Stille Zufriedenheit

Unterwegs in die bessere Hälfte des Lebens

Wir leben länger, die Unzufriedenen werden lauter und bekommen mehr Aufmerksamkeit. Doch was ist mit den Menschen, die auch im Alter still und zufrieden sind? Sie rücken in den Fokus eines Buchs von Eckart von Hirschhausen und Tobias Esch.

Christoph FuhrVon Christoph Fuhr Veröffentlicht:
Starten gemeinsam durch: Dr. Eckart von Hirschhausen (r.) und Professor Tobias Esch.

Starten gemeinsam durch: Dr. Eckart von Hirschhausen (r.) und Professor Tobias Esch.

© Camillo Wiz

NEU-ISENBURG. Er ist zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 92 Jahre alt, strotzt vor Lebensfreude und Altersweisheit: Pete Seeger, amerikanische Folklegende, hat zwei Jahre vor seinem Tod im Jahr 2014 ein bemerkenswertes Musikvideo zusammen mit Kindern gemacht, die seine Urenkel sein könnten.

Ihre zugunsten von Amnesty International produzierte Cover-Version von Bob Dylans berühmtem Song "Forever Young" haben inzwischen mehr als 1,7 Millionen Menschen auf Youtube angeklickt – und das nicht ohne Grund: Wer einen hochbetagten Menschen sehen will, der Zuversicht, Lebensweisheit, Ehrlichkeit und eine beeindruckende Demut zugleich ausstrahlt, der wird an Pete Seegers Auftritt seine Freude haben.

Der US-Barde könnte Kronzeuge für eine Botschaft sein, die der Arzt und Entertainer Dr. Eckart von Hirschhausen zusammen mit dem Neurobiologen Professor Tobias Esch in einem jetzt erschienenen Buch vermitteln will. Der Titel: "Die bessere Hälfte." Die Botschaft: Wer behauptet, ab 40 Jahren gehe es nur noch Schritt für Schritt die Lebensleiter hinunter in Richtung Keller, der liegt falsch. Das Gegenteil ist der Fall: Zufriedenheit, sagen Hirschhausen und Esch, nimmt für die meisten Menschen in der zweiten Lebenshälfte zu.

Selbstbestimmt älter werden

Ermutigend aus ihrer Sicht ist die Tatsache, dass die Chancen, selbstbestimmt älter zu werden, heute so gut wie nie sind. Im Vergleich mit unseren Großeltern leben wir zehn Jahre länger, sind im Schnitt gebildeter, gesünder und körperlich fitter und auch reicher an Geld und Möglichkeiten. Fakt ist allerdings aus Sicht des Autorenduos auch, dass die Unzufriedenen immer lauter jammern und zugleich immer mehr Aufmerksamkeit bekommen. Der Wert der "stillen Zufriedenheit" werde völlig unterschätzt.

Eine Zufriedenheit, die mit den Lebensjahren sogar ansteige. "Das habe ich mir nicht ausgedacht: Viele Studien über Glück und Zufriedenheit, über das menschliche Gehirn und die Psychologie der zweiten Lebenshälfte zeigen es deutlich", sagt Esch. Weil es den beiden seit langem miteinander befreundeten Autoren nicht nur um lockere Plaudereien über das Alter, sondern auch um harte Fakten geht, liefern sie in dem Buch eine Fülle an wissenschaftlichen Details, Hintergrundinformationen und Studien, die ihre Thesen untermauern sollen.

Das sogenannte "Zufriedenheitsparadoxon" spielt dabei eine wichtige Rolle. Es bedeutet, dass sich eine objektive Verschlechterung der Lebenssituation nicht unbedingt auf die subjektive Bewertung der Situation auswirkt. Zufriedenheit ist demzufolge auch Erwartungsmanagement – das heißt, dass die eigenen Erwartungen an die Umstände angepasst werden.

Eine Frage des Erwartungsmanagements

"Wenn ich weiß, dass ich mit dem kaputten Knie nicht mehr sprinten kann, dann erwarte ich das auch nicht mehr von mir und freue mich, mit Freunden noch einen ausgiebigen Spaziergang machen zu können", sagt Esch. Vielen, wenn auch nicht allen Menschen gelingt es, ihre Erwartungshaltung entsprechend zu steuern.

Die körperliche Unversehrtheit rückt in den Hintergrund, und die Zufriedenheit dominiert. Die Forschung hat ergeben, dass ein erfülltes Leben dabei beträchtlich hilft: Hat man etwas aus dem Leben gemacht, kann auf etwas schauen, das einen mit Stolz erfüllt, dann nehmen Beständigkeit, Gelassenheit und Dankbarkeit zu. Das eine ist der Lohn für das andere.

Welche Rolle spielt dabei die Medizin? "Wir sind noch geprägt von einem Bild der Medizin, in dem das Krankenhaus im Zentrum steht: Schwere Geschütze mit Strahlen und Skalpell und viel Drama", so Hirschhausen im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". Hat dieses Konzept noch Zukunft? Tobias Esch lässt keinen Zweifel: er liebt die Wissenschaft. "Ich bin durch und durch ein Teil davon"" sagt er .

Aber im realen Leben gebe es Wahrheiten, an denen man nicht vorbeikomme. "Eine davon ist: Wir werden älter, wie schön!", sagt Esch: "Aber weil wir älter werden, werden wir auch mehr erleben von dem, was vielleicht nicht mehr schön ist." Die Medizin werde die Menschen künftig stärker begleiten statt kurieren: "Damit nicht nur gemeinsam geheilt oder gestorben, sondern auch gemeinsam gelebt wird. Medizin ist Teil der Gesellschaft, der sie dient". erläutert der frühere Harvard-Professor.

Kein schwarzes Loch

Die Phase zwischen 60 und 85 Jahren ist länger als Kindheit und Pubertät, länger als die Ausbildungszeit, länger als die meisten Menschen am Stück in einem Job verbleiben– warum ist diese lange Lebensphase für viele ein schwarzes Loch?

Wer "Die bessere Hälfte" liest, dem erschließen sich neue Perspektiven: Die zweite Lebensphase kann heiter, bunt und extrem erfüllend sein. Der US-Folksänger Pete Seeger hat das früh erkannt und konsequent gelebt: Sein Motto: "Forever Young!"

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