Frankreich
Ärzteproteste gehen in die zweite Runde
Die Ärzte in Frankreich laufen weiterhin Sturm gegen die geplanten Gesundheitsreformen. Jetzt kriegen die Kassen ihr Fett weg.
Veröffentlicht:PARIS. Nachdem die Ärzte in Frankreich zwischen dem 23. Dezember und 5. Januar massiv, aber erfolglos gestreikt haben, greifen sie nun zu originelleren Methoden, um gegen die Reformpolitik der Regierung zu kämpfen.
Die Sozialministerin Marisol Touraine plant, das traditionelle Kostenerstattungsprinzip durch ein Sachleistungssystem zu ersetzen.
Verbände von niedergelassenen Ärzten sind aber überzeugt, dass nur das Kostenerstattungsprinzip den Arztberuf als freien Beruf sichern könne.
Sie fürchten die Bürokratie, die mit der Einführung des Sachleistungsprinzips verbunden wäre.
Da die Sozialministerin Touraine trotz des Streiks an ihrem Entwurf festhält, wollen die Ärzte jetzt versuchen, die Krankenkassen in Frankreich mit einer "Papier- und Bürokratie-Welle" zu überfluten.
Abrechnung nur auf Papier
Für diese Aktion wollen sie nur noch "traditionell", das heißt ohne EDV und E-Karten arbeiten. Konkret bedeutet das, dass Ärzte die seit 1998 eingeführte E-Patientenkarte "Vitale" nicht mehr akzeptieren werden.
Normalerweise zeigt in Frankreich der Patient dem Arzt seine Karte vor, bezahlt die Behandlung und bekommt etwa fünf Tage später den Betrag von der Krankenkasse zurück.
Jetzt wird der Arzt wie vor der Einführung der E-Patientenkarte einen Krankenschein auf Papier ausfüllen. Der Patient wird ihn per Post an die Kasse schicken müssen.
Da die Kassen im Gegensatz zu früher kaum noch Personal für die Erfassung solcher handschriftlichen Krankenscheine haben, werde sich, so das Kalkül der Ärzte, sehr wahrscheinlich die Rückerstattung um Wochen oder sogar Monate verschieben.
Darüber hinaus wollen die Ärzte keine elektronischen Briefe oder Dokumente mehr an die Kassen schicken. Auch dies soll nur noch per Post geschehen.
Um diejenigen Patienten nicht zu benachteiligen, die auf eine rasche Rückerstattung angewiesen sind, versprechen Ärzteverbände, das moderne "Vitale"-Verfahren weiterhin zu nutzen.
Hollandes Wahlkampfversprechen
Der Streik und die Diskussion um das Ende des Kostenerstattungsprinzip ist in Frankreich politisch hochsensibel: Staatspräsident François Hollande hatte 2012 im Wahlkampf versprochen, das Sachleistungsprinzip für alle ärztliche Leistungen einzuführen.
Zwar werden in Frankreich schon viele Patienten nach diesem Modell versorgt, dafür aber müssen Ärzte einen hohen Verwaltungsaufwand in Kauf nehmen, um ihre Honorare von der Krankenkasse nach der Behandlung zu bekommen.
Dieses Verfahren, auf französisch "Tiers payant" genannt, betrifft vor allem ärmere Patienten: Ärzte sind nicht verpflichtet, nach diesem Modell zu arbeiten. Sie machen dies aus Kulanz zugunsten bedürftiger Patienten.
Sie weigern sich, das "Tiers Payant"-Modell allen Patienten anzubieten, weil die meisten von ihnen in der Lage seien, zuerst den Arzt zu bezahlen und einige Tage später das Geld von der Kasse zurück zu bekommen.
Personal für Abrechnung fehlt
In Frankreich gibt es keine Institutionen wie zum Beispiel Kassenärztlichen Vereinigungen, die für die Abrechnung und die Verteilung des Honorars zuständig sind.
Jeder Arzt rechnet selbstständig ab und wird von dem Patienten nach jeder Konsultation sofort bezahlt.
Würden alle Patienten nach dem Sachleistungsprinzip behandelt, nähme der Verwaltungsaufwand für Ärzte dramatisch zu, lautet eine Kritik an den Regierungsvorhaben. Auch deshalb, weil es dafür an Praxispersonal fehle.
Laut Umfragen zeigen rund 60 Prozent der Franzosen für die Protestaktionen der Ärzte Verständnis und unterstützen sie.