bisher verantwortungsvoll mit den Einschränkungen umgegangen. Sie bräuchten jetzt etwas „Optimismus“. „Wir müssen sicherlich einige Dinge probieren.“ Einfach nur auf Defensive setzen, das funktioniere nicht, findet der ehemalige Profi-Kicker.
Dieter Hallervorden, Kabarettist, Schauspieler und Intendant des Berliner Schlosspark Theaters, hält gut begründete Einschränkungen „ausnahmsweise“ für richtig. „Und das hat die Regierung getan.“ Panikmache sei aber fehl aber am Platz, warnt der 85-Jährige. Sein Credo: „Wendet euer Gesicht immer der Sonne zu, dann fallen die Schatten hinter euch.“
Dem SPD-Gesundheitspolitiker Professor Karl Lauterbach fällt die Rolle des Spielverderbers in Plasbergs Runde zu. Deutschland, warnt der Epidemiologie, sei weit entfernt von Normalität. „Wir haben im Sommer etwas mehr Normalität gehabt.“ Aber das sei vor allem der Tatsache geschuldet, dass viele Veranstaltungen draußen stattgefunden hätten.
Lauterbach: Keine Normalität
Im Herbst und Winter sei die Lage naturgemäß anders, sagt Lauterbach. Dann verlagere sich vieles nach drinnen. Das Problem sei: 90 Prozent der SARS-CoV-2-Infektionen trügen sich in geschlossen Räumen zu. Daher stehe fest: „Wir werden ebenfalls große Probleme bekommen.“
Eine Obergrenze von 25 Personen bei privaten Feierlichkeiten halte er daher für sinnvoll. „Ich bin gegen jede Panikmache.“ Doch Vorsicht sei ratsam. Die Politik beobachte die Lage ständig – und mit Blick auf die aktuelle Studienlage, versichert Lauterbach. „Wir schätzen hier nicht ab.“
Die FDP-Politikerin Karoline Preisler, die im März schwer an Corona erkrankt ist, sagt, die Warnrufe vor einer zweiten Welle seien nicht zu überhören. Die „Verhältnismäßigkeit“ von Einschränkungen sei aber stets zu hinterfragen. „Inzwischen wissen wir, dass es viele Maßnahmen so nicht hätte gebraucht.“ Kleinreden dürfe man die Pandemie nicht. Sie selber habe bis heute mit den Spätfolgen der Infektion zu kämpfen. „Ich fürchte, Herr Hallervorden ist fitter als ich.“