Modellprojekt zeigt Wirkung
AOK will mehr rehabilitative Ansätze in der Pflege
Die AOK Rheinland/Hamburg fordert mehr Anreize für das Prinzip „Reha vor Pflege“. Das senke das Risiko für dauerhafte Pflege. Vorbild könne ein in zwei Mülheimer Altenheimen praktiziertes Therapiekonzept sein.
Veröffentlicht:Berlin. Vertreter der Krankenkassen haben strukturelle Reformen in der Pflege gefordert. Dabei sei auch der Grundsatz „Reha vor Pflege“ in den Blick zu nehmen, sagte das Vorstandsmitglied der AOK Rheinland/Hamburg, Matthias Mohrmann, bei der Vorstellung eines Konzepts zur therapeutischen Pflege in Altenheimen am Dienstag in Berlin.
Noch immer fehle es den Kassen an Anreizen, stärker in Leistungen zur Vermeidung von dauerhafter Pflege zu investieren, so Mohrmann. „Wir tun es trotzdem, aber wir tun uns als gesetzliche Krankenversicherung insgesamt schwer damit.“
Seit Jahren ein Ärgernis
Das Zusammenspiel von Reha und Pflege ist seit Jahren ein Ärgernis. Kritisiert wird, dass Anreize falsch gesetzt sind: So würden Krankenkassen betriebswirtschaftlich wider ihre Interessen handeln, wenn sie mehr in Leistungen zur Vermeidung von Pflege, sprich Reha, investierten. Nutznießer der Investitionen wäre ja die Pflege-, nicht die Krankenkasse.
Deswegen brauche es hier eine andere Lösung, betonte Mohrmann. „Die überzeugendste Lösung ist aus meiner Sicht, die soziale Pflegeversicherung auszubauen und dort alle notwendigen Leistungen – also Pflege, Therapie und Rehabilitation – zusammenzuführen.“
Der Gesetzgeber sei aufgerufen, die rechtlichen Grundlagen für mehr Reha in der Pflege zu schaffen. Nur über neue Geldquellen für die Pflegeversicherung nachzudenken, reiche nicht. Klar sei, dass die Pflegekosten weiter stiegen. Eine höhere Eigenbeteiligung der Pflegebedürftigen sei zu verhindern.
„Teils widersprüchliche Anreize“
Grundsätzlich seien vorhandene Mittel gezielter einzusetzen, forderte Mohrmann. „Wir können schlechte Kosten vermeiden.“ Ganzheitlich könne eine Versorgung pflegebedürftiger Menschen nur sein, „wenn sie nicht aus verschiedenen Quellen gespeist wird, die jeweils noch eigene Regelwerke und eigene, teils widersprüchliche Anreizsysteme haben“.
„Rehabilitative Ansätze bei Pflegeheimbewohnern senken die Krankheitslast und die Kosten für das Gesundheitssystem“, pflichtete der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie, Professor Michael Rapp, bei. Rapp verwies auf die Evaluation eines Konzepts zur therapeutischen Pflege, das in den Heimen der Evangelischen Altenhilfe in Mülheim an der Ruhr zur Anwendung kommt.
Dank der rehabilitativen Anteile sei das Konzept gegenüber Vergleichsheimen „kosteneffizient und effektiv“, so Rapp. Ziel müsse sein, rehabilitative Ansätze im Pflegeheim bundesweit zu implementieren. Noch immer verblieben etwa 40 Prozent der älteren Patienten in der Kurzzeitpflege nach einem Klinikaufenthalt dauerhaft im Heim.
Rückkehr ins eigene Zuhause
Kernelement des Therapiekonzepts der beiden Pflegeheime in Mülheim ist ein interdisziplinäres Konsil, dem jeder Bewohner nach Aufnahme unterzogen wird. „Wir schauen zusammen mit Ärzten, Apothekern, Pflegekräften und Therapeuten, welche Therapie für den Einzelnen die beste ist und wie diese in den Pflegealltag implementiert werden kann“, sagte Pflegedienstleiter Oskar Dierbach.
Dabei gebe der Pflegebedürftige mit seiner Tagesform die Taktung des therapeutischen Handelns vor. „Der Pflegebedürftige bestimmt, wie viel er kann und wann er kann.“ Aufgabe der Pflegekräfte sei es, zu motivieren und zu beobachten, so Dierbach.
Nahziele einer Therapie könnten die schleichende Reduktion von Sedativa und Psychopharmaka unter fachärztlicher Aufsicht, eine ausreichende Versorgung mit Flüssigkeit und Nahrung, Mobilisation oder die Stärkung eines gesunden Tag-Nacht-Rhythmus sein, so Dierbach. Langfristiges Ziel sei es, den Senioren die Rückkehr ins eigene Zuhause zu ermöglichen.
Zu den „Hauptgewinnern“ des Konzepts gehörten auch die Pflegekräfte, betonte Dierbach. Sie machten die Erfahrung, älteren Menschen „wirklich dienen“ zu können. „Es lohnt sich, weil es Sinn stiftet und weil es Freude macht.“