Beurteilung der Berufsfähigkeit
Ärzte mahnen neuen Blick auf Berufswahl von Diabetikern an
An Diabetes erkrankte Menschen bestimmte Berufswege pauschal zu versagen, sei „brisant“ – und zumeist auch unbegründet , betont die Deutsche Diabetes Gesellschaft.
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Eine junge Frau unterhält sich bei einem Berufsinformationstag mit einem Polizisten (Archivbild). Ein Beruf, von dem Diabetespatienten früher eher abgeraten wurde. Doch mittlerweile hat sich die Sicht der Betriebsärzte und Arbeitgeber geändert.
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Berlin. Als Frau oder Mann mit Diabetes bei Polizei, Feuerwehr oder Zoll arbeiten? Oder als Pilot oder Dachdecker? Undenkbar, meinen viele und verweisen unter anderem auf das Hypoglykämierisiko, das ein an Diabetes erkrankter Mensch auch im Berufsleben ständig mit sich herum trage. Das schränke die Berufswahl ein.
Tatsächlich spielen Fragen zur Eigen- und Fremdgefährdung von Diabetikern in solchen und ähnlichen Berufen regelmäßig eine Rolle. Diabetologen raten indes zu einem differenzierten Herangehen. Im Fokus sollten „Chancen und Möglichkeiten, nicht Verbote und Einschränkungen“ stehen.
„Dies gilt sowohl für den Typ-1- als auch den Typ-2-Diabetes“, betont der Vize-Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), Professor Andreas Neu.
Paradigmenwechsel bei der Auswahl
„Statistisch gesehen finden sich weniger Arbeitsunfälle bei Menschen mit Diabetes als in der Gesamtbevölkerung“, sagt Neu mit Verweis auf Versichertendaten der Krankenkassen von 2017. Diese Daten zeigten: „Eine pauschale Beurteilung der Berufsfähigkeit allein wegen der Diagnose Diabetes ist nicht angemessen.“
Während früher Ausschluss- oder Verbotslisten Grundlage für die Beurteilung der Berufsfähigkeit von Diabetikern gewesen seien, urteilten Arbeitgeber und Betriebsärzte heute stärker je nach Situation und Gesundheitszustand des Bewerbers. Diabetologe Neu spricht von einem „Paradigmenwechsel“, der stattgefunden habe. Mit Blick auf die Berufswahl bei Patienten mit Diabetes gelte inzwischen: „Nichts ist unmöglich.“
In der arbeitsmedizinischen Beurteilung seien vor allem drei Aspekte von Bedeutung, betont Neu. „Erstens die Tätigkeit, zweitens der Arbeitsplatz und drittens die krankheitsspezifischen Risiken oder die gesundheitlichen Einschränkungen.“
Hypoglykämie nicht gleichsetzen mit höherem Unfallrisiko
Eine besondere Rolle beim Diabetes spiele natürlich die Gefahr der Hypoglykämie, sagt Neu. Forscher aus Schottland hätten allerdings schon 2005 nachgewiesen, dass schwere Unterzuckerungen am Arbeitsplatz eher selten seien. Reduziert werde dieses Risiko durch neue medizintechnologische Entwicklungen.
So seien Sensoren zur kontinuierlichen Glukosemessung verfügbar, die bei raschem Blutzuckerabfall sofort Alarm schlügen. Ein Hypoglykämierisiko sei auch nicht gleichzusetzen mit einem Unfallrisiko, betont Diabetologe Neu.
Außer der Gefahr von Akutkomplikationen wie schweren Hypoglykämien seien bei der Begutachtung der Berufseignung auch „Kompensationsmöglichkeiten“ zu beachten. „Hierzu zählen etwa langjährige Erfahrungen oder vorausschauendes Handeln.“
Recht auf Teilhabe im Berufsleben
Selbstverständlich würden auch für Menschen mit Diabetes Vorschriften zur Unfallverhütung am Arbeitsplatz gelten, betont Neu. Arbeitsmediziner hätten aber bereits 2010 herausgefunden, dass in der Regel nicht der Diabetes Ursache eines Absturzes bei Dachdeckern oder Zimmerern sei, sondern die Nichteinhaltung der jeweiligen Arbeitsvorschriften.
„Das Recht auf Teilhabe gilt auch im Berufsleben“, betont Neu. Dennoch würden bei der Beurteilung der Berufstauglichkeit von Diabetikern noch teilweise „veraltete Regelungen“ angewandt. Das sei aber auch deshalb „brisant“, da immer mehr Menschen mit Diabetes im Arbeitsprozess stünden: „Sowohl Inzidenz als auch Prävalenz des Diabetes steigen, das Renteneinstiegsalter ist nach oben gerückt und die Lebenserwartung von Menschen mit Diabetes hat sich verbessert.“ All dies hätten Arbeitgeber wie Betriebsärzte zu berücksichtigen.