Organspende
Abgeordnete uneins über Widerspruchslösung
Gibt es in Deutschland bald eine Widerspruchslösung beim Thema Organspende? Politiker von Union und SPD forcieren offenbar eine Reform.
Veröffentlicht:BERLIN. Die Herzchirurgin und Bundestagsabgeordnete Professor Claudia Schmidtke (CDU) hat sich hinter Initiativen gestellt, die Zahl an Organspendern in Deutschland zu erhöhen.
Dafür setze sie sich seit ihrem Einzug in den Bundestag im vergangenen Herbst intensiv ein, hat Schmidtke mitgeteilt.
Konkret präferiere Schmidtke eine Widerspruchslösung, teilte ihr Büro am Montag der "Ärzte Zeitung" mit. Die bedeute, dass jeder Bürger des Landes automatisch als Organspender registriert wird, wenn er nicht zu Lebzeiten widerspricht.
Derzeit gilt in Deutschland die Entscheidungslösung. Das heißt, dass nur der ein potentieller Organspender ist, der ausdrücklich zugestimmt und das im Organspendeausweis auch dokumentiert hat.
Im vergangenen Jahr haben 769 Menschen - und damit erstmals weniger als 800 - ihre Organe zur Verfügung gestellt (siehe nachfolgende Grafik).
Mehr als 10000 Menschen warten nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) auf ein Spenderorgan (siehe nachfolgende Grafik).
Fachleute warnen vor sinkender Qualität in Deutschland
Der Tiefststand führe auch dazu, dass Deutschland auf diesem wichtigen Feld absehbar auf eine schlechtere Versorgungsqualität als in anderen Ländern zusteuere, sagte Schmidtke.
Fachleute warnen seit geraumer Zeit vor sinkender Qualität bei Organtransplantationen in Deutschland. Immer weniger Ärzte könnten Erfahrungen mit der anspruchsvollen medizinisch-chirurgischen Materie machen.
Zudem seien die Spenderorgane in Deutschland oft schon so alt, dass sie in anderen Ländern nicht mehr transplantiert würden. Im Grunde müsse man Organempfänger auf diesen Missstand aufmerksam machen, hieß es dazu am Montag aus Unionskreisen.
Die niedrige Zahl an Organspendern führt in den mehr als 1300 Entnahmekliniken im Land zu einem sich verengenden Erfahrungshorizont. Wenn in den meisten Kliniken nur alle fünf bis sechs Jahre Organe entnommen würden, fehle es einfach an Erfahrung, sagte der Medizinische Vorstand der DSO, Alex Rahmel, bereits vor mehr als zwei Jahren.
An diese Argumentation knüpft ganz aktuell Dr. Kirsten Kappert-Gonther an, Ärztin und eine der gesundheitspolitischen Sprecherinnen der Fraktion der Grünen.
Die Ursache für den Mangel an Spenderorganen sei darin zu suchen, dass potentielle Spender zu selten identifiziert und gemeldet würden.
Die Abläufe in den Kliniken müssten so verbessert werden, dass potenzielle Organspender rechtzeitig erkannt werden könnten. Dafür müssten die Transplantationsbeauftragten von sonstigen Pflichten freigestellt werden.
Spahn bereitet Gesetzentwurf vor
Diesen Ansatz haben Union und SPD auch in den Koalitionsvertrag geschrieben. Unterstützt werden soll die Bereitschaft der Krankenhäuser, Organspender zu identifizieren, durch Vergütungsanreize.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bereitet einen Gesetzentwurf für diesen Herbst vor, der die Prozesse in den Kliniken zu Thema machen soll. Dieser Fahrplan wird von einem Großteil der Gesundheitspolitiker der Unionsfraktion unterstützt.
Pläne, zur Widerspruchslösung zu wechseln, finden sich im Koalitionsvertrag nicht. Gesundheitspolitiker von Union und SPD gehen gleichwohl bereits weiter und haben vorsorglich ihre Unterstützung für eine "doppelte Widerspruchslösung" angekündigt. Dabei wird vor der Organentnahme zusätzlich Angehörigen das Recht eingeräumt zu widersprechen.
SPD-Fraktions-Vize Professor Karl Lauterbach hat sich als "Politiker und Arzt" für eine Widerspruchslösung ausgesprochen. Nur so sei der Quantensprung möglich, den wir bei den Spenderzahlen bräuchten, sagte er im Mai dem "epd".
Dass eine Widerspruchslösung automatisch zu mehr Organspenden führe, bezweifelt hingegen Lauterbachs Fraktionskollegin Hilde Mattheis. Zur Optimierung der Prozesse in den Kliniken müsse auch die Aufklärung der Bevölkerung treten, um die Organspende voranzubringen.
Auch Kappert-Gonther von den Grünen hält einen Schwenk zur Widerspruchslösung für einen tiefgreifenden Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht.
Wir haben den Artikel aktualisiert am 27.8.2018 um 15:56 Uhr.
Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Jens Spahn ist am Zug