Krasse Armut, extremer Reichtum? Dann ist's um die Gesundheit der Menschen schlecht bestellt

An der TU Darmstadt ist jetzt eine Studie vorgestellt worden, die mit weltweiten Daten neue Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen Gesundheit und extremer ökonomischer Ungleichheit liefert.

Christoph FuhrVon Christoph Fuhr Veröffentlicht:
Armut in St. Petersburg: Russland lag bei der Frage nach dem Gesundheitszustand der Bürger auf dem letzten Platz. ©Kommersant/Petrosjan/Imago

Armut in St. Petersburg: Russland lag bei der Frage nach dem Gesundheitszustand der Bürger auf dem letzten Platz. ©Kommersant/Petrosjan/Imago

© Kommersant/Petrosjan/Imago

Studien, die sich mit dem Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit und der Gesundheit der Bevölkerung beschäftigen, hat es in der Vergangenheit immer wieder gegeben. Oft waren sie heruntergebrochen auf ein einziges - in der Regel reiches - Land oder eine einzelne Region, nicht selten war die Datenlage dünn, die Ergebnisse waren wenig valide und oft widersprüchlich.

Der Gesundheitsökonom Professor Martin Karlsson von der TU Darmstadt hat jetzt zusammen mit der Universität Lund (Schweden) eine Arbeit vorgelegt, die sich von den bisher gemachten Studien durch ihre Datenbasis unterscheidet: Sie gründet sich auf eine weltweite Umfrage in 21 Ländern. Bevölkerungsreiche Staaten wie China und Indien sind ebenso erfasst worden wie etwa der Kleinstaat Singapur (wie berichtet).

Die Studie erfasst Staaten mit relativ geringer ökonomischer Ungleichheit wie Deutschland bis hin zu solchen, in denen Vermögen extrem ungleich verteilt ist - etwa Russland. Das Ergebnis sei "sehr robust", sagt Karlsson, "alle befragten Personen zusammen repräsentieren die Hälfte der Weltbevölkerung".

Die Kernbotschaft der Studie: Je größer die ökonomische Ungleichheit in einem Land, desto schlechter ist die Gesundheit der Bevölkerung.

Die jeweils 1000 repräsentativ ausgesuchten Teilnehmer bekamen den Auftrag, ihre Gesundheit subjektiv zwischen den Werten "sehr schlecht" und "sehr gut" einzustufen. Außerdem benutzten die Forscher so genannte "Aktivitäten des täglichen Lebens", um den Grad der Behinderung eines Menschen zu messen.

Jeweils über 75 Prozent der befragten Kanadier, Dänen und Franzosen gaben bei der Befragung einen "guten" oder "sehr guten" Gesundheitszustand an. Deutschland lag mit knapp 70 Prozent im oberen Mittelfeld. Anders sah das Ergebnis in Ländern mit größerer ökonomischer Ungleichheit wie etwa der Türkei und China aus. Dort attestierten sich die Studienteilnehmer eine deutlich schlechtere Gesundheit: Schlusslicht war Russland. Nur 17 Prozent bewerteten ihren Gesundheitszustand mit "sehr gut" oder "gut".

Die Forscher ermittelten für die jeweiligen Länder einen Durchschnittswert und setzten diesen mit dem Gini-Index in Beziehung. Dieser Index ist ein quantitatives Maß für ökonomische Ungleichheit. Gini-Koeffizienten können beliebige Werte zwischen 0 (dann wäre das Vermögen eines Staates auf alle Bewohner gleichmäßig verteilt) und 1 (das Gesamtvermögen eines Staates gehört einem einzigen Bewohner) annehmen.

Um die gefundene Korrelation zu überprüfen, wurden weitere Informationen über die Befragten ausgewertet, die bei der Umfrage erhoben worden waren, etwa die Kinderzahl oder die Zahl der Mitbewohner im Haushalt. Die beobachtete Korrelation wurde allerdings von solchen Faktoren nicht beeinflusst.

Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus der Arbeit ziehen? Etwa die, dass die ökonomische Ungleichheit in einem Land zunächst abgebaut werden muss, damit sich die Gesundheit in der Bevölkerung verbessert? Für Karlsson ist das nicht zwingend die richtige Strategie. Weitere Forschungen müssen aus seiner Sicht zeigen, ob nicht auch der umgekehrte Ansatz Erfolg versprechend sein könnte. Und der würde gerade mit Blick auf ärmere Länder so aussehen: Der Staat investiert direkt in Gesundheit, gesunde Menschen können arbeiten, sind produktiv, verdienen Geld, sichern sich eine bessere Gesundheitsversorgung.

Als Handlungsaufforderung an Politiker will Karlsson seine Arbeit nicht verstanden wissen. Dafür, sagt er, sei es nach dem jetzigen Stand der Untersuchungen ohnehin noch zu früh.

Infos: http://tinyurl.com/yc42mfe

Mehr als 21 000 Menschen sind befragt worden

Für die repräsentative Studie sind 21 233 Bürger zwischen 40 und 79 Jahren in 21 Ländern befragt worden. Dazu gehören China, (Hongkong), Indien, Südkorea, Japan, Malaysia, Singapur, Philippinen, Taiwan, Großbritannien, Russland, Frankreich, Dänemark, Kanada, USA, Brasilien, Mexiko, Saudi-Arabien, die Türkei, Südafrika und Deutschland.

Die Teilnehmer wurden aufgefordert, ihre Gesundheit subjektiv zwischen den Werten "sehr gut" und "sehr schlecht" einzustufen. Hinzu kamen viele andere Fragen, etwa zur subjektiv empfundenen Lebensqualität. (eb)

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Kommentare
Helmut Karsch 13.01.201012:03 Uhr

Umverteilung von unten nach oben

Das subjektive Eindrücke über die eigene gesundheitliche Situation nicht grundsätzlich korrelieren zur wirtschaftlichen Lebenswirklichkeit sei hier erwähnt. Die dramatische Verschiebung der Vermögensverteilung in Deutschland wird unter dem Aspekt der Gesundheitsprämie (Capitation) die Probleme anderer Länder auch nach Deutschland holen.Das DIW hat in seinem jüngsten Sozioökonomischen Panels die Verschiebung der Vermögensverteilung in Deutschland untersucht. Der Wochenbericht 4/2009 vom 21. Januar 2009 des "Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DWI)" beschäftigt sich u.a. mit der Entwicklung der Vermögensverteilung und deren Stand im Jahr 2007.
Auf einem bereits hohen Niveau der Ungleichverteilung wird nach Berechnungen auf der Datenbasis des "Sozioökonomischen Panels (SOEP)" die Verteilung immer ungleicher: Im Jahr 2002 besaß das oberste Fünftel der deutschen Bevölkerung 76,9 % allen Vermögens, 2007 schon 80,1 %. Diese schon beeindruckende Konzentration des Vermögens wird noch deutlicher wenn man sieht, dass das oberste Zehntel 2002 57,9 % und 2007 61,1 % des gesamten Vermögens in der Bundesrepublik Deutschland besaß. 2009 liegt die Verdichtung bei 70%

Dieser Vermögensbesitzer-Spitze stehen an der anderen Seite der Vermögensverteilung 27 % der Bevölkerung gegenüber, die kein Vermögen oder sogar "Negativvermögen", d.h. Schulden haben. So war es beim untersten Zehntel der Bevölkerung, das 2002 Schulden hatte, die einem Umfang von 1,1 % am Gesamtvermögen entsprachen, ein Wert, der 2007 bereits 1,6 % betrug.

Ein wesentlicher Treibsatz dieser ungleichen Entstehung von Vermögen sind die relativ hohen und noch wachsenden Einkommen der Spitzenverdiener, die daraus auch wesentlich mehr sparen können als die Bezieher niedrigerer Einkommen. So betrug 2003 die Sparquote der Personen mit einem durchschnittlichen Netto-Monatseinkommen von 8.868 € 22,2 %. Wer netto 3.061 € pro Monat verdiente sparte 9,8 % und Personen mit weniger als rund 1.200 € konnten gar nichts sparen bzw. hatten eine "Entsparquote" von -13 % (bei einem Monatseinkommen von 699 €).
Die FDP(Firma Der Privaten)wird nicht müde zu behaupten, dass die Top Ten der Vermögenden die Hauptsteuerlast tragen würden. Dies kann vor dem Hintergrund der beschleunigten Verschiebung zu Gunsten der Top Ten verneint werden. Durch Steuergestaltung zahlt dieser Personenkreis ca. 25% bis max 30% daher auch die Zuwächse. Ausgeblutet werden die mittleren und unteren Einkommen. Die stellen aber die Mehrheit in der Bevölkerung. Somit sinkt die Inlandsnachfrage und die Konjunktur schmiert ab. Mit allen Konsequenzen auch für die Gesundheit.

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