Versorgung von Flüchtlingen
"Als Ärztin will ich helfen"
An der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen krankt's, Ärztekammern bitten Ärzte um Mithilfe. Dr. Ingrid Knell ist eine derjenigen, die in Camps Flüchtlinge behandelt. Welches Leid die pensionierte Betriebsärztin miterlebt, schildert sie im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Frau Dr. Knell, Sie haben sich freiwillig gemeldet, um in ihrer Heimatstadt Flüchtlinge medizinisch zu versorgen. Warum?
Dr. Ingrid Knell: Wegen Überfüllung der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen wurde in Wetzlar auf dem Gelände der ehemaligen Kaserne Spielburg ein Zeltcamp für 400 Flüchtlinge als vorübergehendes Aufnahmelager eingerichtet.
Als die Zahl der Flüchtlinge nach drei Wochen auf 750 angestiegen war, verschickten Kirchen, Diakonie und Caritas eine Mail, um auf die Not der Menschen aufmerksam zu machen, die auf engstem Raum, unter mangelhaften hygienischen Verhältnissen und trotz ihrer gesundheitlichen Probleme ohne medizinische Versorgung leben mussten.
Nicht nur persönlich, sondern auch als Präsidentin des DRK Kreisverbandes Wetzlar fühlte ich mich angesprochen. Als Ärztin will ich helfen. Kollegen fanden sich schnell.
Ein Internist, drei Ärzte, die schon oft für Humedica und andere Organisationen auf den Philippinen, Haiti, in Äthiopien und Uganda geholfen haben, ein Facharzt für Psychotherapie, erfahren in der Behandlung von traumatisierten Bundeswehrrückkehrern aus Afghanistan, und weitere Helfer.
Wie ist die gesundheitliche Verfassung der Flüchtlinge? An welchen Krankheiten leiden sie? Was sind die häufigsten Probleme während Ihrer Sprechstunden im Camp?
Knell: Die Verfassung der Flüchtlinge ist besser als erwartet, aber nicht rosig. Sie leiden an mitgebrachten Erkrankungen wie Malaria, Bilharziose, Filariosen, Hepatitis A , KHK, Diabetes, Tuberkulose, Vaginalerkrankungen, an Magenproblemen und hier erworbenen Erkrankungen wie Brechdurchfall, Ohren -und Halsentzündungen, Bronchitis, Kopfschmerzen, Verspannungen, Schürfwunden, Frakturen. Die meisten sind traumatisiert, oft ängstlich oder auch aggressiv.
Bei der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen mangelt es an Ärzten, weshalb man mit der großen Zahl von Flüchtlingen heillos überfordert ist. Bekommen Sie das bei Ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit zu spüren?
Knell: Ja! Aber die Kollegen und Mitarbeiter in der Erstaufnahmeeinrichtung arbeiten bis zur Erschöpfung. Es wurde sehr viel vonseiten des Regierungspräsidenten und des Gesundheitsamtes unternommen, um Ärzte zu finden, aber leider ohne Erfolg.
Die Erstaufnahmeeinrichtung hilft uns ehrenamtlichen Ärzten sehr. Sie bietet uns Dolmetscher an, sie gab uns die Erlaubnis, an Fachärzte zu überweisen und Medikamente zu kaufen, um sie an Patienten zu geben. Die meisten können ja nicht einmal einen Beipackzettel lesen.
Vielerorts brennen Flüchtlingsunterkünfte, anderswo gehen Bürger gegen Flüchtlinge auf die Straße. Wie reagieren Sie auf die feindliche Stimmung in Deutschland?
Knell: Die Väter meiner Generation konnten oder wollten die brennenden Synagogen und Vernichtungslager nicht sehen. Sie kamen traumatisiert aus dem Krieg zurück und versanken in Schweigen. Heute brennen Flüchtlingsunterkünfte. Ich will nicht wegsehen, sondern etwas tun. Ein Zeichen setzen.
Wie beispielsweise auch der Vorstand unseres Sportvereins TV Wetzlar, indem er dem DRK Räume und für das Flüchtlingscamp sein Grundstück zur Verfügung stellt. Wir wollen zeigen, dass es in Deutschland Menschen gibt, die die Flüchtlinge willkommen heißen.