Behandlung
Allergien – Forschung top, Versorgung Flop?
Viel zu wenige Allergiker werden in Deutschland leitliniengerecht behandelt, klagen Experten. Dabei gibt es viel Bewegung in dem Bereich.
Veröffentlicht:BERLIN. Nachrichten zum Klimawandel, zu Fahrverboten in deutschen Innenstädten, zum Bienensterben oder zur Ausbreitung von Neophyten, selbst Schlagzeilen zum wachsenden Stress im Alltag der Deutschen sollten Ärzte alarmieren.
Denn Umweltbedingungen – vom Schadstoffausstoß im Verkehr bis zur abnehmenden Biodiversität – scheinen entscheidende Faktoren für die Entwicklung und die Ausbreitung von atopischen Ekzemen, Heuschnupfen und Asthma zu sein. Darauf verweist Professor Johannes Ring, Hautarzt in München und Präsident der International Society of Atopic Dermatitis.
Stichwort Prävalenz
"Allergien können das Leben ruinieren und sogar tödlich sein", warnte Professor Ring bei der von Sanofi angestoßenen Veranstaltung "Chronisch vernachlässigt? Wenn das Immunsystem überreagiert" kürzlich in Berlin. Während die Forschung auf dem Gebiet der Immunologie Fortschritte erzielt, zeigen sich Fachleute mit dem Stand der Versorgung nach wie vor unzufrieden.
In einer Studie der Universität Duisburg-Essen aus dem Jahr 2013 heißt es: "Experten schätzen, dass nur etwa zehn Prozent der allergischen Patienten entsprechend den aktuellen Leitlinien behandelt werden." Die Haut- und Allergiehilfe in Bonn geht davon aus, dass schlecht behandelte Allergien durch Arbeitsausfälle europaweit volkswirtschaftliche Schäden in Höhe von 84 Milliarden Euro im Jahr auslösen.
Rund 32 Millionen Menschen im Land gelten als allergisch vorbelastet. Nicht bei allen kommt die Allergie zum Tragen. Zwölf Millionen Menschen leiden unter allergischer Rhinitis. Bei rund 43 Prozent der von einem "Heuschnupfen" betroffenen Patienten entwickele sich nach etwa acht Jahren daraus ein Bronchialasthma, berichtet Professor Ring.
Derzeit leiden etwa vier Millionen Menschen an Asthma. Weitere vier Millionen Patienten haben ein atopisches Ekzem, die Neurodermitis, entwickelt.
Ein Systemwechsel?
"Im Bereich der allergischen Erkrankungen stehen wir vor einem Systemwechsel, was die Behandlungsmöglichkeiten angeht", sagt Dr. Urs Kerkmann von Sanofi Genzyme. Viele Unternehmen seien auf diesem Gebiet aktiv, berichtet Kerkmann. Noch sei die Forschung nicht direkt auf der Gen-Ebene angekommen.
Genetische Ursachen für Allergien könnten demnach noch nicht ausgeschlossen werden. Man sei aber auf der Ebene der Symptomkontrolle angelangt. Bei der Neurodermitis habe die Forschung zentrale Schlüsselmechanismen identifiziert. Durch die Blockade von Rezeptoren lasse sich das Immunsystem modellieren, was eine bessere Symptomkontrolle ermögliche. Zur Behandlung des atopischen Ekzems sei Ende 2017 erstmals ein Biologikum zugelassen worden, das den Juckreiz und Hautausschläge lindern soll, berichtet Professor Johannes Ring.
In Deutschland gebe es zu wenige Spezialisten, stellen Patientenschützer fest. "Wir haben gerade einmal 5100 Ärzte, die fit in Allergologie sind", sagt Erhard Hackler, Geschäftsführer der Deutschen Haut- und Allergiehilfe in Bonn. Zu oft würden die Erkrankungen bagatellisiert.
"In der Universität ist Allergie in der Ärzte-Ausbildung nicht vorgesehen", sagt Ring. Jährlich verließen tausende junger Ärzte die Uni, ohne Ahnung von Allergologie zu haben. Unverständnis zeigt er für einen Beschluss des Ärztetages in Erfurt. Um die Zusatzbezeichnung Allergologe tragen zu dürfen, soll künftig ein sechsmonatiger Kurs genügen.
Bislang waren zwei Jahre angesetzt. Das setze ein schlechtes Signal für das Fach, ist Ring überzeugt. Zumal mit der Volkskrankheit Allergie in der Praxis kaum Umsätze zu erzielen seien. "Wir brauchen den Facharzt für Allergologie. Erst dann werden wir ernst genommen", betont Ring.
Kassen sind in Wartestellung
Dabei kann eine gute Versorgung nach Ansicht der Fachleute zur Heilung führen. Diagnose und Therapie lägen bei der Allergie nahe beieinander, sagt Ring. Sobald der Auslöser, am besten sogar molekular, ermittelt sei, stehe die Therapie fest. Man könne Hyposensibilisieren, antientzündliche Behandlungen einsetzen, Immunmodulantien und Biologika.
Die Kassen sind in Wartestellung. "Ohne dass Ärzte uns ansprechen, um uns als Partner für Modellprojekte zu gewinnen, rührt sich bei den Kassen aber nichts", sagt Dr. Andreas Meusch von der Techniker Krankenkasse. An solchen Modellprojekten sei die TK sehr interessiert. Aus Kassensicht sei das Problem, dass die Wirkung von Salben und anderen Allergiepräparaten nur schwer beurteilt werden könne.