Abschaffung der Regresse fällt aus
Bei den Arznei- und Heilmittelverordnungen gibt es künftig mehr Rechtssicherheit für Vertragsärzte. Die Regressgefahr ist aber nicht endgültig gebannt.
Veröffentlicht:
Regress anfechten: In Zukunft seltener notwendig.
© [M] Steinach / imago
Die Abschaffung der Regresse bei Überschreitung der Richtgrößen war eines der wichtigsten Ziele der Kassenärztlichen Bundesvereinigung für das GKV-Versorgungsstrukturgesetz.
Noch-KBV-Vize Dr. Carl-Heinz Müller knüpfte gar sein politisches Schicksal an die Erreichung dieses Zieles.
Doch wollte die Bundesregierung nicht endgültig auf das Steuerungsinstrument der Regressdrohung verzichten. Insofern standen die Ärzte mit ihrer Forderung von vornherein auf verlorenem Posten.
Dennoch werden im Gesetz die Regressängste der Vertragsärzte berücksichtigt, der einschlägige Paragraf 106 zur Wirtschaftlichkeitsprüfung ist so geändert worden, dass Ärzte, die erstmals ihre Richtgrößen überschreiten, nicht mehr gleich vom Regresshammer voll getroffen werden können.
Die wichtigsten Regelungen im Einzelnen:
Beratung vor Regress
Ärzte, die zum ersten Mal die Richtgrößen um mehr als 25 Prozent überschreiten, haben nun einen Rechtsanspruch auf eine Beratung.
Richtgrössen
Die Richtgrößen sind die Orientierungsmarken für Vertragsärzte, ursprünglich bei der Verordnung von Arznei- und Verbandmitteln. Inzwischen gibt es auch Richtgrößen für Heilmittel. Die Richtgrößen werden jeweils zum 15. November für das kommende Jahr zwischen KVen und Krankenkassen vereinbart. Dabei orientiert sich eine Richtgröße nicht am Bedarf der Patienten. Sie werden vielmehr festgelegt als Durchschnittswerte unter Berücksichtigung der getroffenen Arzneimittelvereinbarung. Bei einer Überschreitung der Richtgröße um 15 Prozent werden Vertragsärzte beraten. Bei einer Überschreitung um 25 Prozent müssen Ärzte den Mehraufwand, der den Krankenkassen entsteht, bisher erstatten, so weit er nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Im GKV-VStG ist jetzt festgelegt, dass es vor der ersten Regresszahlung einen Rechtsanspruch auf Beratung gibt.
"Die Soll-Vorschrift für eine Beratung vor Regress, die vorher im Gesetz stand, ist von den Prüfungsgremien häufig nicht beachtet worden", erläutert Rechtsanwalt Jan Daniel Moeck von der Kanzlei Dierks + Bohle in Berlin.
Insofern sei das ein echter Fortschritt. Die Regelung betrifft nach seiner Auffassung alle Richtgrößenprüfungen vom kommenden Jahr an. Damit seien auch bereits Verordnungen im Jahr 2010 davon erfasst, die im kommenden Jahr geprüft werden.
Ob auch Verfahren im Beschwerdeausschuss oder vor Gericht schon nach neuem Recht entschieden werden, sei schwer zu beurteilen. Auch die Umsetzung bei künftigen Überschreitungen sei noch nicht endgültig geklärt, meint Moeck.
Nach seiner Auffassung wird das Verfahren in Zukunft so ablaufen, dass Ärzte, die erstmals auffällig werden, innerhalb von zwei Jahren eine Beratung erhalten. Bis zum Abschluss des Jahres mit Beratung gilt eine Karenz, weil ja die Beratung noch nicht stattgefunden hat.
Ein Verfahren bei erneuter Überschreitung könnte also frühestens für das dann folgende Jahr eröffnet werden. Und dann greife die durch das AMNOG eingeführte Regelung, dass ein erstmaliger Regress höchstens 25.000 Euro betragen darf. Es bleibt Ärzten also Zeit zu reagieren, bevor sie vom Regress getroffen werden können.
In der Beratung, empfiehlt der Rechtsanwalt, sollten die Praxisbesonderheiten auf jeden Fall vorgelegt werden. Und ein schriftliches Ergebnis der Beratung nach Vorlage der Besonderheiten sollte der Arzt ebenfalls einfordern, damit er später in einem möglichen Verfahren etwas in der Hand hat.
Erleichterungen bei Heilmitteln
Versicherte mit langfristigem Behandlungsbedarf haben jetzt die Möglichkeit, sich Heilmittel wie Logopädie oder Ergotherapie von der Krankenkasse für einen längeren Zeitraum genehmigen zu lassen.
Welche chronischen Krankheiten darunter fallen, entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss. Vorteil für Ärzte: Die genehmigten Heilmittel fallen aus der Wirtschaftlichkeitsprüfung heraus. "Ärzte sollten also dafür sorgen, dass Patienten sich die Genehmigungen für die Heilmittel auch besorgen", so Moeck.
Die Regelung der Praxisbesonderheiten bei Heilmitteln ist dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der KBV bis 30. September 2012 aufgegeben.
Ziel ist eine bundeseinheitliche Regelung. Nach den Erfahrungen Moecks sieht die Verfahrenspraxis bisher je nach Region sehr unterschiedlich aus.