Startschuss für die Sommerspiele
Olympische Spiele im Zeichen von COVID-19
COVID-19 bedroht die Olympischen Sommerspiele in Tokio: Kann das wirklich gutgehen? Viele Athletinnen und Athleten reagieren trotzig: Mit eiserner Disziplin haben sie sich vorbereitet – und wollen sich nicht entmutigen lassen.
Veröffentlicht:Tokio. „Flieg Albatros, flieg!“, schreit begeistert ARD-Reporter Jörg Wontorra, und Schwimmer Michael Groß fliegt buchstäblich zum Olympischen Gold über 100 Meter Schmetterling: Ein grandioser Sportmoment bei den Olympischen Sommerspielen 1984 in Los Angeles.
Es sind solche Situationen, die alle vier Jahre bei Millionen Menschen aus aller Welt für Begeisterung sorgen. Doch das war einmal. Vieles deutet unmittelbar vor der Eröffnung der Sommerspiele in Tokio darauf hin, dass es vor leeren Zuschauerrängen in der japanischen Hauptstadt mit der typischen Olympiaatmosphäre schlecht bestellt ist.
Chronologie: So kam Tokio zu Olympia
Tokio bekommt vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) den Zuschlag für die Spiele 2020. Die japanische Hauptstadt setzt sich gegen Istanbul und Madrid durch.
Die Kosten für das Olympiastadion explodieren. Mittlerweile gehen Schätzungen von Kosten in Höhe von zwei Milliarden Euro aus. Der Ministerpräsident ordnet eine Neuplanung der Spiele an.
Obwohl die Coronakrise weltweit immer schwerwiegender wird, denkt das IOC nicht an Konsequenzen. Eine Verschiebung sei bei einer Exekutiv-Sitzung des IOC in Lausanne überhaupt kein Thema gewesen, so Präsident Thomas Bach.
Mittlerweile steht weltweit fast der gesamte Profisportbetrieb still. Trotzdem lässt sich das IOC nicht beeindrucken: Es bleibt bei den Olympischen Spielen in Tokio 2020. Eine Verlegung steht nicht zur Debatte.
Nachdem der Druck von Sportlern und Verbänden weltweit größer geworden ist, muss das IOC reagieren. Innerhalb der nächsten vier Wochen soll eine Entscheidung fallen, ob Olympia wie ursprünglich geplant stattfinden kann. Erstmals kommuniziert das IOC, dass eine Verschiebung möglicherweise nicht zu vermeiden sei.
Immer mehr Sportler und Verbände aus allen Teilen der Welt kritisieren das IOC und fordern eine Verlegung der Olympischen Spiele.
Das IOC gibt bekannt, dass sowohl die Olympischen Spiele als auch die Paralympics um ein Jahr verschoben werden. Neuer Termin: 23. Juli bis 8. August 2021. Die Olympischen Sommerspiele sind in Friedenszeiten noch nie ausgefallen oder verschoben worden.
Japans Ärzte gehen landesweit in die Offensive. Ihre Forderung: COVID- 19 birgt zu viele Risiken – also auch 2021 keine Olympischen Spiele!
Immer mehr Menschen in Japan fürchten, dass die Spiele zu einem Superspreader-Event werden könnten. Der Widerstand wächst. Japans Olympiamacher und das IOC halten aber konsequent dagegen: alles werde „sicher“ ablaufen.
Bis zuletzt hatten die Olympiamacher an ihren Plänen festgehalten, bis zu 10.000 Fans aus dem Inland pro Wettkampf in den Arenen zuzulassen. Doch jetzt wird der Druck zu groß: Zuschauer werden von allen olympischen Wettbewerben ausgeschlossen.
Das Internationale Olympische Komitee hat laut IOC-Chef Bach bisher nie ernsthaft eine Absage der Sommerspiele in Erwägung gezogen. „Das war nie wirklich eine Option. Das IOC lässt die Athleten nicht im Stich“, sagt Bach. Er wird zunehmend zum Buhmann der japanischen Medien.
Die Zahl der seit dem 1. Juli im Olympia-Umfeld offiziell registrierten Corona Infektionen ist auf über 60 gestiegen. COVID-19 erreicht zum ersten Mal auch die Athleten im Olympischen Dorf, selbst ein IOC-Mitglied sitzt inzwischen in Quarantäne: Die Macher der Tokio-Spiele geraten erneut in Erklärungsnot.
Bob Hanning, Vizepräsident des Deutschen Handballbunds, bringt die Situation der Athleten in Tokio auf den Punkt: „Man muss sich das wirklich wie in einem großen Gefängnis vorstellen.“ (fuh)
Das Interesse der Medien hat sich in den vergangenen Wochen kaum auf die Wettbewerbe selbst gerichtet. Im Fokus steht auch Stunden vor der Eröffnung fast ausschließlich die Sorge vor COVID-19: Da ist die wachsende Verunsicherung der japanischen Bevölkerung, da sind die zum Teil fragwürdigen und widersprüchlichen COVID-19-Restriktionen für Athleten und Offizielle, da werden erste COVID-Fälle selbst im Olympischen Dorf gemeldet. Und nicht zuletzt sind es Durchhalteparolen der IOC-Spitze um Dr. Thomas Bach – mit der immer gleichen Botschaft: Keine Sorge, alles wird gut!
Japans Ärzte zeigen Flagge
Zumindest Japans Ärzten wird man kaum vorwerfen können, dass sie sich nicht klar und eindeutig zur Austragung der Sommerspiele in ihrem Land positioniert hätten.
Masami Aoki, Präsidentin der Japanischen Ärztinnenvereinigung ging erst vor einigen Tagen noch einmal stellvertretend für ihre Kolleginnen und Kollegen im Land vor die Presse. Ihre Forderung: Keine Spiele! „Das ist der größte Affront gegen das menschliche Leben. Ob jetzt die Wettkampfstätten für Zuschauer geschlossen sind oder nicht – das Zusammenbringen tausender Athletinnen und Athleten, sowie deren Umfeld aus aller Welt sollte während einer Pandemie nicht erlaubt werden. Wenn Olympia stattfindet, wird Tokio zu einem großen Epizentrum der Infektion werden.“
Am Ende blieben die Vorbehalte der Ärzte ohne Konsequenzen: Die Befürworter der Spiele setzten sich durch, die besten Sportler der Welt werden sich in den nächsten Wochen messen im Kampf um Ruhm und Ehr‘ – Corona hin, Corona her. Etwa 7000 Mitarbeiter, darunter auch Ärzte und Pflegepersonal, sollen die medizinische Versorgung sicherstellen. Das IOC war wegen dieser großen Zahl unter Druck geraten, weil das japanische Gesundheitssystem aufgrund von steigenden COVID-19-Fallzahlen zunehmend überlastet ist.
Jeder muss versichert sein
Auf den Kosten für medizinische Versorgung werden die Veranstalter nicht sitzen bleiben. Alle ausländischen Athleten, Mannschaftsoffizielle und Medienvertreter müssen eine Versicherung haben, die eine medizinische Behandlung und einen möglichen Rücktransport abdeckt. Die olympischen Regelwerke schreiben darüber hinaus vor, dass die Versicherung auch die Kosten bei COVID-19-Infektionen abdecken muss.
Bei all den den Debatten um COVID-19 sind die sportlichen Wettkämpfe in den Hintergrund getreten. Das bedauern auch Vertreter des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB).
Deutschland ist mit 258 Männern und 176 Frauen in Tokio vertreten. Im Team sorgt eine junge Sportlerin für besondere Aufmerksamkeit: Es ist die erst 14 Jahre alte Skateboarderin Lilly Stoephasius, die nach ihrer überraschenden Qualifikation in Tokio mit dabei sein darf.
15 Stunden hat die Neuntklässlerin in den vergangenen Monaten pro Woche trainiert und trotz ihres jungen Alters schon einige internationale Titel abgeräumt. „Ich bin ehrgeizig“, sagt sie, „aber vor allem will ich in Tokio Spaß haben.“
Erneut auf Goldkurs
Stoephasius will unter die Top-Ten, ganz oben auf dem Siegerpodest stehen wird sie wohl nicht. Genau das wollen aber die deutschen Rennkanuten um den dreimaligen Olympiasieger Sebastian Brendel, und ihre Chancen stehen nicht schlecht. Canadier-Spezialist Brendel ist bisher zehnmal Weltmeister geworden und hat dreimal Gold bei den Olympischen Spielen in London und Rio de Janeiro geholt.
Vieles deutet darauf hin, dass er auch in Tokio um Gold fährt. Im Vorfeld hat der Wassersportler klargestellt, was er von der Debatte um die Wettbewerbe in Tokio hält: Die Vorbereitungen waren lang und hart.
Trotz vieler Widersprüche ist er deshalb heilfroh, dass die Spiele in Tokio nicht abgesagt wurden. Den allermeisten Athletinnen und Athleten hat Olympionike Brendel damit wohl aus der Seele gesprochen.