EvidenzUpdate-Podcast

„Das Gesundes-Herz-Gesetz ist schädlich, verfassungswidrig, murks und crazy!“

Solitäre Pirouetten im kardiozentrischen Weltbild oder: Wie ein geplantes Gesetz ärztliches Handeln über den Haufen wirft. Ein EvidenzUpdate über die (fast) erfolglose Evidenzsuche im „Gesundes-Herz-Gesetz“.

Prof. Dr. med. Martin SchererVon Prof. Dr. med. Martin Scherer und Denis NößlerDenis Nößler Veröffentlicht:

An dieser Stelle finden Sie Inhalte aus Podigee Um mit Inhalten aus Podigee und anderen sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir Ihre Zustimmung. Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte aus Sozialen Netzwerken und von anderen Anbietern angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät notwendig. Weitere Information dazu finden Sie hier.

Selten hat ein Gesetzesvorhaben so deutlich Kritik von fast allen Seiten erhalten wie das „Gesundes-Herz-Gesetz“, das Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plant. In dieser Episode vom EvidenzUpdate-Podcast schauen wir uns die geplanten Regelungen genauer an und suchen nach Evidenz dafür. Spoiler: Bis auf einen Punkt scheitern wir, selbst schon bei der Gesetzesbegründung. (Dauer: 52:36 Minuten)

Anregungen? Kritik? Wünsche?

Schreiben Sie uns: evidenzupdate@springer.com

Zusammenfassung

(Erstellt von ChatGPT Version 4)

Im aktuellen EvidenzUpdate-Podcast nehmen Denis Nößler und Martin Scherer das geplante „Gesundes-Herz-Gesetz“ unter die Lupe. Scherer bezeichnet die Pläne als „Unfug“ und widerspricht der Gesetzesgrundlage, die davon ausgeht, dass Deutschland eine zu niedrige Lebenserwartung habe und dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen die Hauptursache seien.

Scherer betont, dass die kardiovaskuläre Mortalität in Deutschland in den letzten 15 Jahren kontinuierlich gesunken sei. Die genaue Todesursachenstatistik sei jedoch unsicher, da systematische Obduktionen fehlen. Daher basiere das Gesetz auf Spekulationen und nicht auf validen Daten. Ein Kernkritikpunkt Scherers ist die Ausweitung von Früherkennungsuntersuchungen wie den neuen Check-ups für 25-, 35- und 50-Jährige. Diese seien nicht evidenzbasiert und würden Ressourcen verschwenden, die besser in die Forschung investiert werden sollten, um valide Daten zur Lebenserwartung zu erheben. Scherer zitiert dazu einen Cochrane Review, der keine signifikanten Vorteile von allgemeinen Gesundheitschecks auf die Gesamtmortalität nachweisen konnte: „General health checks are unlikely to be beneficial.“

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die geplanten standardisierten Fragebögen und die Einführung spezifischer Maßnahmen zur Früherkennung von Fettstoffwechselstörungen bei Kindern. Scherer sieht hierin keine Evidenzbasis und betont, dass andere Länder, die eine höhere Lebenserwartung haben, solche systematischen Screenings nicht durchführen. Er spricht sich gegen eine „Gießkannenmedizin“ aus und fordert, dass solche Maßnahmen evidenzbasiert und zielgerichtet sein sollten.

Besonders skurril findet Scherer die im Gesetz vorgesehene Festlegung von Risikowerten für die Verordnung von Statinen und die Erwähnung spezifischer Wirkstoffgruppen. Diese Vorgehensweise sei „evidenzfreies Regieren“ und widerspreche dem fachärztlichen Standard. Scherer unterstreicht, dass solche Entscheidungen auf partizipativen Entscheidungsprozessen beruhen sollten und nicht per Gesetz verordnet werden können.

Abschließend kritisiert Scherer das geplante Pay for Performance für Disease-Management-Programme (DMP). Er sieht hierin zwar einen positiven Ansatz, betont jedoch die Notwendigkeit besserer Versorgungsforschung und einer stärkeren Förderung der Primärversorgung.

Scherers Fazit zum „Gesundes-Herz-Gesetz“ ist deutlich: „Ein kardiozentrisches Drama. Mir wäre ein enzephalozentrisches Gesetz ein bisschen lieber gewesen: also gut durchdacht, mehr Hirn statt Herz.“ Damit fordert er mehr wissenschaftliche Fundierung und weniger populistische Gesetzgebung.

Quellen

  1. Jasilionis D, Raalte AA van, Klüsener S, et al. The underwhelming German life expectancy. Eur J Epidemiol 2023;1–12. doi:10.1007/s10654-023-00995-5
  2. Krogsbøll LT, Jørgensen KJ, Gøtzsche PC. General health checks in adults for reducing morbidity and mortality from disease. Cochrane Db Syst Rev. 2019;2019:CD009009. doi: 10.1002/14651858.cd009009.pub3
  3. Barry MJ, Nicholson WK, Silverstein M, et al. Screening for Lipid Disorders in Children and Adolescents. JAMA 2023;330:253–3. doi:10.1001/jama.2023.11330
  4. Qureshi N, Da Silva MLR, Abdul-Hamid H, et al. Strategies for screening for familial hypercholesterolaemia in primary care and other community settings. Cochrane Database of Systematic Reviews 2021;2021. doi:10.1002/14651858.cd012985.pub2
  5. Dyakova M, Shantikumar S, Colquitt JL, et al. Systematic versus opportunistic risk assessment for the primary prevention of cardiovascular disease. Cochrane Database of Systematic Reviews 2016;CD010411. doi:10.1002/14651858.cd010411.pub2
  6. Jorgensen T, Jacobsen RK, Toft U, et al. Effect of screening and lifestyle counselling on incidence of ischaemic heart disease in general population: Inter99 randomised trial. BMJ 2014;348:g3617–7. doi:10.1136/bmj.g3617
  7. Lindson N, Theodoulou A, Ordóñez-Mena JM, et al. Pharmacological and electronic cigarette interventions for smoking cessation in adults: component network meta-analyses. Cochrane Database Syst Rev. 2023;2023:CD015226. doi: 10.1002/14651858.cd015226.pub2

Transkript

Nößler: Unserem Gesundheitsminister liegen unsere Herzen am Herzen. Er sorgt sich um das kardiovaskuläre Wohl der Menschen im Land und will uns mit Check-ups und Statinen segnen. Ist das jetzt Unfug oder ist das Unfug? Das wollen wir heute klären. Und damit herzlich willkommen, endlich mal wieder, zu einer neuen Episode vom EvidenzUpdate-Podcast. Wir, das sind ...

Scherer: Es ist Unfug. Guten Tag! Martin Scherer.

Nößler: Das war dann der Podcast. Auf Wiederhören. Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin der DEGAM und Direktor des Instituts und Poliklinik für Allgemeinmedizin am UKE in Hamburg. Und hier am Mikrofon ist Denis Nößler, Chefredakteur der Ärzte Zeitung aus dem Haus Springer Medizin. Moin, Herr Scherer! Und vielen Dank für den kürzesten Podcast ever.

Scherer: Morgen, Herr Nößler. Den können wir noch mal neu machen, Entschuldigung.

Nößler: Alles gut, das machen wir so. Herr Scherer, unser Update ist ja jetzt etliche Wochen her oder war jetzt mal etliche Wochen in der Pause. Ich benutze mal Wochen als Zeiteinheit. Vielleicht erst mal ein Update vor dem Update, wie geht es Ihnen?

Scherer: Danke, gut.

Nößler: Auch wieder so eine kurze Antwort – perfekt. Inmitten unserer Pause, ich glaube, wir waren das letzte Mal im März auf Sendung, gab es dann kurz danach – Sie erinnern sich – Anfang April die Nachricht, das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin, das ÄZQ beerdigt werden soll. Die meisten Hörerinnen und Hörer wissen, da hängen jetzt die nationalen Versorgungsleitlinien dran, im Moment steht deren Zukunft so ein bisschen in den Sternen. Wie ging es Ihnen damals, als die Nachricht bei Ihnen landete?

Scherer: Das war überhaupt gar keine gute Nachricht. Die NVL liegen uns sehr am Herzen. Die DEGAM war in allen NVL beteiligt und das kann nicht sein, dass dieses wichtige Instrument der evidenzbasierten Medizin einfach so verschwindet. Wird auch nicht passieren.

Nößler: Das heißt, Sie sind sicher, dass sie überleben, die NVL.

Scherer: Ich bin mir sicher, dass es irgendwie weitergeht. Es gibt viel Bewegung in der Sache, es gibt den Willen, dass es weitergeht. Das ist schon mal das Entscheidende. Und es kristallisiert sich auch eine Vorstellung heraus, wie das funktionieren könnte. Das kann ich aber hier jetzt nicht öffentlich erzählen.

Nößler: Schade. Das hätte ich jetzt eigentlich gerne wissen wollen. Also, halten wir an der Stelle fest: Es gibt Vorstellungen wie das werden könnte und es gibt die Zuversicht, dass es weitergeht mit der NVL. Wir berichten dann an dieser Stelle. Heute wollen wir uns – das Intro hat es schon versprochen – mit den Plänen aus dem Bundesgesundheitsministerium für das GHG beschäftigen, das Gesundes-Herz-Gesetz, Referentenentwurf vom 14. Juni liegt vor, darf jede und jeder lesen, wenn er oder sie das mag. Wollen wir es mal so ein bisschen durcharbeiten, was da drinsteht. Und mal gucken, was die Evidenz dazu sagt.

Scherer: Können wir gerne machen.

Nößler: Gut. Dann fangen wir mit der Gesetzesbegründung an. Da heißt es nämlich, behauptet das Ministerium, wir Menschen in Deutschland stürben im Mittel mit 80,8 Jahren, jetzt mal ohne Genderunterschied. Lebten also mithin nur gute sieben Monate mehr als das EU-Mittel. Herr Scherer, was ist so schlimm daran? 80 ist doch ein schönes Alter.

Scherer: Das Schlimmste daran ist, dass die Macher dieses Gesetzes unseren Podcast zu diesem Thema nicht angehört haben.

Nößler: Frechheit.

Scherer: Im Juni letzten Jahres haben wir darüber gesprochen. Da haben wir auch über die Arbeit gesprochen, auf die da referenziert wird, aus dem European Journal of Epidemiology. Und ja, Deutschland liegt ganz knapp unter dem Europadurchschnitt, noch nicht einmal ein ganzes Prozent, ich glaube ein halbes. Aber woran das liegt, wissen wir nicht. Und ob das schlecht ist, wissen wir auch nicht. Was wir wissen, ist, dass die kardiovaskuläre Mortalität in Deutschland laufend am Sinken ist. Also in den vergangenen 15 Jahren hat sie sich halbiert. Und ich weiß nicht, ob Sie sich noch an den Podcast erinnern können, Herr Nößler, wo wir über die Schwierigkeit valider Todesursachenstatistiken gesprochen haben. Im Endeffekt wissen wir nicht so genau, ob die kardiovaskuläre Mortalität in Deutschland wirklich höher ist als in anderen Ländern. Es fehlen uns schlichtweg die Daten dazu. Wenn man jetzt eine bestimmte Zahl von Menschen systematisch obduzieren würde, dann könnte man solche Daten produzieren. Wenn man jetzt jeden Fünfzigsten oder jeden Hundertsten obduzieren würde, dann ginge das. Natürlich ausgewählt nach gut gematchten repräsentativen Kriterien. Aber diese Daten liegen nicht vor. Und das, was wir in Deutschland haben, das sind die Todesbescheinigungen. Mit anderen Worten, es fehlen letztlich die Daten, um solche Aussagen zu machen, sodass im Grunde genommen dieses ganze Gesetz auf einer Spekulation beruht beziehungsweise auf einem Narrativ, auf dem Lebenserwartungsnarrativ beziehungsweise dem Todesnarrativ. Das ist ja immer gut, um irgendwas zu begründen. Wer will schon was gegen die Vermeidung vermehrter Todesfälle sagen. Aber wie gesagt, es sind Behauptungen, es sind Spekulationen. Wir wissen es nicht. Und das Geld, das verblasen wird in unnötigen Früherkennungsuntersuchungen sollte man lieber dafür verwenden, in der Forschung zu investieren und vielleicht mal rauszufinden, woran wir wirklich sterben und wo man wirklich ansetzen müsste, um die Lebenserwartung zu verbessern in Deutschland, die ja nicht schlecht ist.

Nößler: Also zwei Punkte an dieser Stelle. Erster Punkt ist woran hier gestorben wird in diesem Land. Da redet man auch schon mal von 700.000 Todesfällen round about pro Jahr. Woran hier gestorben wird, das wissen wir gar nicht systematisch, weil wir nicht systematisch danach suchen. Entscheidend ist, was auf dem Todesschein steht. Und da drängt sich oftmals eine kardiovaskuläre Sache auf. Und wir können im Zweifel auch uns Gedanken darüber machen, ob dieser Frame, der da benutzt wird, durchaus herhalten muss, um ein Interesse zu bedienen. Das sage ich jetzt einfach mal.

Scherer: Das können Sie sehr gut sagen. Ich würde sagen, evidenzfreies Regieren in mehreren Akten. Und der erste Akt ist die Spekulation und die Behauptung, auf der ein ganzes Gesetz begründet wird. Das ist nicht nur absurd, das ist eigentlich für jemanden, der eine wissenschaftliche Basis für große medizinische Vorhaben wünscht, ist dieses Gesetz eigentlich ein Schlag ins Gesicht.

Nößler: Na dann. Gehen wir mal in die Manege, würde ich sagen. Und dann schauen wir mal rein, was da drinsteht. Also, Gesetzesbegründung hat schon mal ein paar Fragezeichen dran. Jetzt gucken wir mal, wie viele Fragezeichen dieses Gesetz am Ende noch liefert. Manche Interessierte, manche, die uns zuhören, kennen die Aspekte schon. Wir wollen sie trotzdem noch mal so ein bisschen stichpunktartig durchgehen. Die momentan geplanten Regelungsinhalte – das Ding ist wie gesagt noch gar nicht in der wirklichen Gesetzgebung, an der Stelle ist es ein Referentenentwurf, der ist noch gar nicht vom Bundeskabinett ins parlamentarische Verfahren eingebracht. Deswegen reden wir über den Stand, den wir kennen, von Mitte Juni. Und da sind bekanntlich einige Vorschläge drin. Ich fange jetzt einfach mal so willkürlich von oben nach unten, was da reingeschrieben ist, an. Es soll einen neuen Paragrafen 25c im SGB V geben. Wer jetzt danach sucht, wird ihn nicht finden, weil es ihn noch nicht gibt. Und da wird tatsächlich dieser sogenannte Herz-Check-up, nenne ich es mal, eingeführt, zusätzlich zur GU, die wir alle kennen. Und zwar zusätzliche Gesundheitsuntersuchung auf die Früherkennung von Herzkreislauferkrankungen und Risiken, heißt es dort, für Versicherer, die das 25., das 35. und das 50. Lebensjahr vollendet haben. Check-up 25, 35 und Check-up 50. Und zwar unabhängig davon, ob es irgendeine Entscheidung des GBA zu diesen Leistungen gibt. Herr Scherer, wer braucht einen Herzkreislauf-Check-up mit 25, 35 und 50?

Scherer: Die Healthy Volunteers, die, die sich gerne ihre Gesundheit bestätigen lassen.

Nößler: Auf Kassenkosten.

Scherer: Zum Beispiel. Also es gibt nichts Richtiges im Falschen. Wenn die Eingangshypothese falsch ist, dann ist alles, was danach kommt, auch falsch. Und evidenzfreies Regieren Akt 2, das ist die Behauptung, dass Früherkennungsuntersuchungen oder die Ausweitung bereits existenter Früherkennungsprogramme die Lebenserwartungen in Deutschland steigen. Das ist eine evidenzfreie Annahme. Und die spricht aus diesem Wunsch-Paragrafen 25c. Es gibt Untersuchungen darüber, welche Menschen die Früherkennungsuntersuchungen in Anspruch nehmen. Es gibt in Deutschland noch kein Einladungsmodell für allgemeine Gesundheitsuntersuchungen, das gibt es in anderen Ländern, das gibt es in Großbritannien oder Österreich. Trotzdem werden Früherkennungsuntersuchungen in Deutschland vergleichbar gut wahrgenommen. Allerdings nicht von denen, die es eigentlich bräuchten, das heißt, Menschen mit sozialer Benachteiligung, Menschen mit vermehrten Risikofaktoren, Frauen, insbesondere Männer, die Nikotinkonsum, die keine oder geringere körperliche Aktivität haben, die wenig Obst und Gemüse essen, die ihren Gesundheitszustand als mittelmäßig oder schlecht einschätzen. Das sind bekanntermaßen und erwiesenermaßen Menschen, die Früherkennungsuntersuchungen eher nicht in Anspruch nehmen. Stattdessen komme sehr viele, die sowieso häufig zum Arzt oder zur Ärztin gehen. Und wie gesagt, Stichwort Healthy Volunteer Bias, die sich dann ihre Gesundheit gerne auch mal bestätigen lassen.

Nößler: Dennoch, mal anders gefragt, ist eine Suggestivfrage, macht ja nichts, sind wir hier in diesem Podcast gewöhnt, ist ja ein erprobtes Zielmittel.

Scherer: Das Schöne ist, ich muss dann nur Nicken oder so, wenn Sie eine Suggestivfrage stellen.

Nößler: Genau, und das Schöne ist, das Nicken hört keiner. Das heißt, niemand kann Sie dafür verhaften am Ende: Der Scherer hat schon wieder genickt, ich habe es genau gehört. Nein. Dann würde ich mir aber Gedanken machen, wenn wir das hören. Also worauf ich hinauswill: Wir reden hier mehr oder weniger von einem opportunistischen Screening, nicht wahr? Das heißt, wir bieten es erst mal der ganzen Bevölkerung an und schauen dann mal, was wir finden oder nicht. Jetzt haben wir natürlich in diesem Podcast schon oft über die Probleme von opportunistischen Screenings gesprochen, von nicht systematischen Screenings, von nicht risikostratifizierten Screenings. Aber das Argument, was immer wieder gebracht wird von vielen Leuten ist, ich kann doch dann, wenn ich die jetzt mal einlade mit 25, 35, 50, etwas finden. Es könnte ja sein, dass ... Was ist so schlimm daran?

Scherer: Ich hatte auch eine dunkle Stunde in unserer Podcast-Historie, in der ich irgendwas Positives über den Check-up 35 gesagt habe. Da bin ich auch sehr für beschimpft worden.

Nößler: Digitale rektale Untersuchung war das.

Scherer: Ja, aber Check-up 35 war auch mit dabei. Mit anderen Worten, man kann über dies und das sprechen, man kann dann vielleicht sogar tatsächlich mal primärpräventive Dinge ansprechen. Ich glaube, das muss man unterscheiden. Es darf sich jede Hausärztin, jeder Hausarzt sich freuen, wenn Gesundheitsförderungstermine stattfinden. Da gibt es jetzt nicht für jeden einzelnen Termin Evidenzrecherchen für. Wenn jemand zum Hausarzt geht und mal über dies und das spricht, gibt es keine Evidenz – wie auch, warum auch. Das ist eine kontinuierliche Langzeitbeziehung und da sieht man sich. Und Sie haben schon recht, es kann gut sein, dass so ein Termin dann einfach auch mal einfach Zeit und Raum bietet, über Dinge zu sprechen, für die sonst die Zeit fehlt. Aber das ist hier nicht die Fragestellung. Die Fragestellung ist, ob die Gesundheitsuntersuchung, ob die Check-ups wirklich signifikant was an der Lebenserwartung machen beziehungsweise eine Mortalitätsreduktion herbeiführen. Und dazu gibt es einen Cochrane Review aus 2019. Wir lieben doch Cochrane Reviews.

Nößler: Wir lieben alle Cochrane Reviews.

Scherer: Lasse Krogsbøll, Karsten Juhl Jørgensen und Peter C. Gøtzsche haben was gemacht: General health checks in adults for reducing morbidity and mortality from disease. Und was denken Sie, was da rausgekommen ist?

Nößler: Tja.

Scherer: Ich gebe Ihnen den Anfang des Satzes: General health checks ups are unlikely to be beneficial. Also mit anderen Worten: Es ist unwahrscheinlich, dass die allgemeinen Untersuchungen, die allgemeinen Früherkennungsuntersuchungen, Check-ups einen messbaren Benefit machen. Es wurde da auch dort ziemlich genau hingeschaut in diesem Systematic Review. Es wurden 17 Studien eingeschlossen. 15 waren doch auch mit Ergebnisdaten dabei, und zwar über 250.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die Gesundheits-Checks haben keine oder nur eine geringe Auswirkung auf die Gesamtsterblichkeit. Das kann man so sagen.

Nößler: Risikorate 1,0.

Scherer: Ja wohl. 1,0. Ja. Was sagt Ihnen das? Ich frage jetzt mal, weil Sie nämlich gar nichts fragen, frag ich Sie jetzt mal ein bisschen was.

Nößler: 1,0 heißt, es gibt zwischen Intervention und Kontrolle keinen Unterschied. Fertig. Also das ist die Geschichte. Auf der anderen Seite, Herr Scherer, Sie haben gesagt, 15 belastbare Arbeiten haben die gefunden. Also 15. Doch immerhin eine Viertel Millionen Leute. Aber jetzt mal Hand aufs Herz, dass es weltweit nur 15 Arbeiten zu dieser Fragestellung gibt, wo wir doch weltweit, gerade auch in westlichen und in den Industrienationen rumscreenen wie die Weltmeister, auch out-of-the-pocket-mäßig im Übrigen, also Privatleistung – das überrascht mich sehr, dass da nicht mehr Publikationen zu auswertbar waren.

Scherer: Ut fiat aliquid, damit irgendwas geschieht. Und wenn es Murks ist. Also wir machen viel, wir machen auch zu viel. Und hier braucht es natürlich Studien. Wir wissen ziemlich genau, dass man sowieso nicht alles über Studien abdecken kann, was man abdecken müsste. Aber ich gebe Ihnen recht, in dieser doch sehr relevanten primärmedizinischen und primärpräventiven Fragestellungen bräuchte es tatsächlich mehr Forschung.

Nößler: Dann direkt an den Versorgungsforscher vielleicht mal auch eine Take-home-Message für das Ministerium an der Stelle eingeschoben, an den Versorgungsforscher Scherer gefragt: Wie könnte denn so eine Untersuchung um den Benefit oder Non-Benefit einer Früherkennungsmaßnahme in Deutschland, was ja jetzt Kreislaufmortalität angeht, den jedenfalls untersuchen zu wollen – wie könnte so eine Studie in Deutschland aussehen? Wie würden Sie so eine Studie aufsetzen in Deutschland, wenn wir das untersuchen wollten?

Scherer: Ich weiß nicht, ob das jetzt wirklich die richtige Frage zur richtigen Zeit ist. Denn wir haben ja ein Systematic Review vorliegen mit 15 Arbeiten. Und da kann man sich ja durchaus mal ein bisschen das Design dieser Studien angucken. Das sind Interventionsstudien, die natürlich randomisiert sein müssen, die ein Kontrollgruppendesign haben. Das sind randomisierte Studien, in denen Gesundheitschecks verglichen werden mit keiner Intervention, also mit Nichtgesundheitschecks bei Erwachsenen, die nach bestimmten gut gematchten Gesichtspunkten ausgewählt werden, aber nicht nach bestimmten Krankheiten oder Risikofaktoren. Also im Grunde genommen sind das Interventionsstudien, wo Sie zwei Gruppen haben und dann mit einer möglichst langen Laufzeit die Erfolgsrate messen im Sinne harter klinischer Endpunkte. Und am besten natürlich die Mortalität. Das müssen Studien sein mit langer Laufzeit.

Nößler: Wenn ich Sie richtig verstehe, sagen Sie, wir haben eigentlich starke Evidenz vorliegen, nämlich diesen Review und die dahinterliegenden Arbeiten, die da untersucht wurden. Wir haben eigentlich Evidenz, die hart genug ist, um diese Behauptung zu widerlegen im Gesetzentwurf, in der Gesetzesbegründung, oder die vorgeschlagene Maßnahme vielmehr.

Scherer: Wir haben ziemlich klare Belege dafür, dass Gesundheitsfrüherkennungsuntersuchungen Health Checks an der Mortalität der Bevölkerung nicht viel ändern. Und das kann an vielen verschiedenen Dingen liegen. Ich habe es eben schon gesagt, dass vielleicht die Leute, die am meisten davon profitieren, nicht erreicht werden. Das kann daran liegen, dass unterschiedliche Maßnahmen getriggert werden, von denen nicht alle evidenzbasiert sind. Dafür kann es viele Gründe geben. Aber davon ist jetzt erst mal auszugehen, eine Ausweitung des Angebots der Früherkennungen weist keine Nutzenbelege auf.

Nößler: Dann würde ich jetzt sagen – jetzt kommt wieder der Journalist, der die Welt krass verkompliziert einfacher macht oder zu einfach macht – dann ist das sinnlos dieses Gesetz. Ist es dann im Zweifel, wenn das sinnlose Überdiagnostik ist, nicht auch gefährlich?

Scherer: Ich würde schon sagen, dass es schädlich ist, weil es Ressourcen abzieht von Dingen, die vielleicht wichtiger wären und weil einfach auch Ressourcen verbrannt werden, weil Geld und Zeit verbrannt werden. Es fehlt uns jetzt schon die Zeit für die Versorgung Älterer mit vielen Krankheiten. Wir haben jetzt schon Ressourcenprobleme im Gesundheitswesen, um uns um die zu kümmern, die wirklich krank sind. Da jetzt noch mal Ressourcen abzuziehen für etwas, was keinen Nutzenbeleg hat, das ist sicher nicht der richtige Weg. Und es ist auch insgesamt ein falsches Signal. Es ist ein falsches Signal, über Primärprävention zu sprechen und dann mit Früherkennung zu antworten. Unsere Probleme liegen woanders. Sie liegen bei der sozialen Ungleichheit, sie liegen bei den Menschen mit eingeschränktem sozioökonomischem Status. Sie liegen im Bereich der Verhältnisprävention. Und da sollte man ansetzen, wenn man was verbessern will. Und das sind dann auch evidenzbasierte Public-Health-Maßnahmen.

Nößler: Es gibt einen zweiten Regelungsvorschlag, der sieht vor, dass es Beratung, Blutdruckmessung, Blutlaborwerte in Apotheken geben soll, was das Thema Herz-Kreislauf-Erkrankungen angeht, da sprechen wir über die sogenannten pharmazeutischen Dienstleistungen, die mag die verfasste Ärzteschaft so gar nicht - auf der einen Seite. Auf der anderen Seite jammern Apothekerinnen und Apotheker, dass ihnen so ein bisschen die Fälle davonschwimmen. Jetzt fänden wir es im Sinne einer flächendeckend, gut ausgebauten Gesundheitsversorgung natürlich auch gut, wenn es noch die Apotheke vor Ort um die Ecke gibt. Dann denke ich mir, ist doch da auf einmal Nutzen drin, wenn ich da jetzt so eine Beratung einführe. Was soll so schlecht daran sein, dass meine Apothekerin mal mit mir redet über das Thema Lebensziel, Blutdruck, what ever und dafür drei Mark kriegt und dafür kriegt sie ein bisschen mehr Honorar und der Gesetzgeber sorgt dafür, dass die Apotheken erhalten bleiben. Da ist doch ein Nutzen drin, oder sehe ich das falsch?

Scherer: Das klingt erst mal wie ein Goody für Apotheken. Ich habe nichts gegen Goodies. Im Gegenteil, wir brauchen die Apotheken. Jeder muss leben. Aber auf der anderen Seite kann man die Frage stellen, ob es dann im Gegenzug ein ACE-Hemmer und das Statin beim Hausarzt gibt.

Nößler: Ja, das wäre dann der alte Streit mit dem Dispensierrecht und der ärztlichen Leistung in der Apotheke.

Scherer: Man sollte jetzt nicht noch mehr Durcheinander in die Versorgung bringen, als es schon ist. Also die Medikamente gibt es in der Apotheke und die ärztlichen Leistungen gibt es in der Praxis.

Nößler: Sie haben jetzt schon ACE und Statin angesprochen, da kommen wir eh gleich noch drauf, ist nämlich auch Teil des Gesetzes. Ich will aber noch zwei andere Sachen ansprechen, weil wir gehen den Entwurf jetzt quasi einfach nur durch, von oben nach unten. Bemerkenswert ist ein Satz an einer Stelle, und zwar ist es im Moment so geplant, dass quasi, wenn dieses Gesetz denn beschlossen würde, würde qua Gesetz das Gesundheitsministerium ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen, wo die Länder zustimmen müssen, in der sie das Nähere für diese Check-up-Untersuchung, diese Herz-Kreislauf-Checks bestimmen könnte. Und jetzt kommt dieser bemerkenswerte Satz, der dahintersteht, nämlich Paragraf 2 Absatz 1 des SGB V und Paragraf 12 Absatz 1 des SGB V: Der Bestimmung und Erbringung einer erweiterten Gesundheitsuntersuchung, deren Nutzen nach den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin noch nicht belegt ist, nicht entgegenstehen. Das ist jetzt ein Juristensatz. Einfach gesagt heißt das, das Wirtschaftlichkeitsprinzip, das WANZ-Prinzip, das wir kennen, wirtschaftlich, angemessen, notwendig, zweckmäßig, wird hier mal komplett ausgehebelt. Und das Ministerium sagt selbst, wenn die IBM, siehe die von Martin Scherer zitierte Cochrane-Analyse, sagt, es gibt hier keinen Nutzen (nicht belegt), dann ist das trotzdem wurscht. Was ist das, Herr Scherer? Was ist das für ein Satz?

Scherer: Das ist evidenzfreies Regieren dritter Akt. Und das ist vor allem verfassungswidrig. Sollte das drin bleiben, dann wird die DEGAM mit Sicherheit eine Verfassungsbeschwerde prüfen. Warum ist das verfassungswidrig? Das Bundesverfassungsgericht verpflichtet den Gesetzgeber seit vielen Jahren. Und man muss dazusagen, in einem Pflichtversicherungssystem, welches ungefähr 90 Prozent der Bevölkerung erfasst, und diese zwingend 15 Prozent ihres Arbeitseinkommens aufzuwenden, in einem solchen Pflichtversicherungssystem ist der Gesetzgeber verpflichtet, ein gewisses Maß an Zugang zu Qualität zu schaffen. Mit anderen Worten: Es muss eine wissenschaftlich unabhängige Instanz geben, zum Beispiel den G-BA, den es ja auch gibt, die dafür sorgt, dass nur nützliche und nicht gefährliche oder überflüssige Methoden in der gesetzlichen Krankenversicherung Fuß fassen. Das ist das Entscheidende. Mit anderen Worten: Hier wird der G-BA gebypasst, hier werden Instrumente der Nutzenbewertung gebypasst, die ebenfalls im SGB V verankert sind. Und das ist genau das Problem.

Nößler: Haben Sie Sorge, dass der G-BA, der irgendwie so ein bisschen auf das Abstellgleis in der Politik geraten ist – hat man den Eindruck, also es wird ja immer wieder versucht, neue Bypässe zu legen, Sie haben es Bypass genannt –, irgendwann mal gänzlich unter die Räder kommt?

Scherer: Das weiß ich nicht. Aber auf jeden Fall sollte man das jetzt nicht gesetzlich verankern, dass man die Nutzenbewertung aushebelt. Und noch mal, ich denke, das ist unzulässig. Das ist unzulässig und verfassungswidrig. Ich bin jetzt kein Jurist, aber ich weiß, dass das Bundesverfassungsgericht die Beitragsstabilität und der finanziellen Stabilität der GKV Verfassungsrang einräumt. Das bedeutet dann im Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber nicht einfach ohne Nutzenbewertung Geld ausgeben kann.

Nößler: Da könnten wir auch fast schon Richtung Nikolausurteil und solche Sachen uns Gedanken machen. Aber ich glaube, das führt uns dann in eine ganz tiefe juristische Ecke hinein. Also wir nehmen zur Kenntnis, die DEGAM geht davon aus, dass das mit grundgesetzlichen Prinzipien nicht vereinbar ist, wie es da im Moment drinsteht. Und die DEGAM kündigt an, dass man das im Zweifel dann prüfen lassen würde. Das war jetzt quasi der dritte Akt. Dann schauen wir mal weiter, wie viel Akte wir noch hinkriegen, Herr Scherer. Aber das hat dann ja jemand in der Mauerstraße für uns entschieden. Interessant ist, nächster Regelungsvorschlag - wir sind immer noch in diesem neuen geplanten Paragrafen, wir sind jetzt im Absatz 5 –, da ist die Rede von „nach angemessener Beteiligung von Sachverständigen der betroffenen Fach- und Verkehrskreise“. Das ist Juristendeutsch. Herr Scherer, haben Sie sich jemals schon als Verkehrskreissachverständigen begriffen?

Scherer: Bislang noch nicht. Aber vielleicht erklären Sie es mir.

Nößler: Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet. Also ich würde mal sagen, Fachkreise, das kriegen Sie schon eher hin, den Begriff.

Scherer: Ja. Ich suche mir die Experten, die mir nach dem Mund reden.

Nößler: Gut. Und danach kann man dann weiter Regelungen in die Rechtsverordnung reinschreiben, nämlich weitere Leistungen zur Erfassung spezifischer Risiken und Erkennung von Risikoerkrankung und Krankheitsvorstufen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Aber hier auch tatsächlich ein zweiter Spiegelstrich: Vorgaben für standardisierte Fragebögen zur Erfassung spezifischer Risiken. Das klingt jetzt erst mal sehr technisch, Herr Scherer. Wenn man das so liest, es ist ja auch ein Gesetz, haben ja Juristen geschrieben. Aber standardisierte Fragebögen, wenn man sich das mal auf der Zunge zergehen lässt, standardisierte Fragebögen, das sind ja ärztliche Tools, die Fragebögen, das sind wissenschaftliche Tools. Die müssen doch evaluiert werden, üblicherweise. Wenn ich jetzt mal zum Beispiel an Quality of Life oder irgendwelche Depressionsskalen denke, wie lang da teilweise in der einschlägigen Fachgesellschaft auch gestritten wird, welche Fragebögen wie dann auch welche Aussage treffen. Was ist hier davon zu halten? Ist das nicht ein totaler Eingriff in medizinisch-ärztliches Handeln, was da geplant ist?

Scherer: Wir sind jetzt Akt 4 des evidenzfreien Regierens. Und da kommen zunehmend jetzt auch komische Elemente rein. Ich sage mal, standardisierte Fragebögen in einem Gesetz vorzuschreiben – es kommt gleich noch besser, es werden gleich noch Wirkstoffgruppen und Grenzwerte per Gesetz vorgeschrieben – das ist skurril, das ist murks, das ist einfach nur noch crazy. Man kann keine standardisierten Fragebögen per Gesetz vorschreiben. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll.

Nößler: Martin Scherer fehlen ein drittes Mal die Worte. Das will schon was heißen. Also Wissenschaft – und da hätten wir dann, was ist die Basis für Standard. Das ist quasi was man wissenschaftlich vorher entwickelt und geprüft und validiert hat. Ja, kann man nicht per Gesetz vorgeben an der Stelle. Machen wir mal weiter und wir zählen. Also wir sind im Moment bei Akt 4. Gucken wir mal weiter. Jetzt kommen wir zum einschlägigen Paragrafen 26, den kennen wahrscheinlich viele ärztliche Hörerinnen und Hörer, das ist der Paragraf im SGB V, in dem die Gesundheitsuntersuchungen geregelt sind. Und da wird jetzt tatsächlich auch ein zusätzlicher Absatz eingefügt, der quasi qua Gesetz eine zusätzliche Gesundheitsuntersuchung für Kinder und Jugendliche – so heißt es hier – einführt, für eine Untersuchung zur Früherkennung einer Fettstoffwechselstörung. Her Scherer, jetzt könnte ich es mir leicht machen und sagen – da haben wir auch eine ganze Podcast-Episode letzten Jahres gemacht –, hier geht es um die Früherkennung von Dyslipidämien, eigentlich familiäre Hypercholesterinämie. Ist das jetzt der fünfte Akt? Oder ist das jetzt wenigstens mal vernünftig?

Scherer: Das ist Akt 5 des evidenzfreien Regierens. Und zur Erinnerung, wir sind immer noch im Lebenserwartungsnarrativ beziehungsweise im Todesverhinderungsnarrativ. Und selbst Länder mit einer besseren Mortalitätsstatistik als wir es haben, haben kein solches Screening. Und wir haben bereits im Herbst letzten Jahres mehrfach deutlich gemacht, dass ein Screening auf eine möglicherweise vorliegende familiäre Hypercholesterinämie bei Kindern ebenfalls nicht evidenzbasiert ist. Und noch mal, wenn es das in verschiedenen Ländern ansatzweise gibt, dann ist es kein systematisches Screening, sondern ein Kaskadenscreening. Das heißt, wenn eine Indexperson früh im Leben eine kardiovaskuläre Krankheit erfährt, werden enge Familienmitglieder gescreent. Das ist was anderes. Das ist ein Kaskadenscreening, das kann man machen. Darüber kann man diskutieren. Aber es ist ja dann auch immer die Frage, was nach einem Screening folgt, also im Zweifelsfall ein Statin. Und es gibt keine Nutzenbelege dafür, dass die therapeutischen Konsequenzen eines Screenings bei Kindern, dann die Verordnung von Statinen im Kindesalter, dass die wirklich was bringen.

Nößler: Da kommen wir gleich noch mal zu, zu diesem Thema, frühe Gabe von Statin. Ich will noch mal kurz nachfragen: Das Thema Kaskadenscreening, das wir auch schon besprochen hatten an einer anderen Stelle, Sie sagen, beispielsweise könne man über ein Kaskadenscreening nachdenken, wenn zum Beispiel eine 30-jährige Person früh, also sehr früh ein Ereignis hatte, dass man dann mal in der Familie durchkaskadiert und vielleicht mal Labor macht. Würden Sie auch so weit gehen, dass man sagt, Klassiker, bei einer Hypercholesterinämie Xanthelasmen zum Beispiel, wäre das auch schon so ein Trigger, wo Sie sagen: Ach, das sieht mir danach aus, da gucke ich jetzt mal bei dir ins Blut rein und wenn das LDL sonst wo ist, dann könnte man auch schon mal über Kaskadenscreening nachdenken.

Scherer: Ich denke, darüber kann man reden, das kann man alles diskutieren. Wichtig ist, dass man keine Gießkannenmedizin betreibt, sondern dass man irgendeine anamnestische Ansatzform findet. Ob jetzt Xanthelasmen dazu taugen? In welchem Alter meinen Sie?

Nößler: So in unser Alter, also Mitte 30.

Scherer: Klar. Warum nicht. Das ist jetzt aus der Hüfte geschossen. Ich habe da jetzt überhaupt auch nicht in die Daten geguckt. Also klar, rein spontan: Wichtig ist, dass man die Anamnese voranschaltet, dass man Hinweise findet für eine familiäre Häufung. Ob das jetzt Xanthelasmen sind, ob das Frühereignisse sind, das muss man wirklich im Einzelnen ausgestalten.

Nößler: Jetzt das Thema: Was folgt? Der Leitsatz, der nicht nur von Martin Scherer kommt, sondern von der gesamten Community, der Martin Scherer angehört, ist ja keine Diagnostik ohne therapeutische Relevanz. Ich weiß nicht, wie oft Sie das bei uns im Podcast gesagt haben. Unzählbar vermutlich.

Scherer: 873 Mal.

Nößler: Er hat sogar mitgezählt. Er zählt nicht nur die Akte von Herrn Lauterbach mit, sondern sogar seine eigenen Zitate. Also, was mache ich, wenn ich bei einem Knirps herausfinde, du hast ein LDL von 260, das wäre jetzt die westdeutsche Einheit, wir rechnen es mal nicht um. Das kriegt man im Osten auch so hin. Was folgt dann danach? Klar, Lipidsenkung, ist ja logisch. Jetzt haben Sie aber schon gesagt, wissen wir gar nicht, ob das was bringt bei Kids. Oder ob es vielleicht nicht mehr schadet als es nutzt, Stichwort Myalgien und Co. Es gab – das fand ich bemerkenswert – neulich eine Aussage von einem Kinderkardiologen, ich glaube, es war sogar universitär, ich weiß aber nicht mehr genau woher, jedenfalls in Deutschland, der sagte das genauso. Er sagte: Statine ist eigentlich cooles Zeug, wir haben nur gar keine Ahnung, was das bei den Kids macht, wenn wir denen das geben. Wir dazu keine Daten. Und dann sagte er – das fand ich total bemerkenswert – im Nebensatz: Aber trotzdem ist das gut. Da kommt jetzt keine Frage, Herr Scherer.

Scherer: Naja, das ist das Leben im kardiozentrischen Weltbild. Im kardiozentrischen Weltbild steht das Herz im Zentrum, sonst wäre es auch nicht kardiozentrisch. Und wenig Lipide sind gut fürs Herz, das ist so, the lower the better. Klar. Das ist ja auch nicht ganz weit hergeholt. Es gibt ja auch genug Studien, die naheliegen, dass „the lower the better“. Aber die Welt ist eben nicht so einfach, die Welt ist nicht schwarz-weiß. Und deshalb können wir jetzt nicht mit Analogieschlüssen Gesetze machen. Wir können auch nicht mit Analogieschlüssen Medizin machen. Weil wir davon ausgehen, dass es gut für Kinder ist, machen wir es halt. Nein. Dafür braucht es eben wirklich Studiendaten. Man kann jetzt nicht in ein Gesetz schreiben, was überhaupt gar kein bisschen durch Forschung gedeckt ist. Das geht nicht.

Nößler: Ist es nicht eigentlich so, Sie haben kardiozentrisches Weltbild gesagt, dass – Stichwort the lower the better – die Evidenz uns eigentlich sagt, ich kann schon durch eine radikale Lipidsenkung an der kardiovaskulären Mortalität was drehen. Aber ist es nicht auch so, Herr Scherer, dass man bislang nicht wirklich gut zeigen konnte, dass sich die Gesamtmortalität dadurch verändern lässt. Oder anders gefragt: Was bringt es uns, wenn ein Gesetzentwurf auf die kardiovaskuläre Sterblichkeit abzielt und nicht auf die Gesamtsterblichkeit? Das ist doch eigentlich der entscheidende Endpunkt für die Bevölkerung, oder?

Scherer: Im Grunde genommen sind wir damit wieder am Anfang, an der Eingangshypothese, in Deutschland wird zu viel gestorben, es liegt am Herzen. Das ist eine unbelegte Spekulation. Es ist natürlich gut, guten Willen zu haben, den soll auch niemand abgesprochen kriegen. Aber von diesem Gesetz geht das falsche Signal aus und es müsste woanders angesetzt werden, nämlich in den Bereichen der Primärprävention, Verhältnisprävention. Also völlig richtig, was Sie sagen, Herr Nößler. Wenn ich in der Gesamtmortalität ansetzen will, dann brauche ich eigentlich einen größeren Hebel. Aber ich füge hinzu, wir bräuchten auch bessere Todesursachenstatistiken.

Nößler: Da sind wir wieder am Anfang.

Scherer: Eben.

Nößler: Jetzt kommt aber der Einschub. Bevor wir zu den Statinen kommen, hat die Autorin oder der Autor, das ist nicht besser überliefert, welchen Geschlechts diese Personen waren, die das geschrieben haben, unseren Podcast antizipiert.

Scherer: Als ob das von Relevanz wäre.

Nößler: Das ist wahrscheinlich vollkommen irrelevant. Richtig.

Scherer: Der/sie hat unseren Podcast zitiert.

Nößler: Nein, vermutlich haben die Autor:innen dieses Gesetzentwurfs unseren diesen jetzt gerade aufgezeichneten Podcast antizipiert. Ahnten, dass wir das kritisieren werden, was die da machen und sagten: Die werden wahrscheinlich dann kritisieren, dass wir gar nicht auf die Gesamtmortalität heben. Und dann haben die deswegen folgenden Einschub gemacht – nur für Sie, Herr Scherer: Paragraf 34 SGB V. Manche kennen ihn als Life-Style-Paragrafen unter anderem, das ist der 34er im SGB V, sagt genau, welche Arzneimittel überhaupt nicht bezahlt werden, Arzneitherapien, muss man genau sagen. Da sind die Life-Style-Arzneimittel drin, also zum Beispiel Spritzen für Adipositas oder bei Adipositas, muss man genau sagen. Aber eben auch das Thema Tabakentwöhnung. Und da heißt es im Moment, dass man Arzneimittel zur Tabakentwöhnung frühesten alle drei Jahre überhaupt zulasten der GKV einsetzen kann. Das wissen die meisten wahrscheinlich. Und das soll jetzt auf jedes Jahr reduziert werden. Da haben wir wieder da einen anderen Aspekt, wo man reingehen kann. Herr Scherer, wir haben mittlerweile Evidenz, auch Cochrane im Übrigen, dass das durchaus was bringen kann, auch Arzneitherapie zur Tabakentwöhnung. Ist das nicht wenigstens gescheit, Rauchern häufiger, auch wenn es Arzneimittel sein müssen, das überhaupt anbieten zu dürfen, wenn sie aufhören wollen? Oder ist das der sechste Akt?

Scherer: Das ist ein kleiner Lichtblick. Aber jedes Drama hat ein retardierendes Moment. Jedes Drama hat einen kleinen Lichtblick, sonst wäre es kein Drama.

Nößler: Immerhin. Hier noch mal eine Take-home-Message in die Mauerstraße: Habt ihr gut gemacht oder nicht ganz schlecht. Jetzt kommen wir weiter. Zwei Dinge haben wir noch. Jetzt kommt wieder ein Hinweis – ich glaube, es ist immer noch der 34er –, da soll es einen neuen Absatz geben. Wobei das reichen wir im Zweifel im Transkript nach. Und zwar sind wir jetzt bei den von Ihnen eben schon angesprochenen Statinen. Da gibt es jetzt tatsächlich qua Gesetz den Hinweis, dass, abweichend von Absatz 3, Versicherte zur Vorbeugung schwerer kardiovaskulärer Ereignisse einen Anspruch auf Versorgung mit Statinen haben, und zwar in vier Fällen. Bis zur Vollendung des 50. Lebensjahres, sofern das Zehnjahresrisiko bei 7,5 Prozent oder höher liegt, ab 50 bis zur Vollendung des 70. Lebensjahres bei einem Zehnjahresrisiko bei 10 Prozent oder höher. Ab dem 70. Lebensjahr bei einem Zehnjahresrisiko ab 15 Prozent oder höher. Und natürlich bei einer genetisch bestätigten familiären Hypercholesterinämie. Soweit steht das jetzt im Gesetz. Wir wissen alle, GBA spricht im Moment von 20 Prozent Zehnjahresrisiko. Jetzt müssen wir mal zwei Ebenen bearbeiten, Herr Scherer. Einerseits, was Sie schon angesprochen haben, gehört so was in ein Gesetz rein? Und dann andererseits, was sagt denn die Evidenz dazu? Weil wenn ich es recht ahne, ist die momentane Arzneimittelrichtlinienempfehlung mit 20 Prozent nicht mehr ganz state of the art, oder?

Scherer: Wir haben das Ganze ja dramaturgisch aufgebaut. Und wir befinden uns jetzt am Höhepunkt der Skurrilität. Man könnte auch sagen, Possenreißerei. Schauen wir uns das mal ein bisschen genauer an. Also da sind Prozentpunkte für kardiovaskuläre Ereignisse drin, da ist sogar eine Wirkstoffgruppe drin. Und Herr Nößler, Sie sind ja jetzt auch schon ein bisschen länger dabei, eine Wirkstoffgruppe in ein Gesetz zu schreiben, ein Grenzwert für ein Zehnjahresrisiko in ein Gesetz zu schreiben, das mutet einfach surreal an. Das ist einfach nur noch skurril. Es hat überhaupt gar keinen Sinn, Medizin so zu denken, wie sie hier gedacht ist. Es macht keinen Sinn, einheitliche Zehnjahresrisiken zu benennen als indikationsgebend für Statine. Ein 7,5-prozentiges Risiko ist für einen älteren Menschen eine super Sache, für einen jungen Menschen ist es eine Katastrophe. Und dann geht es aber anders. Dann geht es darum, sich das Gesamtrisiko anzuschauen, sich die einzelnen Risikofaktoren anzuschauen, zu gucken, wie trägt der einzelne Risikofaktor zum Gesamtrisiko bei und wie kriege ich es runter. Das heißt, das sind Prozesse des Shared Decision Makings, der partizipativen Entscheidungsfindung, lese ich überhaupt nichts darüber, über gemeinsame Entscheidungsfindung. Ich lese auch nichts im Gesetz über die Aufklärung der Patientinnen und Patienten. Als würde man einen Hebel umlegen. Da gibt es einen Grenzwert, dann legen wir den Hebel um, dann kommen aus dem Spender die Statine rausgeflogen und in einem magischen Zauber wird dann die Lebenserwartung verbessert. So ist es ja nicht. Die Menschen müssen es ja ein Leben lang einnehmen. Die müssen da mitgenommen werden. Die müssen aufgeklärt sein, müssen überzeugt davon sein, müssen das wollen, müssen sich dafür entscheiden, in einem gemeinsamen Prozess mit dem Arzt oder der Ärztin. Das funktioniert so, dass man ein Risikotool hat, zum Beispiel Arriba, das gemeinsam durchgeht, die Patientin, den Patienten aufklärt und schaut, wie man das Risiko runterkriegt.

Nößler: Zumal beispielsweise bei einem erhöhten kardiovaskulären Risiko, wenn man feststellt, die Person raucht, der Rauchstopp im Zweifel mehr bringt als ein Statin bei der Risikoreduktion.

Scherer: Zum Beispiel. Absolut. Es gibt überhaupt gar keine Pille, die so gesund ist wie das Aufhören mit dem Rauchen. Und was will man machen. Stellen Sie sich mal vor – es ist unwahrscheinlich –, es kommt jetzt ein Rote-Hand-Brief gegen Statine oder über Statine.

Nößler: Dann verstößt ja der Rote-Hand-Brief gegen das Gesetz.

Scherer: Genau. Oder wir brauchen schleunigst eine Gesetzesänderung. Oder es ändert sich an der Studienlage etwas. Es ändert sich an bestimmten Grenzwerten etwas. Wenn man dann auch jedes Mal das Gesetz ändert.

Nößler: Das ist noch mal das Unterstreichen der Skurrilität, von der Sie gesprochen haben. Wir sind, glaube ich, im sechsten Akt, wenn ich das richtig verstehe. Jetzt noch mal Stichwort Risikorechner. Sie haben natürlich gesagt, Arriba, logisch, hausärztliches Tool. Interessant ist, das steht jetzt zwar nicht in dem Entwurf für diesen entsprechenden Absatz drin, aber sehr wohl in der Gesetzesbegründung des momentanen Referentenentwurfs, relativ weit hinten, irgendwo aus Seite 30 irgendwas. Und wir wissen alle, das ist vielleicht ein wichtiger Punkt, wenn es vor Gericht geht, also im Zweifel auch vor ein Sozialgericht oder es einen ärztlichen Haftungsfall gibt, und es liegt ein Gesetz dafür zugrunde, dann gucken Richter auch in Gesetzesbegründung hinein. Und tatsächlich wird hier in der Gesetzesbegründung SCORE2 genannt. Davon gibt es zwei Rechner, auch noch einen für Ältere. Und ansonsten nicht. Also es wird tatsächlich nur SCORE2 genannt als Risikorechner in der Gesetzesbegründung. Wäre der im Zweifel noch vernünftig?

Scherer: Es macht durchaus Sinn, mehr als ein Risikorechner zu nehmen. Aber auch da muss man sagen, es gibt über 350 Rechner, wovon irgendwie nur ein Drittel extern validiert wurde. Das ist so ähnlich wie man standardisierte Fragebögen ins Gesetz schreibt. Also das sind Dinge, die im Fluss sind. Das sind Dinge, wo es Wissenschaft zu gibt. Das sind Dinge, wo es Leitlinien für gibt. Das muss die ärztliche Profession aus sich heraus entscheiden. Das müssen die Fachgesellschaften dann gemeinsam auch besprechen in ihren Konsensuskonferenzen und schauen, wie sie den fachärztlichen Standard machen. Aber ich kann nicht den fachärztlichen Standard und überhaupt das ärztliche Handeln durch irgendwelche halbgaren Gesetzestexte über den Haufen werfen.

Nößler: Herr Scherer, wir hatten mal vor geraumer Zeit einen Podcast gemacht über Gutachtertätigkeit vor Gericht, wenn es um ärztliche Haftungsfälle geht. Und da haben Sie damals so ein bisschen Einblick in Ihre Arbeit, wenn Sie vor einem Gericht als Gutachter quasi bestellt werden, geliefert. Wie muss man sich das denn vorstellen? Nehmen wir mal an, es gäbe wirklich genau irgendwann diese gesetzliche Regelung, wo drinsteht, so und so hast du Statine zu verordnen. Und jetzt kommt genau das, was Sie eben gesagt haben. Was ist denn, wenn sich die Evidenzlage irgendwann verändert und der Bundestag hat das Gesetz dann noch nicht angepasst. Woran würden sich denn – glauben Sie – die Richter halten? An das Gesetz oder an die Evidenzlage?

Scherer: Ich hoffe wirklich sehr, dass es den Richtern dann um den Facharztstandard geht und dass der wiederum sein Abbild dann in den gängigen Leitlinien findet. Also ich kann mir das nicht anders vorstellen, als dass man der ärztlichen Profession ihre Freiheit lässt und der Wissenschaft vor allem die Freiheit lässt. Alles andere wäre – ich weiß gar nicht, also mehr fehlen ein viertes Mal die Worte.

Nößler: Vielleich haben wir noch einen siebten Akt. Ein Punkt will ich noch ansprechen, der ist auch bemerkenswert, jetzt kommen wir wieder weg von den Statinen, und zwar ist geplant für den Paragrafen 137g – das ist jetzt eine Podcast-Episode für Rechts- und Gesetzes-Nerds, tut uns sorry – ist geplant im Absatz 4, dass es ein Pay for Performance gegen soll, für Disease-Management-Programme. Und zwar muss man sich das so vorstellen: Es gibt in jeder DMP-Anforderungsrichtlinie Qualitätsziele, die werden auch evaluiert. Es sind jetzt hier konkret genannt die drei DMP für Typ-1-Diabetes, Typ-2-Diabetes und KHK. Und tatsächlich soll jetzt hier ein Pay for Performance, also eine zusätzliche ärztliche Vergütung eingeführt werden, das muss dann noch im Detail ausgearbeitet werden von der Selbstverwaltung, wenn Qualitätsziele erreicht werden. Was ist das denn zum Beispiel bei Diabetes Typ 1? Zum Beispiel das Vermeiden von Ketoazidosen, oder?

Scherer: Das wäre dann die Frage, was Pay for Performance ist. Man unterscheidet ja nach Donabedian drei Dimensionen der Qualitätsmessungen. Das ist die Ergebnis-, die Prozess- und die Strukturqualität. Und ich denke, hier geht es um Prozess- und Ergebnisqualität. Also man muss sich da natürlich vor Augen halten, dass man hier das Verhalten der Patienten mitbewertet. Wenn ein Patient gut im Blutdruck eingestellt ist, dann weil er Leitlinien-adhärent gehandelt hat oder weil der Doktor Leitlinien-adhärent gehandelt hat und der Patient ebenfalls adhärent war. Also da muss man sich bei so was genau anschauen, welche Prozess- und Ergebnisindikatoren sollen hier gelten. Im Grunde genommen ist es keine schlechte Sache, die DMP zu stärken und zu fördern. Aber auch hier: Der Schlüssel für vieles ist gute Versorgungsdaten, gute Versorgungsforschung. Wir wissen im Endeffekt immer noch nicht so genau, was in hausärztlichen Praxen passiert. Da wäre es eher wichtig, statt Geld zu verpulvern in Früherkennungsunsinn, dass man die Forschung fördert, dass man die Forschungsinfrastruktur fördert, die Forschungspraxen in der Allgemeinmedizin fördert, dass wir noch genauer wissen, was in der hausärztlichen Versorgung passiert und last not least die Primärversorgung stärkt. Aber keine solitären Pirouetten auf der kardiozentrischen Bühne.

Nößler: Herr Scherer, 60 Minuten für sechs Akte, mindestens. Vielleicht mal ein Zwischenfazit beziehungsweise für diese Podcast-Episode tatsächlich dann auch ein Fazit, eine Take-home-Message ans Bundesgesundheitsministerium. Was ist von diesem Gesetz zu halten? Was sollten die damit machen?

Scherer: Ein kardiozentrisches Drama. Mir wäre ein enzephalozentrisches Gesetz ein bisschen lieber gewesen: also gut durchdacht, mehr Hirn statt Herz.

Nößler: Das ist die Botschaft ans Gesundheitsministerium. Mehr Hirn statt Herz. Schauen wir mal, ob es ankommt. Das war jetzt quasi die kostenfreie hausärztliche Risikoberatung von Martin Scherer für die Gesetzgebungsmaschine von Minister Lauterbach. Herr Scherer, ich sage vielen Dank an dieser Stelle für eine erste hörbare Replik auf dieses Vorhaben. Wir werden dranbleiben. Wir werden sehen, was kommt. Wir haben ja einen Plan tatsächlich für die nächste Episode. Und dann hören wir uns hoffentlich alsbald wieder, oder?

Scherer: Sehr gerne.

Nößler: Dann bleiben Sie fröhlich. Und ahoi! Bis dann!

Scherer: Ahoi!

Ihr Newsletter zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Einem stabilen Herzrhythmus auf der Spur

© Gruzdaitis / Fotolia

Herzrhythmusstörungen

Einem stabilen Herzrhythmus auf der Spur

Kooperation | In Kooperation mit: Trommsdorff GmbH & Co. KG
Elektrolyte und ihre Funktion im kardialen Stoffwechsel

© [M] 7activestudio / stock.adobe.com

Kalium und Magnesium

Elektrolyte und ihre Funktion im kardialen Stoffwechsel

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Trommsdorff GmbH & Co. KG
Darum ist ein ausgeglichener Kalium-Magnesium-Haushalt wichtig

© Predel | Rolf Schulten | Rolf Schulten

Video-Statements

Darum ist ein ausgeglichener Kalium-Magnesium-Haushalt wichtig

Kooperation | In Kooperation mit: Trommsdorff GmbH & Co. KG
Grippeschutzimpfung: Jüngere Risikogruppen nicht vergessen

© Springer Medizin Verlag

Intens. Video-Podcast

Grippeschutzimpfung: Jüngere Risikogruppen nicht vergessen

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Herz mit aufgemalter Spritze neben Arm

© Ratana21 / shutterstock

Studie im Fokus

Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Prävention durch Influenzaimpfung?

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Mann mit Pflaster auf Oberarm gibt Daumen-hoch-Zeichen

© U_Photo / Shutterstock

Impflücken bei Chronikern

Senkung von Morbidität und Mortalität durch bessere Vorsorge

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Kommentare

ADHS und Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen

Guter Schlaf durch schnell freisetzendes Melatonin

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Medice Arzneimittel Pütter GmbH & Co. KG, Iserlohn
Tab. 2: Schlaf bei Kindern nichtpharmakologisch optimieren

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach Angaben von Prof. Dr. Christian F. Poets und [6]

Einschlafstörungen und Melatonin

Was braucht es für einen gesunden Schlaf bei Kindern und Jugendlichen?

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: P&G Health Germany GmbH, Schwalbach am Taunus
Impfungen – ob Influenza oder Reisezeit

© Springer Medizin Verlag GmbH

Impfungen – ob Influenza oder Reisezeit

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt a. M.
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Forscher geben Entwarnung: Handys führen nicht zu einem erhöhten Risiko für verschiedene Krebsarten.

© DragonImages / stock.adobe.com

Zeitreihenanalyse

Studie: Handynutzung erhöht das Krebsrisiko nicht

Akute Atemwegssymptome – wieviel trägt die Luftverschmutzung bei? (Symbolbild mit Fotomodell)

© Sofiia / stock.adobe.com

Respiratorische Symptome

Mehr Luftverschmutzung, mehr Antibiotika