Spahn rudert zurück

AOK-Öffnung ist vom Tisch

Die elf AOKen werden doch nicht für den bundesweiten Wettbewerb geöffnet. Bundesgesundheitsminister Spahn hat den Entwurf für ein „Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz“ an mehreren Stellen nachjustiert.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn justiert den Finanzausgleich unter den Krankenkassen neu.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn justiert den Finanzausgleich unter den Krankenkassen neu.

© Tom Weller / dpa

BERLIN. Aus „Faire-Kassenwahl“ wird „Fairer-Kassenwettbewerb“: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat sein umstrittenes Gesetz zur Neuorganisation der Kassenlandschaft und des Finanzausgleichs unter den Kassen (Morbi-RSA) deutlich modifiziert.

Der besonders heikle Passus, wonach regional agierende Kassen wie die elf AOKen für den bundesweiten Wettbewerb geöffnet werden sollen, ist ersatzlos gestrichen. Dies geht aus dem Entwurf für ein „Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz“ hervor, der der „Ärzte Zeitung“ vorliegt.

Dem Druck der Länder nachgegeben

Spahn beugt sich damit dem Druck der Länder. Diese lehnen die AOK-Öffnung geschlossen ab. Auch beim Koalitionspartner SPD war das Vorhaben auf Kritik gestoßen. In der vergangenen Woche hatte die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Karin Maag, angedeutet, dass der Gesetzentwurf von Spahn in abgespeckter Form ins Bundeskabinett komme.

Der jetzt vorgelegte neue Entwurf beinhaltet im Kern Neuregelungen, die den Risikostrukturausgleich, das Organisations- und Wettbewerbsrecht der Kassen sowie die Strukturen des GKV-Spitzenverbands betreffen.

Um den Risikostrukturausgleich gerechter zu machen, soll dieser künftig die regionale Verteilung der Versicherten berücksichtigen. Zu diesem Zweck wird in den RSA eine Regionalkomponente eingezogen.

Bei der Zuweisung der Gelder aus dem Gesundheitsfonds an die Kassen sollen künftig alle Krankheiten („Vollmodell“) berücksichtigt werden. Die Begrenzung auf zuletzt bis zu 80 Krankheiten entfällt.

Regionalkomponente und Risikopool im RSA

Zudem wird ein Risikopool für die Refinanzierung „besonders teurer Fälle“ und eine „Vorsorge-Pauschale“ zur Förderung von Präventionsmaßnahmen durch die Kassen eingeführt.

Der RSA soll manipulationsresistenter ausgestaltet werden. Dazu sollen dem Bundesversicherungsamt (BVA) als Aufsichtsbehörde aller Kassen mehr Möglichkeiten an die Hand gegeben werden, um mögliche Verstöße gegen die Regeln des RSA zu prüfen und gegebenenfalls zu ahnden.

Das BVA und die Aufsichtsbehörden der Länder sollen sich mindestens zwei Mal jährlich treffen, um sich im Rahmen der „Aufsichtsbehördentagung“ gegenseitig über Aufsichtsfragen und genehmigte Satzungsleistungen der Kassen „zu unterrichten“.

Sie sollen dabei Entscheidungen zur Kranken- und Pflegeversicherung nach dem Mehrheitsprinzip herbeiführen. Die Stimmenanteile der Länder richten sich nach deren Einwohnerzahl. Das BVA hat 20, das Bundesgesundheitsministerium sechs Stimmen.

Die Frage der Kassenaufsicht hatte zuletzt für heftigen Streit gesorgt. Den Ländern war vorgeworfen worden, bei der Aufsicht „ihrer“ regionalen AOKen lascher zu agieren als dies das BVA bei den bundesweit geöffneten Kassen gemeinhin tue. Ländervertreter wie AOKen hatten das zurückgewiesen.

Auch Selektivverträge sind betroffen

Das bisherige Verbot der Diagnosevergütung in Verträgen der Kassen soll neu formuliert werden. Dadurch solle der „Beeinflussung des ärztlichen Kodierverhaltens durch die Kassen“ entgegengewirkt werden.

Betroffen sind davon auch Selektivverträge nach Paragraf 73b. Im Entwurf heißt es: „Vereinbarungen, die bestimmte Diagnosen als Voraussetzung für Vergütungen vorsehen, sind unzulässig.“ Bereits bestehende Verträge sind, versehen mit einer Frist, entsprechend anzupassen.

Scharfe Kritik an diesem Passus üben unter anderem die Partner der „Alternativen Regelversorgung“ in Baden-Württemberg.

Vertragliche Leistungen und deren Vergütung an bestimmte Diagnose zu binden sei „wesentliche Voraussetzung, um auf konkrete Patientenbeschwerden zugeschnittene Versorgungskonzepte erfolgreich anzubieten“, teilten die AOK Baden-Württemberg, der Fachärzteverband MEDI und der Hausärzteverband Baden-Württemberg am Mittwoch mit.

„Damit stehen die Alternative Regelversorgung und andere Selektivverträge am Abgrund“, sagte der Chef der AOK Baden-Württemberg, Dr. Christopher Hermann.

GKV-Spitzenverband bekommt neues Gremium

Auch die Strukturen des GKV-Spitzenverbands werden „weiterentwickelt“. Um einen regelmäßigen Austausch zwischen dem Vorstand des Kassenverbands und den Vorständen der Einzelkassen zu ermöglichen, soll ein neues Gremium („Lenkungs- und Koordinierungsausschuss“) installiert werden.

Dies, so heißt es im Entwurf, werde „zu mehr Transparenz bei versorgungsbezogenen Entscheidungen des Vorstandes des GKV-Spitzenverbandes führen und bei den Mitgliedskassen auch zu mehr Akzeptanz beitragen“.

Der Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbands wird ebenfalls reformiert. Sein ursprüngliches Vorhaben, die Vertreter der sozialen Selbstverwaltung – Arbeitgeber und Gewerkschafter – dort durch hauptamtliche Kassenvorstände zu ersetzen, hat Spahn zwar fallen gelassen.

Gleichwohl sieht der Reformentwurf eine „angemessene“ Repräsentanz von Frauen im Vorstand, im Lenkungs- und Koordinierungsausschuss sowie im Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbands vor.

Das Bundeskabinett könnte sich womöglich schon am 9. Oktober mit dem Entwurf befassen. Ob das Gesetz noch zu Beginn des kommenden Jahres in Kraft treten kann, ist aber fraglich.

SPD: Reform des Kassenausgleich dringend nötig

Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Sabine Dittmar, sagte der "Ärzte Zeitung" am Mittwoch, es sei gut, dass "die dringend benötigte Reform des Kassenausgleichs" ins parlamentarische Verfahren gehe.

Auslöser für die monatelange Verzögerung seien "umstrittene Vorschläge von Minister Spahn zum Organisationsrecht der Kassen" gewesen, die überdies gar nicht im Koalitionsvertrag von Union und SPD vereinbart gewesen seien. Es sei richtig, dass die Öffnung regionaler Kassen jetzt vom Tisch sei, so Dittmar.

Die Grünen-Sprecherin für Gesundheitspolitik, Maria Klein-Schmeink, sagte, es sei absehbar gewesen, dass Spahns Vorschlag einer bundesweiten Öffnung der AOKen von den Ländern einkassiert werde. "Da ging es wohl eher um Provokation als um Problemlösung."

Wir haben den Beitrag aktualisiert am 02.10.2019 um 15:10 Uhr.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Spahns Sperrminorität

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