Organspende

Abgeordnete uneins über Widerspruchslösung

Gibt es in Deutschland bald eine Widerspruchslösung beim Thema Organspende? Politiker von Union und SPD forcieren offenbar eine Reform.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Organspende-Ausweise: In Deutschland fehlen viele Organspender.

Organspende-Ausweise: In Deutschland fehlen viele Organspender.

© Jens Kalaene / dpa

BERLIN. Die Herzchirurgin und Bundestagsabgeordnete Professor Claudia Schmidtke (CDU) hat sich hinter Initiativen gestellt, die Zahl an Organspendern in Deutschland zu erhöhen.

Dafür setze sie sich seit ihrem Einzug in den Bundestag im vergangenen Herbst intensiv ein, hat Schmidtke mitgeteilt.

Konkret präferiere Schmidtke eine Widerspruchslösung, teilte ihr Büro am Montag der "Ärzte Zeitung" mit. Die bedeute, dass jeder Bürger des Landes automatisch als Organspender registriert wird, wenn er nicht zu Lebzeiten widerspricht.

Derzeit gilt in Deutschland die Entscheidungslösung. Das heißt, dass nur der ein potentieller Organspender ist, der ausdrücklich zugestimmt und das im Organspendeausweis auch dokumentiert hat.

Im vergangenen Jahr haben 769 Menschen - und damit erstmals weniger als 800 - ihre Organe zur Verfügung gestellt (siehe nachfolgende Grafik).

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Mehr als 10000 Menschen warten nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) auf ein Spenderorgan (siehe nachfolgende Grafik).

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Fachleute warnen vor sinkender Qualität in Deutschland

Der Tiefststand führe auch dazu, dass Deutschland auf diesem wichtigen Feld absehbar auf eine schlechtere Versorgungsqualität als in anderen Ländern zusteuere, sagte Schmidtke.

Fachleute warnen seit geraumer Zeit vor sinkender Qualität bei Organtransplantationen in Deutschland. Immer weniger Ärzte könnten Erfahrungen mit der anspruchsvollen medizinisch-chirurgischen Materie machen.

Zudem seien die Spenderorgane in Deutschland oft schon so alt, dass sie in anderen Ländern nicht mehr transplantiert würden. Im Grunde müsse man Organempfänger auf diesen Missstand aufmerksam machen, hieß es dazu am Montag aus Unionskreisen.

Die niedrige Zahl an Organspendern führt in den mehr als 1300 Entnahmekliniken im Land zu einem sich verengenden Erfahrungshorizont. Wenn in den meisten Kliniken nur alle fünf bis sechs Jahre Organe entnommen würden, fehle es einfach an Erfahrung, sagte der Medizinische Vorstand der DSO, Alex Rahmel, bereits vor mehr als zwei Jahren.

An diese Argumentation knüpft ganz aktuell Dr. Kirsten Kappert-Gonther an, Ärztin und eine der gesundheitspolitischen Sprecherinnen der Fraktion der Grünen.

Die Ursache für den Mangel an Spenderorganen sei darin zu suchen, dass potentielle Spender zu selten identifiziert und gemeldet würden.

Die Abläufe in den Kliniken müssten so verbessert werden, dass potenzielle Organspender rechtzeitig erkannt werden könnten. Dafür müssten die Transplantationsbeauftragten von sonstigen Pflichten freigestellt werden.

Spahn bereitet Gesetzentwurf vor

Diesen Ansatz haben Union und SPD auch in den Koalitionsvertrag geschrieben. Unterstützt werden soll die Bereitschaft der Krankenhäuser, Organspender zu identifizieren, durch Vergütungsanreize.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bereitet einen Gesetzentwurf für diesen Herbst vor, der die Prozesse in den Kliniken zu Thema machen soll. Dieser Fahrplan wird von einem Großteil der Gesundheitspolitiker der Unionsfraktion unterstützt.

Pläne, zur Widerspruchslösung zu wechseln, finden sich im Koalitionsvertrag nicht. Gesundheitspolitiker von Union und SPD gehen gleichwohl bereits weiter und haben vorsorglich ihre Unterstützung für eine "doppelte Widerspruchslösung" angekündigt. Dabei wird vor der Organentnahme zusätzlich Angehörigen das Recht eingeräumt zu widersprechen.

SPD-Fraktions-Vize Professor Karl Lauterbach hat sich als "Politiker und Arzt" für eine Widerspruchslösung ausgesprochen. Nur so sei der Quantensprung möglich, den wir bei den Spenderzahlen bräuchten, sagte er im Mai dem "epd".

Dass eine Widerspruchslösung automatisch zu mehr Organspenden führe, bezweifelt hingegen Lauterbachs Fraktionskollegin Hilde Mattheis. Zur Optimierung der Prozesse in den Kliniken müsse auch die Aufklärung der Bevölkerung treten, um die Organspende voranzubringen.

Auch Kappert-Gonther von den Grünen hält einen Schwenk zur Widerspruchslösung für einen tiefgreifenden Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht.

Wir haben den Artikel aktualisiert am 27.8.2018 um 15:56 Uhr.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Jens Spahn ist am Zug

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Kommentare
Dr. Alexander Türstig 28.08.201811:31 Uhr

Doppelter Widerspruch

Die Würde des Menschen ist unantastbar, so steht es in Art.1 GG. Wie kann da ein Gesetzgeber einfach besitzergreifend auf die Organe eines gehirntoten Menschen (hirntot sind Tiere) zugreifen? Im übrigen liegt der Rückgang freiwilliger Spenderorgane wohl vor allem daran, dass sich die Organentnahme finanziell nicht lohnt, sie ist für Gelddruckende Klinikkonzerne unökonomisch. Wenn dann auch noch Angehörige einer Organentnahme widersprechen dürfen, bekommen Sie überhaupt keine Spenderorgane mehr. Politiker sollten die Bürger nicht entmündigen sondern aufklären und zu mehr Selbstbestimmung ermutigen, z.B. auch Sterbehilfe erlauben. Das Leben hat nicht nur einen Anfang sondern auch ein Ende.

Dr. Thomas Georg Schätzler 28.08.201811:20 Uhr

Unehrlichkeit und Orientierungslosigkeit in der Transplantationsmedizin?

Hauptproblem mangelnder Organspende-Bereitschaft ist m. E. eine zunehmende Unehrlichkeit und Orientierungslosigkeit in der gesellschaftspolitischen Debatte über die bio-psycho-sozialen Auswirkungen der Transplantationsmedizin.

Es ist einfach unwahr, dass es bei möglichst lebensfrischen, transplantablen Spenderorganen mit zu Recht geforderten, guten Erfolgsaussichten bei den Organempfängern eine "Postmortale Organspende" gibt: Die hier in der Ärzte Zeitung dargestellte "Entwicklung der Zahl der postmortalen Organspender - und der gespendeten Organe. Die Zahlen beziehen sich auf Deutschland und stammen von Eurotransplant. Zahlen von 2008 bis 2017" beziehen sich m. E. ausschließlich auf
p e r i m o r t a l e Organspenden!

Die verantwortlichen Fachärzte-Teams, die den Hirntod feststellen sollen, bzw. die Organ-Ex- und Implanteure, deren chirurgisch-fachliche Qualifikation ich keinesfalls angreifen möchte, bewegen sich auf dem schmalsten Grat zwischen Leben und Tod, wo es um Minuten zwischen Hirntodfeststellung, Entscheidungsfindung und Transplantations-Geschehen geht.

"Mehr Organspende-Bereitschaft wagen"?
Wenn man "Mehr Organspende-Bereitschaft wagen" will, geht das nur mit Stetigkeit, Beharrlichkeit, Überzeugungskraft, Selbst-Reflexion, Nachhaltigkeit, Perspektive, Mut u n d Offenheit. In einer säkularen Gesellschaft sind eine "Wiedergeburt" (Prof. E. Nagel) ebenso wie eine "moralisch-ethische Pflicht zur Organspende" oder ein "Ja" oder "Nein" ebenso spekulativ wie appellativ.

Allein die Diskussion um eine reine "Widerspruchslösung", nach der Jede(r) quasi von Geburt an potentieller Organspender sei und bleiben solle, wenn er nicht energisch widerspräche, reflektiert einen der verfassten Demokratie unwürdigen Fundamentalismus.

Und bei allem Respekt, auch wenn die bisherige erweiterte Zustimmungslösung von einer breiten Mehrheit im Deutschen Bundestag durch die Erklärungs- und Entscheidungslösung ersetzt wurde, muss die Bereitschaft zur Organspende durch flankierende Maßnahmen verbessert werden. Denn wenn auch nur der Hauch von Diskriminierung spendenunwilliger Befragter entsteht, bricht die Organspende-Bereitschaft zusammen.

Doch wie stehen Wissenschaft, Politik, Öffentlichkeit und Ärzteverbände zu den mittlerweile 20 Jahre alten, geringfügig modifizierten Hirntodkriterien der BÄK?

Was ist mit der privatrechtlichen Konstruktion von Eurotransplant?

Wieso gibt es Vorwürfe bei Organvergaben und der Organisation der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO)?

Wie groß ist die Bereitschaft, sich mit Problemen derer auseinanderzusetzen, die in Pflege, ärztlichem Dienst und Logistik den Sterbeprozess bei hirntoten Patienten aufhalten müssen, um nach der operativen Organentnahme die Apparatemedizin abzuschalten und Alles wegräumen zu müssen?

Das moralisch-ethische Dilemma bleibt: Die Entnahme möglichst vitaler Organe beim unwiderruflichen Sterbeprozess lässt sich nicht in jedem Einzelfall für alle Beteiligten befriedigend lösen. Unsere Patienten haben nun mal Angst, dass ihr Leben u. U. verkürzt wird, um möglichst vitale Spenderorgane zu erlangen.

Der Transplantations-Medizinbetrieb präsentiert allzu gerne seine operativen Explantations- und Transplantationshelden. Doch die Schattenseiten der Erfolgsquoten wie Komplikationen, Spenderorganversagen, Transplantatabstoßung werden keineswegs so transparent präsentiert. Die Öffentlichkeit glaubt doch, die wenigen zur Verfügung stehenden Organe würden ausnahmslos alle neues Leben schenken können.

Sozialpsychologisch begründetes Denken, Fühlen, Wollen und Handeln werden in der Transplantationsmedizin in modernen aufgeklärten "postindustriellen Gesellschaften“ nicht ausreichend im gesamtgesellschaftlichen Diskurs kommuniziert. Das führt zum entscheidend dramatischen Rückgang der Organspende-Bereitschaft.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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