Versorgungsforschung

Ambulante Versorgung steht vor Kapazitätsproblemen

Die ärztliche Versorgung steht vor Herausforderungen: Abnehmende Versorgungskapazitäten treffen auf eine steigende Nachfrage nach Leistungen.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Empfang in der Praxis: Aufgrund der demografischen Entwicklung halten die ambulanten Versorgungskapazitäten nicht mehr Schritt.

Empfang in der Praxis: Aufgrund der demografischen Entwicklung halten die ambulanten Versorgungskapazitäten nicht mehr Schritt.

© AOK-Mediendienst

BERLIN. Die Menschen in Deutschland werden älter, die Nachfrage nach medizinischen Leistungen steigt. Der medizinische Fortschritt und die wachsende körperliche Robustheit auch hochbetagter Menschen erlauben es, immer mehr Behandlungen ambulant vorzunehmen und die Patienten sich zuhause erholen zu lassen.

Mit dieser Entwicklung halten die ambulanten Versorgungskapazitäten derzeit nicht Schritt. Seit der Gesetzgeber mit dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (2007) den Ärzten eine weitreichende Flexibilisierung ihrer Arbeitsbedingungen zugestanden habe, seien die Kapazitäten der Hausärzte und grundversorgenden Fachärzte wie Pädiatern und Gynäkologen rückläufig, sagte der Geschäftsführer des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung (ZI), Dr. Dominik von Stillfried, bei einem ZI-Forum am Mittwoch in Berlin. In der Folge sei zum Beispiel die Anstellung in den Praxen deutlich gestiegen.

3% ist die tatsächliche Arbeitskapazität laut ZI seit 2009 gestiegen – obwohl pro Kopf der Bevölkerung 10 % mehr Ärzte in der ambulanten Versorgung tätig sind.

Seither gebe es pro Kopf der Bevölkerung zwar zehn Prozent mehr Ärzte in der ambulanten Versorgung, der Anstieg der tatsächlichen Arbeitskapazität betrage aber lediglich drei Prozent. Schon heute wären demografieadjustiert allerdings schon vier Prozent mehr Arbeitsleistung als zum Ausgangspunkt der Berechnung im Jahr 2009 nötig. "Die Empfindung, dass es schwerer ist als früher, Ärzte zu erreichen, ist für viele Patienten durchaus real", sagte von Stillfried.

Und die Uhr lässt sich nicht zurückdrehen. Ab 2024 wechselten die "Babyboomer" die Seiten und würden von Beitragszahlern zu Rentenbeziehern, sagte Professor Boris Augurzky vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI).

Überstürzte und radikale Gegenmaßnahmen als Therapie werden in der KBV gleichwohl abgelehnt. "Es ist fatal, in einem hochkomplexen Gesundheitswesen eilige Veränderungen vorzunehmen", warnte KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister. Dass dort, wo es zu wenig niedergelassene Ärzte gebe, ein Krankenhaus eins zu eins mit allen Fachabteilungen in die ambulante Versorgung einspringen könne, bleibe ein schieres Fantasieprodukt interessierter Kreise. Arztschelte sei fehl am Platze, betonte der Vorsitzende des NAV-Virchowbundes, Dr. Dirk Heinrich. Alle Veränderungen im System würden letztendlich von den Vertragsärzten angestoßen.

Einer der weitreichendsten Vorstöße der Vertragsärzteschaft zielt auf eine intersektorale Verbindung der fachärztlichen Versorgung. In der Politik ist das Echo darauf gespalten. Die Planung müsse über die Sektoren hinweg erfolgen. Zudem müssten die Geldflüsse in die Sektoren dementsprechend angepasst werden, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion Maria Michalk.

Der Vertragsarzt sei das "Arbeitstier" der Versorgung, das Zauberwort aber heiße Vernetzung, pflichtete ihr Kollege von den Grünen, Dr. Harald Terpe, bei. Der gesundheitspolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion gehen die Veränderungen allerdings zu langsam: Die gegenseitige Blockadehaltung und das politische Ping-Pong-Spiel von ambulantem und stationärem Sektor seien "richtig ätzend", wetterte Hilde Mattheis.

Eine Verzahnung der Sektoren, wie etwa in der bislang noch schwachbrüstigen ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) angelegt, scheitert bislang auch an den unterschiedlichen Finanzierungslogiken. "Es ist schwierig, Geld aus einem Sektor zu holen und in einen anderen zu schieben", gab Thomas Ballast, stellvertretender Vorstand der Techniker Krankenkasse zu bedenken.

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Kommentare
Knut Hollaender 28.04.201718:26 Uhr

Bloß weg hier

Als Arbeitstier der ambulanten Versorgung mit einer Vergütung die pro Kopf schlechter ist als vor zehn Jahren kann es nur heißen - Rente kassieren so früh wie möglich und hoffen, dass die Politik andere Arbeitstiere findet...

Elmar Schmid 28.04.201708:36 Uhr

Praxiseigner sterben aus!

Bedarfsplanungen, ein Potpourri aus Niederlassungsmöglichkeiten und die Einführung von Arztanstellungen drehte 2007 an zu vielen Schrauben im Gesundheitswesen. Der dringende Nachsteuerungsbedarf zeigt sich heute.

Vollwertige Ärzte werden ausgebildetet, die jetzt nur noch halbtags als Angestellte arbeiten. Davon wollen die meisten am Vormittag ihrer Arbeit nachgehen und bestehen auf pünktliches Dienstende. Immer weniger Ärzte gehen in das Risiko einer Praxisführung. Arztpraxen können nicht nachbesetzt werden und benachbarte Praxen sind schon am Überlaufen. Die Babyboom-Ärzte, die jetzt gehen, sind fast alle Praxiseigner, womit sich das System mittelfristig massiv ändern wird. Einzelpraxen werden seit vielen Jahren nicht mehr gefördert, sondern sollen schon seit 20 Jahren reduziert bis abgeschafft werden. In kleineren Orten oder Städten rentieren sich aber keine MVZs, womit sich der Zentralisierungswunsch der Versorgung zerschlägt. Dies betrifft Fach- und Hausärzte, an denen es jetzt schon allerorts mangelt. Die ersten Symptome sind Terminmangel, Wartezeiten und lange Fahrten zum Arzt, die zwar diagnostiziert, aber insuffizient behandelt werden (Terminvergabestellen). Die Diagnose lautet: zunehmende Atrophie der Praxiseigner.
Ich kenne nicht den roten Faden des BGMs. Es wird jedoch Zeit, sich Lösungen einfallen zu lassen, es sei denn, die Politik will erreichen, dass Krankenkassen und Kommunen ihre eigenen Ärzte anstellen und ein Switch weg von einer freien Ärzteschaft der Plan war. Noch bieten sich Ärzteorganisationen oder Praxisnetze an, sich bei der Lösung zu beteiligen. Wenn deren Mitglieder, auch meist nur Praxiseigner, schwinden, wird die Politik die Chance vertan haben,gemachte Fehler zu korrigieren.
Die entscheidende Frage lautet: Will man in Deutschland noch die freie Ärzteschaft?
Seit 2004 ist die Vernetzung, begonnen mit der integrierten Versorgung, politisches Programm. Doch an Förderungen mangelt es auch hier. Anstelle dessen favoritisierte man die Wirtschaftlichkeit der neu entstandenen Versorgungssysteme. Versorgungspolitisch zu denken, wäre angesagt. Chancen und neue Strukturen sind vorhanden. Es fehlt ein klares Bekenntnis und zielgerichete Entscheidungen.
Eines ist klar: "Back to the roots" geht nicht mehr, womit eine Stärkung alter Strukturen auch keine Effekte mehr zeigen wird.

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