Japan nach Fukushima

Kans Vision einer atomfreien Welt

Als Premierminister von Japan musste sich Naoto Kan nach der Havarie des Meilers Fukushima Daiichi im März 2011 als Krisenmanager beweisen. Er wurde vom Atomkraftbefürworter zum -gegner und glaubt, Ende des Jahrhunderts geht es ohne Atomstrom.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Premierminister Naoto Kan (r.) bei einem seiner vielen Krisensitzungen nach der Havarie von Fukushima.

Premierminister Naoto Kan (r.) bei einem seiner vielen Krisensitzungen nach der Havarie von Fukushima.

© Kyodo / dpa

TOKIO. Würden sämtliche Reaktoren der Atomkraftwerke Fukushima Daiichi und Daini außer Kontrolle geraten, so müssten im Umkreis von 250 Kilometern insgesamt 50 Millionen Menschen - auch aus dem Großraum Tokio - evakuiert werden. Das durfte nicht passieren.

Eindrucksvoll ließ Naoto Kan am 28. April in der Staatskanzlei in Mainz auf Einladung der Landeszentrale für politische Bildung und der Evangelischen Kirche Hessen und Nassau sein Worst-Case-Szenario Revue passieren, das ihm am 15. März 2011 durch den Kopf ging.

Kan fungierte damals als Premierminister Japans und musste sich nach der durch Mega-Beben und Tsunami verursachten Havarie des Atomkraftwerks Fukushima Daiichi im Nordosten des Landes am 11. März als Krisenmanager betätigen.

Er intervenierte, wie er nochmals betonte, gegen Pläne des Betreibers Tokyo Electric Power Company, den havarierten Meiler aufzugeben - aus Rücksicht auf die Gesundheit der Arbeiter vor Ort, wie die Argumentation gelautet habe.

Kan, der nicht aus einer der in Japan typischen Politikerdynastien stammt, stand von Seiten des Parlaments heftig wegen seines Krisenmanagements in der Kritik und kam mit seinem freiwilligen Rücktritt vom Amt des Premiers im September 2011 einem drohenden Misstrauensvotum zuvor.

Träger des Preises "Courage beim Atomausstieg"

Inzwischen sieht Kan, der noch immer Abgeordneter des japanischen Unterhauses ist, die Lösung aller Probleme auf der Welt in Wind- und Wasserkraft, Solarenergie sowie den erneuerbaren Energien. Seine These: In Japan lagen über zwei Jahre sämtliche der 54 AKW still. Einen Engpass in der Energieversorgung habe es dabei nicht gegeben.

Was Kan nicht erwähnt, ist die Tatsache, dass sowohl private Haushalte als auch die Industrie mit steigenden Strompreisen konfrontiert waren. Auch kann Japan bei Stromengpässen nicht vertraglich abgesichert auf Reserven anderer Partner zurückgreifen, wie dies zum Beispiel innerhalb der EU geregelt ist.

Der studierte Physiker hat sich durch die bei Weitem noch nicht ausgestandene nukleare Katastrophe vom Atomkraftbefürworter zum vehementen Kernenergiegegner gewandelt und wirbt weltweit für den Verzicht auf Atomkraft.

Für dieses Engagement hat er nun am Samstag als erster Träger den von der Stadt Frankfurt in Kooperation mit der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau sowie den Elektrizitätswerken Schönau initiierten Preis "Courage beim Atomausstieg" verliehen bekommen.

Lobend erwähnt Kan in Mainz den kurz nach der Havarie in Fukushima in Berlin unter Kanzlerin Angela Merkel beschlossenen Atomausstieg bis 2022. Im Juli 2011 kündigte er Japans etappenweisen Ausstieg aus der Atomenergie an. Kan hofft auf Deutschland als Verbündeten, um die Botschaft von den sauberen Energiequellen in aller Herren Länder zu tragen.

Auch gibt er sich optimistisch, was die Entwicklung in Japan angeht. So seien mittlerweile 60 Prozent der Bevölkerung in Nippon für einen Atomausstieg und trügen den Kurs seines Nachfolgers, den er nicht namentlich erwähnt, nicht mit.

Im April 2014 hatte Premierminister Shinzo Abe den Ausstieg aus dem Ausstieg der Kernenergie verkündet, um Energie langfristig bezahlbar zu halten und somit nicht zuletzt Wettbewerbsnachteile für die Industrie zu verhindern. Mit seinem neuen Energieplan lässt er sogar die Möglichkeit offen, neue Atomreaktoren zu bauen.

Signale vom Weltklimagipfel

International erhofft sich Naoto Kan vom Weltklimagipfel COP 21, der im Dezember in Paris stattfand, Rückenwind für die alternativen Energien. Seiner Lesart nach setzt das völkerrechtlich verbindliche Ziel, die Erderwärmung dauerhaft auf unter zwei Grad zu begrenzen, Zeichen.

Er ist sogar so kühn, so weit zu gehen, dass Ende dieses Jahrhunderts eine Welt ohne Atomenergie Realität sein könnte - mit dem Nebeneffekt, dass so auch einige Kriege und andere internationale Krisen verhindert werden könnten.

Zwar rüsteten China und andere Staaten im Moment massiv auf und bauten neue Reaktoren - weltweit setzen nach Angaben des Deutschen Atomforums 33 Länder auf Kernenergie und sind 441 Meiler in Betrieb sowie weitere 65 in Bau -, der technische Fortschritt bei alternativen Energien könnte die Reaktoren dann aber überflüssig machen, prognostiziert er.

Unabhängig davon, wie realistisch Kans Vision ist, wird ein weltweiter Ausstieg aus der Atomkraft noch viele Herausforderungen mit sich bringen, die auch relevant für die menschliche Gesundheit sind. So geht es zum Beispiel darum, potenzielle, sichere Atommüllendlagerstätten zu finden - auch Deutschland kann davon ein Lied singen - oder Reaktoren sicher rückzubauen.

Gewiss ist, dass Japans Ex-Premier in puncto Atomausstieg nicht locker lassen wird, er somit auch potenzieller Ansprechpartner für die atomkritische Medizinervereinigung Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) ist, die ebenfalls erklärte Gegner der Kernenergie sind.

Denn Aufmerksamkeit erregte Kan, der wegen seines hitzigen Temperaments den Spitznamen "Ira Kan" (Kan, der Reizbare) erhielt, als er sich in seiner Zeit als Gesundheitsminister 1996 wegen eines Skandals in seinem Ministerium um HIV-verseuchte Blutprodukte mit Bürokraten anlegte. Kan hat das Potenzial, in Japan atompolitisch für Unruhe zu sorgen.

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