Barrierefreiheit und Inklusion
Praxischefs sollten nicht auf die Politik warten
Der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung ruft Praxischefs ihre besondere Verpflichtung gegenüber dieser Zielgruppe in Erinnerung – als Versorger wie auch als Arbeitgeber.
Veröffentlicht:Neu-Isenburg. Gesundheit hat immer Konjunktur. Diese von Börsianern vor allem mit Blick auf Aktien aus diesem Segment gerne gebrauchte Floskel spiegelt sich auch auf dem deutschen Arbeitsmarkt wider.
So sind aktuell knapp 40 Prozent der bundesweit 425 000 in Lohn und Brot stehenden Menschen mit einer Schwerbehinderung in Dienstleistungsbereichen wie Gesundheit, Pflege, Erziehung sowie in der Kommunikations- und Informationstechnik sowie dem Öffentlichen Dienst beschäftigt.
Das geht aus dem im Vorfeld des 3. Dezembers, des Internationalen Tages der Menschen mit Behinderung, veröffentlichten „Inklusionslagebarometer Arbeit“ der „Aktion Mensch“ und des Handelsblatt Research Institute hervor.
Laut dem Barometer ist die Arbeitslosenquote der Schwerbehinderten 2019 im Vergleich zum Vorjahreszeitpunkt zwar leicht um einen halben Prozentpunkt auf 11,2 Prozent gesunken, sie ist aber immer noch mehr als doppelt so hoch wie die allgemeine Quote (5,2 Prozent).
Der von den Vereinten Nationen vor Jahren ins Leben gerufene und 1993 erstmals begangene internationale Gedenktag sollte auch Praxischefs jährlich wieder in Erinnerung rufen, dass sie Menschen mit Behinderung gegenüber eine besondere Verantwortung haben – als behandelnder Arzt wie auch als Arbeitgeber.
Zwar gilt für Arztpraxen – wenn sie weniger als 20 Beschäftigte haben – nicht die finanziell sanktionsbewehrte Pflichtquote zur Besetzung von fünf Prozent der Stellen mit Schwerbehinderten, jedoch ist jeder Arbeitgeber unabhängig von der Größe seines Unternehmens gemäß Paragraf 81 SGB IX verpflichtet, bei jedem frei werdenden Arbeitsplatz zu prüfen, ob dieser nicht durch einen Schwerbehinderten besetzt werden kann.
Gesundheitssektor soll Vorreiterrolle spielen
Die am 3. Mai 2008 in Kraft getretene UN-Behindertenrechtskonvention hat dem Thema Barrierefreiheit in der medizinischen Versorgung zumindest auf dem politischen Parkett zu mehr Beachtung verholfen.
Im 2011 verabschiedeten Nationalen Aktionsplan (NAP) zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention betonte das federführende Bundesministerium für Arbeit und Soziales das Ansinnen der Bundesregierung „bauliche und kommunikative Barrieren in Arztpraxen und Rehabilitationseinrichtungen beseitigen“ zu wollen.
Dazu solle der Schulterschluss mit der Ärzteschaft erfolgen, was 2012 auch geschah und in einer Reihe von Instrumenten und Leitfäden für Ärzte resultierte. Im aktuellen Koalitionsvertrag nimmt die Barrierefreiheit ebenfalls einen prominenten Platz ein – „ein erster Schritt wird den Gesundheitssektor betreffen“, heißt es dort zu dem Punkt.
Die Krux bei der Barrierefreiheit im Gesundheitswesen ist allerdings die Finanzierung der notwendigen Finanzierung entsprechender Investitionen in – vor allem bauliche – Maßnahmen. Hier tritt die Bundespolitik bereits seit Jahren auf der Stelle.
Zwar findet sich in dem vom Bundeskabinett Ende Juni 2016 verabschiedeten Neuauflage des Nationalen Aktionsplan zur UN-Behindertenrechtskonvention (NAP 2.0) unter den zu ergreifenden Maßnahmen in puncto Gesundheit die „Initiative für Barrierefreiheit in Unternehmen, insbesondere zum Thema ‚barrierefreie Arztpraxen‘“.
Inhaltlich solle es um die „stärkere Herausstellung des Fördermerkmals ‚Barrierefreiheit‘ innerhalb der vorhandenen ERP-/KfW-Förderprogramme für Gründung und Wachstum und Prüfung einer Auflage eines neuen KfW-Förderprogramms für das Gesundheitswesen“ gehen.
Die Initiative ist vor drei Jahren gestartet, involviert sind die Bundesministerien für Wirtschaft, Gesundheit, Finanzen, Umwelt sowie Arbeit und Soziales. „Wir begrüßen ausdrücklich, dass die Bundesregierung mit dem Nationalen Aktionsplan 2.0 die niedergelassenen Ärzte und Zahnärzte dabei unterstützen will, ihre Praxen möglichst barrierearm zu gestalten“, erklärte KBV-Chef Dr. Andreas Gassen vor drei Jahren.
Zinsvergünstigungen gibt es heute schon
Ob die Initiative tatsächlich jemals die KfW-Bank erreichen wird, steht derzeit offenbar noch in den Sternen. Wie ein Pressesprecher im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“ am Dienstag jedoch hervorgehoben hat, seien Praxischefs bereits heute – wie andere Unternehmer und Freiberufler auch – antragsberechtigt für die zinsvergünstigten Kredite der KfW.
Die durchleitende Hausbank dürfe die Zinsen nicht erhöhen. Richtig profitieren könnten Ärzte bei Investitionen in die Barrierefreiheit, wenn ein Bundesministerium zum Beispiel einen Tilgungszuschuss gewährt, wie dies beim energieeffizienten Bauen der Fall ist. Die Fördermittel des Ministeriums werden dann laut KfW-Sprecher so eingesetzt, dass Kreditnehmer, die zum Beispiel 100 000 Euro aufgenommen haben, am Schluss nur noch 90 000 Euro zurückzahlen müssen.
Somit müssen investitionswillige Praxischefs nicht auf das propagierte KfW-Gesundheitsförderprogramm warten. Viel mehr müssen sie ihren eigenen, vertretbaren finanziellen Spielraum im Blick haben. Dann können sie einen ersten Schritt in Richtung Barrierefreiheit tun.