Priorisierung der Corona-Impfungen
Ärzteverbände kritisieren STIKO-Empfehlungen scharf
Wer soll zuerst gegen COVID-19 geimpft werden? Die vorläufigen Empfehlungen der STIKO stoßen bei vielen Ärzten und Medizinstudierenden auf Kritik. Ein geteiltes Echo lösen sie bei Pflege- und Patientenvertretern aus.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Berlin. Ärzte und Medizinstudierende haben Nachbesserungen an den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) zur Priorisierung der Impfungen gegen Corona gefordert.
Personal des ambulanten Notdienstes und der vertragsärztlichen Praxen seien ebenfalls als „prioritär zu impfende Kohorte“ einzustufen, sagte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Stephan Hofmeister, am Mittwoch.
Insbesondere bei der Behandlung unbekannter Patienten, deren Vorgeschichte und Diagnosen der Arzt nicht kenne, liege ein erhebliches Infektionsrisiko vor, so Hofmeister. „Ein drohender Ausfall von ambulantem Notdienst und Praxen hätte katastrophale Auswirkungen auf den Verlauf der Pandemie“, warnte der KBV-Vize.
Die STIKO-Beschlussvorlage für eine Liste mit Personen, die zuerst gegen Corona geimpft werden sollen, war am vergangenen Montag bekannt geworden. Medizinische Fachgesellschaften sollen dazu bis Donnerstag dieser Woche Stellung beziehen.
Beschlussentwurf
STIKO-Entwurf: Corona-Impfung zunächst nur für bestimmte Ärzte
Praxispersonal darf nicht „auf hinteren Bänken sitzen“
Scharfe Kritik an den STIKO-Empfehlungen kam auch vom Hartmannbund. Es mute geradezu paradox an, wenn Ärzte per Attest aktiv in die Priorisierung eingreifen sollten, ihnen selber bei der Impf-Reihenfolge aber „ein Platz auf den hinteren Bänken“ zugewiesen werde, sagte der Vorsitzende des Hartmannbunds, Dr. Klaus Reinhardt, am Mittwoch.
Die vergangenen Monate hätten klar gezeigt, dass der ambulante Sektor bei der Bewältigung der Pandemie eine „entscheidende Rolle“ spiele. „Dieser Tatsache muss auch die Empfehlung einer STIKO gerecht werden.“
Zuvor hatte der Chef des Virchowbundes, Dr. Dirk Heinrich, gefordert, auch das Personal des kassenärztlichen Notdienstes sowie das in niedergelassenen Praxen frühzeitig gegen Corona zu impfen. Dort fänden immerhin rund 94 Prozent aller Corona-Abstriche statt. Dies werde von der STIKO völlig ausgeblendet.
„Erneut hält die von universitärer Expertise dominierte Ausarbeitung einem Praxistest in der Versorgung nicht stand“, sagte Heinrich. Anders sei nicht zu erklären, dass die Kommission nicht berücksichtige, was Vertragsärzte in der Corona-Pandemie leisteten.
Kritik von Medizinstudierenden
Ebenfalls verärgert zeigte sich die Bundesvertretung der Medizinstudierenden (bvmd). Diese tauchten auf der Priorisierungsliste bislang überhaupt nicht auf, obwohl sie ebenfalls in die Gesundheitsversorgung involviert seien.
Insbesondere Medizinstudierende, die im Praktischen Jahr (PJ) am Ende des Studiums intensiv in der Patientenbetreuung eingebunden seien, sowie Studierende, die im Rahmen von Hilfseinsätzen oder Nebenjobs einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt seien, müssten ebenfalls die Chance erhalten, sich frühzeitig gegen SARS-CoV-2 impfen zu lassen.
„In der Versorgung tätige Studierende müssen medizinischem Personal in der Impf-Priorisierung gleichgestellt sein“, sagte Felix Beetz, Bundeskoordinator für Gesundheitspolitik und Vorstandsmitglied der bvmd, am Mittwoch. „Andernfalls droht aufgrund des hohen Übertragungspotenzials eine reale Gefahr für die Patientensicherheit und die Gesundheit der Studierenden.“
Auch andere Medizinstudierende, die bei praktischen Lehreinheiten in Kontakt mit Patienten kämen, sollten in der Priorisierung berücksichtigt werden.
DGGPP: Personal in der Gerontopsychiatrie nicht vergessen
Die Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie (DGGPP) forderte, außer hochbetagten Patienten auch Ärzte und Pflegekräfte in gerontopsychiatrischen Kliniken und Einrichtungen in die STIKO-Empfehlungen aufzunehmen. Gerontopsychiater behandelten oft besonders vulnerable Patienten, die größtenteils älter als 80 oder sogar 90 Jahre seien, sagte DGGPP-Präsident Professor Michael Rapp.
Die Patienten rekrutierten sich zu einem Großteil aus Bewohnern der Senioreneinrichtungen, betonte Rapp. „Die Behandlungszeiträume sind dabei häufig erheblich länger als in somatischen Kliniken.“
Acht Millionen Menschen auf einer Prioritätenstufe
Zweifel an den STIKO-Vorschlägen äußerte auch der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch: „Über acht Millionen Menschen scheinbar gleichberechtigt bei der Priorität auf Nummer eins zu setzen, kann nicht funktionieren. Deshalb müssen zunächst die Pflegebedürftigen und Schwerstkranken die Chance auf eine Impfung bekommen. Erst danach sind Menschen an der Reihe, die in medizinischen und pflegerischen Bereichen arbeiten“, sagte Brysch der „Ärzte Zeitung“.
Wenn die Regierung jetzt von der Empfehlung der Leopoldina und des Ethikrats abweiche, mache das Pflegebedürftige schnell zu Verlierern im Kampf um die erste Impfung.
Pflegerat und Kinderärzte äußern Verständnis
Ganz anders äußerte sich der Präsident des Deutschen Pflegerats, Dr. Franz Wagner: „Der Entwurf der STIKO basiert auf dem aktuellen Kenntnisstand und ist sachlich gut nachzuvollziehen“, sagte Wagner der „Ärzte Zeitung“.
Die eigentliche Herausforderung stecke in der Entscheidung, wer aus der Gruppe mit höchster Priorität zuerst geimpft werden solle, da der Impfstoff nach heutigem Stand erst einmal nicht für alle diese Personen reichen wird, betonte Wagner.
Vorsichtiges Verständnis für die Entscheidung der STIKO brachte auch der Chef des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Dr. Thomas Fischbach, zum Ausdruck: „Wir haben in den Praxen viele positiv getestete Kinder aller Altersstufen, die alle milde Verläufe haben, und die wären zum Teil gar nicht aufgefallen, wenn das Gesundheitsamt sie nicht zum Testen geschickt hätte“, sagte Fischbach.
Von daher könne er nachvollziehen, dass man Kinder jetzt nicht vorneweg impfen wolle, wenn man nur eine begrenzte Anzahl Impfdosen habe.
Aufrechterhaltung der Versorgung ist wichtig
Von Verständnis der Patienten für die Priorisierung berichtete Barbara Lubisch, stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung. Das beziehe sich vor allem darauf, dass Ärzte und Pflegepersonal zuerst drankommen sollten.
„Unsere Berufsgruppe will die Patientenversorgung aufrechterhalten. Wir sind aber bei den Schnelltests nicht mit einbezogen, sodass wir selber unser Personal untersuchen könnten. Das finde ich bedauerlich“, sagte Lubisch der „Ärzte Zeitung“.
Es gebe zwar Patienten, die ein Video-Angebot annähmen, aber auch jene, die das nicht könnten. (af/hom/reh)