Wenn Frauen mit Gift morden
Der Giftmord ist eine bequeme Methode, unbequeme Mitmenschen zu beseitigen. Er gilt als raffiniert, heimtückisch - und typisch weiblich. Ein Klischee? Die Kölner Apothekerin Dr. Erika Eikermann hat nachgeforscht.
Veröffentlicht:Die Giftmörderin Sophie Ursinus war eine Dame der vornehmsten Gesellschaft. Zuerst starb der junge Geliebte. Danach der alte Ehemann. Dann eine reiche Erbtante. Und schließlich sollte der Diener dran glauben. Sie alle wurden mutmaßlich vergiftet. Der Giftmordskandal um die Geheimrätin Ursinus (1760-1836) erschütterte einst Berlin.
Er ist einer der Aufsehen erregenden Fälle, die Erika Eikermann für ihre Dissertation über historische weibliche Giftanschläge und ihre toxikologische Aufklärung ausgegraben hat.
Der Fall Ursinus ist beispielhaft. Er illustriert zum einen, wie früher mit Arsen, dem "König der Gifte", gemordet werden konnte. Das geruch- und geschmacklose weiße Pulver war zu Ursinus‘ Zeiten "in der Apotheke auf ärztliche Anordnung zum Zwecke der Rattenvernichtung leicht erhältlich", wie die Fachapothekerin für Offizinpharmazie erläutert.
Der Erfolg der Arsenvergiftung beruhte aber auch darauf, dass die Symptome der "Erkrankung" der Opfer anderen Krankheitsbildern zum Verwechseln ähnelten. Zudem fehlten lange Zeit die toxikologischen Nachweismethoden. Erst 1836, im Todesjahr der Geheimrätin, entwickelte der englische Chemiker James Marsh eine Nachweismethode für Arsen bei Leichen.
Viele Frauen begnügen sich nicht mit einem Opfer
Der Fall der mordlustigen Geheimrätin verdeutlicht auch, wie Töten mittels Gift zur Sucht ausarten kann. "Ich verliere bei manchen Serienmörderinnen schon mal den Überblick über die Anzahl ihrer Opfer", schmunzelt auch die Pharmaziehistorikerin.
Krimi-Tipp
Der Krimi-Klassiker "Arsen und Spitzenhäubchen" von Joseph Kesselring ist derzeit als eines von insgesamt zehn Stücken im Repertoire des Berliner Kriminaltheater zu sehen.
Die Frau als Giftmörderin - das Thema hat Tradition, nicht erst seit es Sophie Ursinus in die Riege der "Heroinen des Giftmordes" schaffte. Ob in der griechischen Mythologie oder im modernen Krimi, ob im realen Leben der Renaissance oder des 21. Jahrhunderts - Giftmörderinnen haben die Öffentlichkeit seit jeher fasziniert.
Von Medea, dem Urbild aller Giftmischerinnen, über die mit einer Giftaura umwitterte Caterina de‘ Medici bis hin zu den "Todesengeln" der heutigen Zeit reicht die Liste weiblicher Giftmörder. Ob aber Frauen im Ganzen häufiger mit Gift morden als die in der Mordstatistik insgesamt führenden Männer, ist allerdings nicht belegt - allein schon aufgrund der kaum abzuschätzenden Dunkelziffer.
Klar ist für Erika Eikermann aber: "Wenn Frauen morden, dann fast immer mit Gift." Hierfür gibt es nach Meinung der Pharmazeutin traditionell gute Gründe: "Von alters her beschäftigte sich die Frau mit der Zubereitung von Speisen und der Krankenpflege innerhalb der Familie.
Dadurch sammelte sie Erfahrungen beim Umgang mit Kräutern und Substanzen, die sie als Nahrungsmittel, als Heil-, aber auch als Giftmittel einsetzen konnte."
In jedem Zeitalter kultivierten die Giftmischerinnen laut Eikermann ein neues Modegift: Im Rom der Kaiserzeit kamen hauptsächlich Pflanzenextrakte wie das Alkaloid Aconitin aus dem Eisenhut oder das Alkaloid Atropin aus der Tollkirsche zum Einsatz.
a die Inhaltsstoffe pflanzlicher Gifte jedoch stark schwanken und die Wirkungsweise deshalb nur schwer zu kalkulieren ist, avancierte danach das "Erbschaftspulver" Arsen zum "Gift der Gifte" - bis nach Erfindung der Marshschen Probe erneut Alkaloide wie Morphium oder Nikotin in Mode kamen.
Nach dem 1. Weltkrieg etablierten sich Thalliumsalze als "todsichere" Mittel, 1947 kam das berühmt-berüchtigte Pflanzenschutzmittel Parathion E 605 auf den Markt.
Arzneimittel sind heute das beliebteste Gift zum Töten
Es animierte etwa eine Hausfrau zu einem spektakulären Verbrechen: Erst als bereits der Ehemann und der Schwiegervater aus dem Weg geräumt waren, flog die Giftmörderin nach einem "Betriebsunfall" auf: Statt des vorgesehenen Opfers Nr. 3 hatte versehentlich die Freundin der Täterin zur tödlich präparierten Praline gegriffen… Nichtsdestotrotz avancierte E 605 zu einem Modegift für Suizide, bis der Vertrieb gesetzlich stark eingeschränkt wurde.
Und welches Gift ist heute in Mode? Ein Blick in die Presse genügt, um zu wissen, was Eikermann in Anlehnung an Paracelsus bestätigt: "Es sind Arzneimittel. Und: Es ist immer eine Frage der Dosis." Heute sei allerdings weniger der toxikologische Nachweis das Problem: "Wenn danach gesucht wird, findet der forensische Toxikologe jedes Gift. Aber oft sucht er nicht danach, weil der Verdacht auf Vergiftung gar nicht erst aufkommt."