Neue Approbationsordnung
Allgemeinmediziner kämpfen um die Ausbildungsreform
500 oder 60 Millionen Euro im Jahr? Ein Streit um Kosten bringt die Reform der Medizinerausbildung in Gefahr. Verbände der Allgemeinmediziner präsentieren neue Zahlen – und widersprechen damit den Fakultäten.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Berlin. Eine Kostendiskussion droht die Reform des Medizinstudiums auszubremsen. Modellrechnungen des Medizinischen Fakultätentages und der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) liegen derzeit weit auseinander.
„Seit knapp zehn Jahren wird an einer Aufwertung der Allgemeinmedizin im Studium gearbeitet, um dem Hausärztemangel zu begegnen. Auf den letzten Metern versuchen Interessengruppen, das mit teils fadenscheinigen Argumenten und Berechnungen aufzuhalten“, sagte DEGAM-Präsident Professor Martin Scherer am Dienstag.
Fakultäten erwarten Hunderte Millionen Euro
Hochschullehrer schalteten sich mit der Bemerkung in die Debatte ein, dass eine qualitativ hochwertige primärärztliche Ausbildung „systemrelevant“ sei, ihre Sicherstellung mithin zu den vorgegebenen Funktionen des Medizinstudiums gehöre.
400 bis 500 Millionen Euro mehr im Jahr benötigten die Universitäten nach der Umstellung, hat der Medizinische Fakultätentag (MFT) vorgerechnet. Auf den Medizinstudienplatz heruntergebrochen seien das 32.000 bis 40.000 Euro, sagte MFT-Generalsekretär Frank Wissing bereits im September.
Dazu kämen „Transformationskosten“ bis 2025, wenn die neue Approbationsordnung starten soll, von rund 180 Millionen Euro im Jahr.
DEGAM kommt nur zu einem Bruchteil der Kosten
Diese Aussichten sorgen für Unruhe bei den Kultus- und Wissenschaftsministern der Länder. Erste Landespolitiker gehen auf Distanz zu den Plänen von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der damit eigentlich nur den seit vielen Jahren konsentierten „Masterplan Medizinstudium 2020“ politisch umsetzt.
Die Kostenkalkulation der DEGAM nimmt sich dagegen bescheiden aus. Die Vertreter der Fachgesellschaft kommen auf 5940 Euro Mehrkosten für den gesamten Studienzeitraum je Student. Hochgerechnet würde dies Mehrkosten durch die neue Approbationsordnung von rund 60 Millionen Euro im Jahr bedeuten. „Das sollte uns die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung schon wert sein“, sagte Scherer.
In ihrer Rechnung setzt die DEGAM 900 Euro Kosten je Student und Jahr für die Unterbringung der Nachwuchsmediziner in allgemeinmedizinischen Lehrpraxen an. Dazu addieren sie für das Praktische Jahr (PJ) 1440 Euro je Student.
Scherer: „Taktikspielchen“
Über die Ziele der Reform herrschte im bisherigen Diskussionsverlauf eigentlich weitgehend Konsens. Schon mit Aufbau und Ablauf des Medizinstudiums soll die Allgemeinmedizin gestärkt werden. Das sieht der Entwurf der Approbationsordnung (ÄApprO) aus dem Bundesgesundheitsministerium vor, der derzeit im Stellungnahmeverfahren ist.
Die DEGAM sprach in ihrer Mitteilung von „Taktikspielchen“ und forderte, die Approbationsordnung noch in dieser Legislaturperiode zu beschließen. Hintergrund sind bislang unberücksichtigte Vorschläge der Fakultäten, die Hochschulambulanzen stärker als vorgesehen in die Hausarztausbildung einzubinden. Stattdessen sollen die hausärztlichen Praktika verstärkt in Arztpraxen verlagert werden, um das gesamte Spektrum der ambulanten Primärversorgung zu vermitteln.
Ab 2025 sollen sich allgemeinmedizinische Themen durch das gesamte Studium ziehen. Jeder Studierende soll sechs Wochen in von Seminaren begleiteten Blockpraktika in Hausarztpraxen die Möglichkeit bekommen, die Primärversorgung in möglichst vielen Facetten kennenzulernen.
GHA: Primärversorgung „systemrelevant“
Im Detail gibt es an dem Regelwerk auch Kritik von Ärzten. Der Hartmannbund monierte, dass die Erhöhung der Gesamtstundenzahl um 825 Stunden auf 6976 nicht zur angepeilten Entschlackung des Studiums beitrage.
Die Gesellschaft der Hochschullehrer für Allgemeinmedizin (GHA) hebt in einer am Dienstag verbreiteten Pressemitteilung darauf ab, dass das eine Ausbildung in der niedrigschwellig erreichbaren primärärztlichen Versorgung zur Funktion des Medizinstudiums dazugehöre.
Die Pandemie zeige, dass primärärztliche Berufsgruppen wie Allgemeinmediziner, hausärztliche Internisten sowie Kinder- und Jugendärzte erste Anlaufstellen der Patienten und damit „systemrelevant“ seien.